Debatte über Widerstand gegen die autoritäre Regierung in einem Park in Georgiens Hauptstadt Tiflis.

Georgien Auf der Suche nach Demokratie

Stand: 09.11.2024 16:13 Uhr

Bei der Parlamentswahl in Georgien ist der Machtwechsel ausgeblieben, auch weil die Regierung mit ihren Ressourcen ausgefeilten Wahlbetrug begehen konnte. Doch viele wollen dies nicht hinnehmen und kämpfen um die Demokratie.

Ein Abend im Mziuri-Park im Zentrum von Georgiens Hauptstadt Tiflis. Um die 50 Menschen haben sich auf Bänken vor einer Freilichtbühne versammelt. Ein gutes Dutzend Fernsehteams zeichnet das Treffen auf.

Es spricht Simon Janaschia von der Bürgerbewegung "Freiheitsplatz". Zur Parlamentswahl am 26. Oktober war sie zusammen mit dem Oppositionsbündnis "Starkes Georgien" angetreten, das knapp neun Prozent der Stimmen und damit 14 Sitze im Parlament erhalten hatte.

Doch wie die anderen Oppositionsparteien wollen sie ihre Mandate nicht annehmen, die Wahl sei den Wählern gestohlen worden. Der Regierungspartei "Georgischer Traum" sprach die Zentrale Wahlkommission 54 Prozent und damit die absolute Mehrheit im Parlament zu.

"Nicht allein"

Janaschia, der als Lehrer arbeitet, und seine Mitstreiter kämpfen nun gegen Frust und Niedergeschlagenheit in der Bevölkerung an: "Wir wollen die Menschen ermutigen: Sie sind nicht allein. Es gibt andere, die ebenfalls Demokratie wollen, auch unabhängig von internationaler Unterstützung."

Ihr Ziel ist es, eine permanente Protestbewegung zu organisieren. Janaschia tritt als Moderator auf, regt die Zuhörenden an, selbst Ideen zu äußern, im Alltag Widerstand gegen das Abgleiten in einen autoritären Staat zu leisten. Viele melden sich zu Wort. Es geht respektvoll zu, einige erhalten Applaus.

Gegen die Käuflichkeit

Zunächst organisieren sie sich per Website und Facebook, in Georgien immer noch eine wichtige Debattenplattform. Sie entwickeln ein Manifesto. Die Hauptpunkte werden zusammengefasst bereitgestellt, so dass sie heruntergeladen und an Häuserwänden oder in der Metro angebracht werden können. Ein wichtiger Punkt ist für Janaschia und seine Mitstreiter, Protest gewaltfrei und im gesetzlichen Rahmen zu organisieren.

Es geht ihnen auch darum, die Menschen aus den Propagandablasen herauszuholen und sie aufzurütteln: "Was für ein System wollen wir, wollt Ihr käuflich sein?"

Janaschia berichtet von einem Koordinator, der in den Regionen Georgiens unterwegs war. Viele dort hätten ihn gefragt, wie viel sie von ihm für ihre Stimme bekommen würden. Die eigene Wählerstimme beziehungsweise den eigenen Personalausweis zu vermieten, sei zu einem geflügelten Wort geworden, so Janaschia.

15 Millionen Euro für Wählerbestechung

Von "Bestechung in einem noch nie dagewesenen Ausmaß, Masseneinschüchterungen und einigen Formen von Wahlmanipulation" spricht Hans Gutbrod, Professor an der Ilia State University in Tiflis, in einer ersten Analyse der Parlamentswahl am 26. Oktober.

Zwischen umgerechnet 35 und 100 Euro, teils als Gutscheine, hätten Koordinatoren der Regierungspartei in den Regionen verteilt. Der Inlandsgeheimdienst habe wiederum darauf geachtet, dass diese Koordinatoren nicht zu viel von dem Geld in die eigenen Taschen gesteckt hätten. Nach groben Schätzungen habe die Regierungspartei umgerechnet 15 Millionen Euro für Wählerbestechung ausgegeben, so Gutbrod.

Dazu kam massiver Druck insbesondere auf Bevölkerungsgruppen wie ethnische Minderheiten, Sozialhilfeempfänger oder Angehörige von Gefängnisinsassen. In den drei bisherigen Amtszeiten hat der "Georgische Traum" zudem die Kontrolle über die wichtigsten Institutionen, insbesondere im Justizsystem erlangt.

Das wird nun deutlich, da Wahlbeobachterorganisationen trotz umfangreichen Belegen für Verstöße gegen das Wahlgesetz mit ihren Beschwerden an den Gerichten scheitern. Deshalb setzen Zivilgesellschaft und Opposition auf eine internationale Untersuchung und eine vorgezogene Neuwahl unter internationaler Aufsicht.

Fehlende Ressourcen und Konzepte

Allerdings ergaben Umfragen auch unabhängiger und oppositionsnaher Institute im Vorfeld Mehrheiten für die Regierungspartei, wenn auch eher bei 40 als bei 54 Prozent.

Für einen Machtwechsel, wie er dem "Georgischen Traum" mit dem Milliardär Bidsina Iwanischwili 2012 gelungen war, fehlten der Opposition die Ressourcen und die überzeugenden Konzepte. Sie hatte die Wahl zu einer Schicksalsentscheidung zwischen EU und Russland zugespitzt, kam aber nicht gegen die Regierungspartei an. Diese hatte sich als einzige Friedenspartei präsentiert, die eine "zweite Front" gegen Russland verhindern könnte und tief sitzende Ängste in der Bevölkerung mobilisiert.

Auffällig bei den Protestaktionen gegen den Wahlbetrug ist, dass weit weniger junge Leute teilnehmen als bei den Protesten gegen das Gesetz über "ausländische Einflussnahme" im Frühjahr.

Die etablierte Bewegung "Shame Movement" zog sich ganz aus der Öffentlichkeit zurück. Sie hatte zunächst erklärt, sich aufgrund ihrer Auslandsfinanzierung als "ausländischer Agent" beim Justizministerium zu registrieren, hatte dafür aber massive Kritik aus der Zivilgesellschaft geerntet. Hinzu kamen massive Propaganda-Kampagnen gegen ihre Mitglieder von Regierungsseite.

Parlamentssitze bleiben leer

Die Oppositionsparteien setzen zunehmend verzweifelt auf Massenproteste. Sie sehen keinen Sinn darin, ihre Parlamentsmandate aufzunehmen. Teona Akubardia verweist auf ihre Erfahrung als unabhängige Abgeordnete während der vergangenen Legislaturperiode: Ihre Gesetzesvorschläge seien nicht einmal in den Ausschüssen beraten worden. Dadurch sei es ihr verwehrt gewesen, über ihre Themen im Plenum zu sprechen.

Akubardia hatte sich der Partei "Für Georgien" von Ex-Premier Giorgi Gacharia angeschlossen. Auch er setzt auf internationalen Druck, das neu gewählte Parlament nicht anzuerkennen, und auf Sanktionen gegen Iwanischwili und seine Getreuen. Andernfalls erwartet er ein Abgleiten Georgiens in eine Form eines autoritären bis hin zu einem diktatorischen System wie in Russland.

Entscheidungen von oben

Auch Janaschia hat als Berater für Bildungsreformen negative Erfahrungen mit dem Parlament gesammelt. Die Abgeordneten der Regierungspartei hätten sich nicht mit den Vorschlägen der Experten beschäftigt, stattdessen auf Ansagen aus der Regierung gewartet. Ehemalige Regierungsmitglieder berichteten in den vergangenen Jahren, dass auch Kabinettsmitglieder Entscheidungen nicht selbst getroffen hätten, sondern sich an Iwanischwili gewandt hätten.

Der schwerreiche Geschäftsmann hat sich seit dem Wahltag noch nicht wieder öffentlich geäußert. Er hatte sich als Hauptkandidat seiner Partei aufstellen lassen, in den vergangenen Jahren hatte er allerdings Abneigung gegen die Niederungen der Alltagspolitik gezeigt und sich im Hintergrund gehalten.

Janaschia hofft nun darauf, aus der Gesellschaft heraus Widerstand gegen das Oligarchensystem zu organisieren und das Gefühl der Menschen zu stärken, etwas in ihrem Land bewirken zu können. Und damit auch der Stimmung junger Menschen entgegenzuwirken, die eigene Zukunft im Ausland zu suchen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 05. November 2024 um 07:41 Uhr.