Treffen in Sotschi Putin und Erdogan reden über Getreideabkommen
In Sotschi empfängt Russlands Präsident Putin heute seinen türkischen Amtskollegen Erdogan. Voraussichtlich wird eine Neuauflage des Getreideabkommens im Mittelpunkt der Gespräche stehen.
Im vergangenen Jahr trafen sich die Präsidenten der Türkei und Russlands, Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin, innerhalb von vier Monaten vier Mal persönlich - doch nun schon seit vergangenem Oktober nicht mehr. Dass Putin in die Türkei gereist ist, liegt sogar schon vier Jahre zurück. Erdogan war seitdem mehrfach in Russland. Wohl deshalb kündigte er im Juli im Brustton der Überzeugung einen Besuch Putins in der Türkei an: "Kommenden Monat wird Präsident Putin der Türkei einen Besuch abstatten."
Der August ging dahin, nur der Gast aus Russland kam nicht. Zum einen dürfte Putin aus naheliegenden Gründen zurzeit weder gerne fliegen - noch überhaupt den Kreml verlassen. Zum anderen ist das türkisch-russische Verhältnis so schlecht wie seit 2015 nicht mehr, als das türkische Militär einen russischen Kampfjet im türkisch-syrischen Grenzgebiet abgeschossen hatte.
Nadelstiche aus Ankara
Dieses Mal waren es verbale Geschosse von türkischer Seite, die Putin trafen, wie etwa dieses beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Istanbul Anfang Juli: "Zweifelsohne verdient die Ukraine den Beitritt in die NATO", sagte Erdogan damals. Der Gipfel der Provokation jedoch dürfte aus russischer Sicht gewesen sein, dass Selenskyj die Türkei in Begleitung von fünf ukrainischen Kommandeuren verließ, die als Kriegsgefangene in die Türkei gebracht wurden und dort - zumindest nach russischer Lesart - eigentlich bis Ende des Krieges bleiben sollten.
Dass Erdogan seinen Widerstand gegen einen NATO-Beitritt Schwedens aufgab, dürfte Moskau dagegen kaum noch aufgeregt haben. Wenige Tage später jedenfalls stieg Russland aus dem Getreideabkommen aus. Mitte August eröffnete die russische Marine im Schwarzen Meer das Feuer auf ein türkisches Frachtschiff, um es zum Anhalten zu zwingen.
Für Erdogan geht es um mehr
Nun bewegt sich Erdogan mit seiner Reise nach Sotschi wieder auf Putin zu, zumindest physisch. Das ist vor allem bemerkenswert, weil beide Präsidenten Kulturen repräsentieren, in denen es als Schwäche ausgelegt wird, wenn man auf den anderen zugeht. Doch für Erdogan geht es um mehr als um das bilaterale Verhältnis. Er hatte das Getreideabkommen mitverhandelt und dafür viel Anerkennung erhalten - in der Welt, aber auch bei den Wählern daheim. Eine Neuauflage wäre so etwas wie eine zweite Ernte. Deshalb steht das Thema in Sotschi ganz oben auf der Agenda.
Bereits Ende der Woche trafen sich die Außenminister Russlands und der Türkei, Sergej Lawrow und Hakan Fidan, in Moskau, um das Treffen der Präsidenten vorzubereiten. Die Türkei sei intensiv bemüht, das Getreideabkommen wieder in Kraft zu setzen, sagte Fidan anschließend: "Wir versuchen derzeit, die von Russland vorgebrachten Argumente und Forderungen zu verstehen und gegebenenfalls zu erfüllen."
Viele Hürden - UN fordert Abschluss
Es gelte zu verhindern, dass sich Pannen und Unstimmigkeiten, die während der ersten Phase aufgetreten seien, wiederholten. "Unser Ziel ist ein nachhaltigeres Getreideabkommen." So beklagt Russland, dass es selbst nicht vom Getreideabkommen profitiere. Denn damit sollten Erleichterungen für den Export bestimmter Produkte verbunden sein, die nicht den EU-Sanktionen unterliegen, wie etwa Düngemittel in Drittstaaten. Ein Problem ist offenbar, dass Reeder Schwierigkeiten haben, für solche Geschäfte ihre Schiffe zu versichern. Hier könnte möglicherweise eine Neuauflage des Getreideabkommens ansetzen.
Die Vereinten Nationen hatten bereits das erste Getreideabkommen gemeinsam mit der Türkei ausverhandelt. Auch nun übermittelte UN-Generalsekretär António Guterres Russlands Außenminister Lawrow eine Reihe von Vorschlägen in der Hoffnung, Russland damit wieder ins Boot zu holen.
Beide Seiten könnten profitieren
Wenn es nach den Worten von Ömer Celik geht, dem Sprecher der türkischen Regierungspartei AKP, sollten die Augen trotzdem vor allem auf Erdogan gerichtet sein: "Um die Welt von einer Nahrungsmittelkrise zu bewahren, hat unser Präsident bisher mit höchstem diplomatischem Feingefühl die Initiative ergriffen."
Sollte es gelingen, das Getreideabkommen zu reaktivieren, würden sowohl Putin als auch Erdogan profitieren: Der russische Präsident müsste sich nicht vorwerfen lassen, mit dem Krieg gegen die Ukraine eine weltweite Hungerkrise in Kauf zu nehmen. Erdogan würde auf der weltpolitischen Bühne an Bedeutung gewinnen, was ihm nutzen dürfte, wenn es darum geht, die Interessen der Türkei bei ihren Partnern im Westen durchzusetzen. Eine Aussicht, die es ihm leichter machen dürfte, die Schmach auf sich zu nehmen, dass er es nun wieder ist, der zu Putin reist statt umgekehrt.