Vor der Wahl in Großbritannien Widerwillig Labour wählen
70 Prozent stimmten in der englischen Hafenstadt Grimsby für den Brexit. Bei der darauffolgenden Wahl kippte die ehemalige Labour-Hochburg zu den Tories. Heute ist die Ernüchterung groß.
Wer die Stimmung der Briten vor der Wahl einfangen will, muss rausfahren aus Westminster, raus aus London. Im Nordosten, an der Küste, liegt die Hafenstadt Grimsby. Mitte des 20. Jahrhunderts war hier der größte Fischereihafen der Welt.
Heute kann man sich das schwer vorstellen. Kein geschäftiges Treiben am Wasser, es ist kaum ein Schiff unterwegs.
70 Prozent für den Brexit
Chris Goodwin aber ist noch da. Er lackiert seit Jahrzehnten Boote hier. Doch durch den Niedergang der Industrie hat sein Business stark gelitten.
"Wir waren mal recht wohlhabend, waren stolz auf unsere Stadt. Jetzt ist davon nichts mehr übrig. Kein Stolz, kein Respekt", sagt er. "Schuld daran sind die Politiker."
Weil er eine bessere Zukunft haben wollte, hat Goodwin damals für den Brexit gestimmt, so wie fast 70 Prozent der Menschen in Grimsby. Eigentlich war das hier immer eine Hochburg der Labour-Partei.
Aber wegen des Brexits ging der Wahlkreis 2019 zum ersten Mal an die Konservative Partei unter Boris Johnson. "Brexit war eine sehr gute Idee. Die Politiker haben es nur nicht richtig umgesetzt, weil sie den Brexit nicht wollten. Und das Ergebnis: Flaute im ganzen Land", meint Goodwin.
Menschen fühlen sich abgehängt
Fünf Jahre nach der letzten Wahl ist die Ernüchterung groß. Die Menschen fühlen sich abgehängt, von der Regierung in London nicht gesehen.
Premierminister Rishi Sunak bekam das deutlich zu spüren, als er im Wahlkampf für eine Fragestunde mit den Wählern nach Grimsby kam. "Ich verstehe den Frust", erklärt Sunak. "Natürlich haben wir nicht alles richtig gemacht, das schafft keine Regierung. Aber was ich tun kann, ist hart dafür zu arbeiten, wieder für Stabilität zu sorgen."
Starmer wirkt hölzern
Sunaks Partei verbucht seit Monaten historisch schlechte Umfragewerte. Davon profitiert sein Herausforderer Keir Starmer von der Labour-Partei, der beim selben Wahlevent in Grimsby Wandel verspricht.
"Am Tag nach der Wahl werden wir loslegen: Wir werden die Wirtschaft stabilisieren, die Lebenshaltungskosten und die Energiepreise senken und zusätzlich 40.000 Arzttermine pro Woche anbieten, um die Wartelisten abzubauen", so Starmer.
Aber auch wenn er voraussichtlich gewinnen wird, Jubelstürme rufen seine Reden nicht hervor. Stattdessen oft eher gelangweiltes Gähnen. Er schafft es nicht zu inspirieren, wirkt hölzern.
Labour - oder die Rechtspopulisten?
Und so werden viele Briten am Donnerstag widerwillig Labour wählen, um die Tories rauszuwerfen. "Ich habe kein Vertrauen in die Konservative Partei", sagt etwa Callum Smith. Er macht gerade seinen Schulabschluss und darf dieses Jahr zum ersten Mal wählen.
"Sunak hat immer wieder gezeigt, dass er alles tun würde, um an der Macht zu bleiben. In Keir Starmer habe ich zumindest etwas Vertrauen", sagt Smith. Eigentlich würde er lieber die Grünen wählen, die würden am ehesten seine Interessen vertreten. Aber wegen des Mehrheitswahlrechts in Großbritannien hat die Partei in Grimsby keine Chance. Und so wählt er das kleinere Übel.
Für Chris Goodwin, den Boote-Maler, ist die Rückkehr zu Labour dagegen keine Option. Er hat das Vertrauen in die etablierten Parteien komplett verloren. Und will seine Stimme jetzt der rechtspopulistischen Partei Reform UK geben: "Ich glaube, die würden es besser machen. Das Zweiparteiensystem hat versagt. Das Land geht den Bach runter. Und die Politiker merken es nicht." Denn die, meint Goodwin, steckten bloß in ihrer Westminster-Blase.