Ein Screenshot der Seite channel4.com zeigt die Ankündigung der Serie "Go Back to Where You Came From"
Player: audio“Geh zurück, wo du herkommst”- Reality Show schickt Briten auf die Flucht

TV-Sender Channel Four Reality-Show schickt Briten auf Migrationsrouten

Stand: 22.03.2025 11:04 Uhr

Eine britische Reality-Show schickt die Teilnehmer auf Migrationsrouten ins Vereinigte Königreich. Das soll ihnen die Augen öffnen, meint der Sender. Doch wie wirken die Erfahrungen auf die Teilnehmer - und die Zuschauer? 

"Ich würde Landminen legen und jedes mit Migranten gefüllte Boot, das sich diesem Strand nähert, in die Luft jagen." So stellt sich Dave zu Beginn der Reality-Show "Go back to where you came from" des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders Channel Four als Teilnehmer vor. Migranten seien wie Ungeziefer, fügt er hinzu. 

Das Konzept der vierteiligen Serie ist simpel - zu simpel, sagen manche Kritiker. Insgesamt sechs Briten, darunter vier Migrationsgegner, werden in zwei Gruppen geteilt. Eine Gruppe reist nach Somalia, die andere nach Syrien. Über den Libanon und Kenia müssen sich die Teams nach Lampedusa durchschlagen, von dort nach Frankreich und zurück über den Ärmelkanal.

Bei Calais (Frankreich) besteigen Migranten ein Schlauchboot eines Menschenschmugglers, das sie über den Ärmelkanal nach Großbritannien bringen soll.

Die Realität von Migranten unterwegs nach Großbritannien ist ungleich härter - bis zur Überfahrt über den Ärmelkanal riskieren sie ihr Leben.

Wie der Sender das Konzept verkauft

"Wird diese augenöffnende Reise die Herzen und Meinungen der Teilnehmer bewegen können?", fragt Channel Four. Zunächst scheint es nicht so. In Mogadischu müsse mal jemand aufräumen, meint Teilnehmer Nathan. Und die Syrer sollten lieber Rakka wieder aufbauen statt in Großbritannien Sozialgelder abzusahnen, findet Chloe.

Alles halb so wild in diesen vom Krieg gezeichneten und bettelarmen Ländern, so klingt es. Die Migranten seien selbst schuld an ihrer Lage. Eine Stimme vor Ort, die das mit Fakten zurechtrückt, gibt es nicht.  

Medienwissenschaftler Anamik Saha von der Universität Leeds kritisiert das: "Es fehlt an Geschichte, Kontext, schlicht an Fakten." Stattdessen konzentriere sich die Show auf menschliche Schicksale.

Selten gehörte Stimmen

Auf ihrer Reise treffen die Briten Menschen, die im Krieg alles verloren haben, in Ruinen leben oder in Zelten in Flüchtlingslagern. Menschen, die mit den britischen Gästen trotzdem ihr Essen teilen und ihnen Schutz bieten. 

Dass diese echten Flüchtlinge wiederum im britischen Fernsehen zu Wort kommen, selbst ihre Geschichten erzählen können, lobt Saha: "Denn diese Stimmen hören wir sonst nicht in den Medien. Zu Migration äußern sich normalerweise nur Politiker und die britische Öffentlichkeit." Und das meistens negativ konnotiert, meint der Medienwissenschaftler. 

Kritik von NGOs

Dennoch haben sich gerade Flüchtlingsorganisationen verärgert über die Reality-Show geäußert. Mitarbeiter der NGO Imix etwa, die sich für mehr Repräsentation von Geflüchteten in britischen Medien einsetzt, schauten die Serie gemeinsam mit Asylbewerbern.

"Alle waren sich einig, dass es zwar richtig war, die Show zu produzieren", sagt Geschäftsführerin Jenni Regan. "Aber der Fokus lag zu sehr auf den Briten. Eine echte Flucht zu sehen, hätte mehr gebracht."

Denn natürlich haben die Teilnehmer Sicherheitsleute dabei, tragen schusssichere Westen, reisen in Autos mit Chauffeuren und Panzerglas. Regan findet es paradox, dass ausgerechnet eine künstliche Flucht das Phänomen für Zuschauer erst begreifbar macht: "Die Erfahrung wurde für viele wohl erst echt, als sie Menschen wie sich selbst auf der Flucht gesehen haben."

Unerwartete Erfahrungen

Zu den größten Problemen der Teilnehmer gehört, dass sie auf dem Schlauchboot seekrank werden oder sich vor behelfsmäßigen Toiletten ekeln. Doch je weiter sie reisen, desto mehr Empathie empfinden sie auch - und desto radikaler ändern sie ihre Einstellungen.

Plötzlich kommt es ihnen absurd vor, dass die französische Polizei bei einer nächtlichen Razzia die Schlauchboote der Flüchtlinge zersticht. Oder dass James aus dem Kongo, der mit seiner Familie in einem Wald an der französischen Küste haust und so gerne englische Bücher liest, einfach nicht die Überquerung schafft.

"Ich schäme mich so darüber, wie ich gedacht habe", sagt Teilnehmerin Jess zu James. "Du hättest meine Chancen im Leben haben sollen. Wenn ich könnte, würde ich dich nach Großbritannien schmuggeln." Am Ende muss Flüchtling James die Waliserin trösten: "So ist das Leben."

Ein Sender mit Problemen

Channel Four ist bekannt für umstrittene Reality-Shows. Das Konzept für "Go back to where you came from" hat der Sender aus Australien übernommen. Dort kam die Sendung gut an.

Doch Channel Four, der zwar öffentlich-rechtlich ist, sich aber privatwirtschaftlich finanzieren muss, stecke in der Krise, sagt Saha. Er müsse einerseits komplexe Themen abdecken, andererseits Zuschauer bei der Stange halten, vor allem das junge, urbane Publikum.

Der Sender konkurriere also mit sozialen Netzwerken, YouTube und Streaming-Diensten. "Deshalb wird die Serie so sensationslüstern präsentiert. Es ist ein verzweifelter Versuch, Aufmerksamkeit zu bekommen", meint Saha. 

Ernüchternde Einschaltquoten?

Die Boulevardzeitung The Sun berichtet jedoch von ernüchternden Zuschauerzahlen. Die erste Folge hätten noch fast eine Million verfolgt, bei der letzten Folge mehr als ein Drittel weniger. Eine zweite Staffel werde es nicht geben. 

Saha fürchtet, dass es vor allem der effekthaschende Titel und die provokanten Momente seien, die Zuschauern in Erinnerung bleiben, nicht die Schicksale der echten Flüchtlinge. Die NGO Imix vermutet, dass die Serie gerade mit ihrer Schonungslosigkeit Zuschauer erreicht hat, die sich sonst nur bedingt mit dem Thema Flucht auseinandersetzen würden. 

Zumindest die Teilnehmer hat ihre Reise überzeugt. Dave, der anfangs noch Flüchtlingsboote in die Luft sprengen wollte, gelobt am Ende, Migranten in den Pub einzuladen, auf ein Pint Bier, Fish und Chips. Wenn es nach ihm gehe, seien sie in Großbritannien willkommen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 22. März 2025 um 09:25 Uhr.