Urteile gegen britische Klimaaktivisten "Das widerspricht den Werten einer liberalen Demokratie"
Vier und fünf Jahre Gefängnis für die Blockade einer Autobahn: Ein britisches Gericht verhängte im Juli Rekordhaftstrafen gegen Klimaaktivisten. Ist das noch mit einer liberalen Demokratie vereinbar?
Louise Lancaster sagt, sie habe fest damit gerechnet, dass sie ins Gefängnis muss. Aber nicht für vier Jahre. Die Lehrerin hatte Klimaproteste an der Ring-Autobahn M25 um London im November 2022 mitgeplant. Damals standen über mehrere Tage 700.000 Fahrzeuge im Stau, der Schaden war enorm.
Lancaster hatte Unterkünfte für Aktivistinnen und Aktivisten besorgt und Kletterausrüstung gekauft. Im Juli wurde sie dafür zusammen mit vier weiteren Aktivisten zu langen Haftstrafen verurteilt - einer von ihnen muss sogar für fünf Jahre ins Gefängnis.
Lancaster sitzt nun seit ein paar Wochen im Gefängnis. Die Haftbedingungen in der Zweierzelle seien hart, berichtet sie, es sei laut im Gefängnis, sie vermisse die Familie.
Sie darf mit ihrem Ex-Mann Tim telefonieren, er ermöglicht ein Gespräch mit dem ARD-Studio London.
Sie sitzen langjährige Haftstrafen ab: Klimaaktivisten Whittaker De Abreu, Gethin, Lancaster, Shaw und Hallam (von links nach rechts).
Postkarten an der Zellenwand
Sie halte sich über Wasser, indem sie die Unterstützer-Nachrichten liest, die ihr geschrieben werden, sagte sie im Interview: "Ich habe ja das Glück, dass viele mich unterstützen, mir Nachrichten schicken. Briefe und Postkarten hänge ich an die Wand, mit Zahnpasta kleben wir die an die Mauer, das ist irgendwie witzig."
Lancaster bereut nicht, was sie getan hat: "Nein, überhaupt nicht. Ich denke, es ist so wichtig etwas zu tun, deutlich zu machen, dass wir einen Klimanotstand haben."
Während der Blockade der M25 kam es zu einem Lkw-Unfall - auch das floss später in das Urteil ein.
Anweisungen des Richters
Dieser Punkt spielte aber im Urteil keine Rolle - der Richter wies die Jury an, Äußerungen und wissenschaftliche Belege zum Klimawandel nicht zu berücksichtigen. In seiner Urteilsbegründung hieß es, die Angeklagten hätten die Grenze von "besorgten Aktivisten zu Fanatikern" überschritten.
Grundlage für das Urteil war eine vorherige Gesetzesänderung der damaligen konservativen Regierung, die es der Justiz ermöglichte, massiver gegen Protestierende vorzugehen. Im Fall der Klimaaktivisten führte es zur Verurteilung wegen einer Verschwörung mit dem Ziel, eine öffentliche Belästigung herbeizuführen.
Bei den Protesten von Just Stop Oil im November 2022 hatten die Aktivistinnen und Aktivisten unter anderem ein Förderstopp für Öl und Gas in der Nordsee gefördert. Die konservative Regierung wollte damals neue Lizenzen herausgeben.
Durch die Sperrung der M25 kam es zu massiven wirtschaftlichen Schäden in Höhe von rund einer Million Euro. Die Kosten für den Polizeieinsatz werden auf 1,2 Millionen Euro beziffert. Zu diesem Schluss kommt der Richter in der Urteilsbegründung.
Dort führte er auch auf, dass zahlreiche Personen Flüge verpasst hätten, nicht an Beerdigungen hätten teilnehmen können, dass Studenten Examen versäumt hätten. Eine Person mit einer Krebserkrankung hätte einen Termin verpasst, der erst zwei Monate später nachgeholt werden konnte.
Vergleich mit der US-Bürgerrechtsbewegung
Graeme Hayes ist Dozent für Politik an der Universität in Birmingham. Er kritisiert die Urteile: "Leute ins Gefängnis zu schicken, weil sie andere belästigen, ihr Leben stören, ist schon extrem. Sie aber für vier und fünf Jahre ins Gefängnis zu schicken, widerspricht den Werten einer liberalen Demokratie."
Friedlicher Protest gehöre zur Demokratie dazu, auch wenn es nervt. Hayes zieht Vergleiche: Auch die Bürgerrechtsbewegung in den USA in den 1950er- und 1960er-Jahren habe viele Menschen eingeschränkt. Diese Bewegung mit dem Ziel, die Rassentrennung aufzuheben, werde nachträglich aber als absolut notwendig eingestuft.
Auch im Vergleich fallen die hohen Haftstrafen auf. Nach den Krawallen der vergangenen Wochen in England wurden zahlreiche Randalierer verurteilt. Ein Täter, der ein Polizeifahrzeug in Brand steckte, erhielt zwei Jahre und fünf Monate Haft. Eine andere Person muss für drei Jahre ins Gefängnis, weil sie einen Sanitäter zusammengeschlagen hatte und wegen "rassistischer Übergriffe".
Harte Kritik von der UN
Der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Michel Forst, begleitete das Verfahren und formulierte am Tag der Urteilsverkündung, dies sei "ein dunkler Tag für friedliche Umweltproteste".
Weiter heißt es in seiner Erklärung: "Das Urteil sollte uns alle über den Zustand der Bürgerrechte im Vereinigten Königreich alarmieren."