Regierungskrise in London Johnson lehnt Rücktritt weiter vehement ab
Trotz der Forderungen mehrerer Kabinettsmitglieder, die am Abend auf den britischen Premier Johnson einredeten, lehnt dieser einen Rücktritt weiter ab. Stattdessen wolle er sich auf die "wichtigen Probleme" des Landes konzentrieren.
Der britische Premierminister Boris Johnson lehnt einen Rücktritt laut Medienberichten trotz der Forderungen durch eine Reihe von Kabinettsmitgliedern weiterhin vehement ab. Demnach berief er sich auf "enorm wichtige Probleme, mit denen das Land konfrontiert ist".
Eine Abordnung von Kabinettsmitgliedern hatte ihn am Abend in seinem Büro in der Downing Street aufgesucht, um dort auf seinen Rücktritt zu drängen. Die britische Nachrichtenagentur PA berichtete, einige seiner engsten Vertrauten aus dem Kabinett hätten Johnson zum Rücktritt gedrängt. Darunter soll unter anderem der erst am Dienstag auf seinen Posten berufene Finanzminister Nadhim Zahawi gewesen sein. Sein Vorgänger Rishi Sunak hatte nur Stunden vorher das Amt aus Protest gegen Johnsons Führungsstil niedergelegt.
Ebenfalls zu der Delegation soll Verkehrsminister Grant Shapps gehört haben. Gegen Johnson gestellt haben sollen sich auch die bislang ultra-loyale Innenministerin Priti Patel, Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng sowie Bau- und Wohnungsminister Michael Gove. Letzteren hat Johnson am Abend Berichten zufolge aus dem Kabinett entlassen. Gove galt als eines der größten Schwergewichte im britischen Kabinett. Er hatte an der Seite Johnsons bereits im Wahlkampf vor dem Brexit-Referendum 2016 für den EU-Austritt geworben.
Zuvor hatten seit Dienstag rund drei Dutzend konservative Abgeordnete ihre Regierungs- und Parteiämter niedergelegt.
Johnson in "guter Stimmung"
Laut einem Agenturbericht lehnte Johnson die Vorschläge für einen "würdevollen Ausstieg" jedoch weiter ab und entschied sich, für seine politische Zukunft zu kämpfen. Die Nachrichtenagentur zitierte Johnson unter Berufung auf eine ihm nahestehende Person damit, dass das Land andernfalls ins Chaos gestürzt und die Konservativen bei der nächsten Parlamentswahl abgestraft würden.
Wie der Sender Sky News berichtet, will Johnson am Donnerstag gemeinsam mit seinem neuen Finanzminister Nadhim Zahawi einen Plan für die Wirtschaft vorstellen. Unter Berufung auf einen Mitarbeiter von Johnson hieß es zudem, der Premierminister sei in einer "guten Stimmung" und werde "weiterkämpfen".
Johnson reagiert trotzig
Am Dienstag waren zunächst Gesundheitsminister Sajid Javid und Finanzminister Rishi Sunak zurückgetreten - aus Protest gegen Johnson. Dieser beschädige den Ruf der Konservativen.
Javid hatte seine Kabinettskollegen am Nachmittag im britischen Unterhaus aufgerufen, ebenfalls zurückzutreten. Er rief indirekt dazu auf, Johnson zu stürzen. "Nichts zu tun, ist eine aktive Entscheidung", so Javid. "Diejenigen von uns, die in einer Position dazu sind, haben die Verantwortung, etwas zu ändern. Die BBC beziffert die Anzahl der Rücktritte seit Dienstag mit nunmehr 38.
Doch bereits bei einer Befragung im Parlamentsausschuss am Nachmittag lehnte Johnson einen Rücktritt vehement ab. "Ich werde nicht zurücktreten", so Johnson. An seine Kritiker gerichtet sagte er, sie unterschätzten die Ambitionen von ihm und seinen Mitstreitern. Die Regierung habe einen Plan und wolle weitermachen.
Eine Entschuldigung, die wohl nicht reichte
Auslöser des Politbebens war, dass Johnson den konservativen Abgeordneten Chris Pincher in ein wichtiges Fraktionsamt hievte - obwohl ihm Vorwürfe der sexuellen Belästigung bekannt waren. Die Ministerrücktritte erfolgten wenige Minuten, nachdem Johnson sich am Dienstagabend dafür entschuldigt hatte, Pincher zum stellvertretenden Parlamentarischen Geschäftsführer gemacht zu haben.
Pincher war Ende vergangener Woche zurückgetreten. Dabei wurde bekannt, dass es bereits in der Vergangenheit Vorwürfe gegen ihn gegeben hatte. Ein Regierungssprecher hatte zunächst dementiert, dass Johnson von den alten Vorwürfen gegen Pincher gewusst habe. Diese Verteidigungslinie brach am Dienstag zusammen, nachdem ein ranghoher früherer Beamter erklärte, dass Johnson bereits 2019 über einen entsprechenden Vorfall informiert worden sei. Oppositionsabgeordnete und einige Tories bezichtigten den Premier daraufhin der Lüge.
Neues Misstrauensvotum?
Mit der Weigerung Johnsons zum Rücktritt bleibt nur eine Änderung der Tory-Parteiregeln, um ein weiteres Misstrauensvotum gegen Johnson einzuleiten und den Premier zu stürzen. Erwartet wird, dass dies am kommenden Montag geschehen könnte Der Tory-Parteichef hatte erst vor einem Monat eine Misstrauensabstimmung in seiner Fraktion knapp überstanden. Den bisherigen Regeln der Tory-Partei zufolge darf für die Dauer von zwölf Monaten nach der Abstimmung kein neuer Versuch unternommen werden. Seiner Sprecherin zufolge will er sich der Herausforderung stellen. Ein weiteres Misstrauensvotum dürfte Johnson angesichts der wachsenden Kritik innerhalb seiner Partei kaum überstehen.