Keir Starmer
Player: audioPortrait Keir Starmer - der Polit-Roboter
Porträt

Labour-Kandidat Starmer Wird "Mr. Langweilig" der nächste britische Premier?

Stand: 03.07.2024 05:27 Uhr

Für den politischen Jahrmarkt der Eitelkeiten ist Keir Starmer eher ungeeignet: Dem Labour-Chef fehlen Charisma und Ego. Trotzdem hat er beste Chancen, der nächste britische Premierminister zu werden.

Ob er nicht zu langweilig sei, um Premierminister zu werden, wollte eine Journalistin von Keir Starmer wissen. Er wirke wie ein Polit-Roboter, kritisierte ein Zuschauergast in einem der TV-Duelle. Als "Reh im Scheinwerferlicht" beschreiben ihn die Zeitungen.

Der Labour-Chef ist wenig dynamisch, er reißt niemanden mit. Nur manchmal bricht es aus ihm heraus. Wer Polit-Theater wolle, solle nach Clacton-on-Sea fahren. Dort tritt der flamboyante Nigel Farage für die rechtspopulistischen Partei Reform UK an. Er selbst wolle Premierminister werden, "nicht Zirkusdirektor".

 

Eine Aufstiegsgeschichte

Der Wahlkampfslogan seiner Labour-Partei passt zu Starmer: "Change" ist auf den ersten Blick eine blasse Losung. Veränderung verspricht schließlich jede Oppositionspartei.

Doch es ist genau das, wonach sich die meisten Briten nach 14 Jahren Tory-Regierung mit Sparmarathon und Brexit-Debakel sehnen: eine andere Führung. Manche Zeitungen stellen sogar die These auf, "Mr. Boring", der "Antipopulist", sei genau das, was das Land jetzt brauche.

Starmers Geschichte ist eine des Aufstiegs. Sein Vater war Werkzeugmacher, seine Mutter Krankenschwester. Das Geld war oft knapp. Starmer betont das in Interviews - vermutlich, um seiner Vita Kontur zu verleihen. Die meisten Abgeordneten in Westminster kommen aus der Mittelschicht oder reichen Familien. Er aber musste sich hocharbeiten.

Weil seine Mutter schwer krank war, habe es zu Hause wenig Raum für Emotionen gegeben. Darin liege der Ursprung seiner Art, sagt Starmer selbst.

Sir Keir

Als Menschenrechtsanwalt verteidigte Starmer Umweltaktivisten gegen McDonald's, erkämpfte Entschädigungszahlungen für Bergarbeiter und vertrat Angeklagte in Commonwealth-Ländern, die zum Tode verurteilt waren.

Britische Gerichte sind hoch reglementierte, sehr formale Orte. Manche Experten glauben, Starmer habe das nie abschütteln können und sehen darin einen Grund, warum er in TV-Duellen gegen extrovertierte Populisten den Kürzeren zieht. Er soll sogar die Inspiration für den staksigen Anwalt Mr Darcy in den "Bridget Jones"-Filmen gewesen sein. Eine romantische Komödie, in der sich die Protagonistin in diesen Mann verliebt, der nur schwer aus seiner Haut kann.

Später stieg Starmer in eine Spitzenposition der Staatsanwaltschaft auf - ein Job, der ihm den Ritterschlag und den Titel "Sir" einbrachte - aber auch viel Angriffsfläche bot. Mitglieder der konservativen Partei werfen ihm bis heute vor, entweder kontroverse Fälle angenommen oder nicht hart genug verfolgt zu haben.

Der Schonungslose

In die Politik ging Starmer als Spätzünder, "um die Welt zu einem besseren Ort zu machen", wie er sagt. Mit 52 Jahren gewann er einen Sitz im Parlament, kurz bevor Jeremy Corbyn Parteichef wurde und ihn in seine Regierungsmannschaft holte.

Bei der Basis war der Sozialist Corbyn zwar beliebt, in der eigenen Partei jedoch rumorte es. Denn Corbyn fuhr einen scharf linken Kurs und es wurden Vorwürfe laut, er dulde antisemitische Tendenzen in den eigenen Reihen. 2019 fuhr Corbyns Partei eines ihrer schlechtesten Wahlergebnisse ein und holte nur 202 von 650 Sitzen im Parlament.

Glaubt man Biograph Tom Baldwin, dann plante Starmer schon längst, die Parteiführung zu übernehmen - mit Erfolg. 2020 trat er als Labour-Chef an, um die Partei wieder zusammenzuführen und aus dem Umfragetief zu holen.

Und er krempelte sie radikal um. Starmer verbannte etliche Mitglieder wegen mutmaßlich antisemitischer Tendenzen, ging hart gegen den linken Labour-Flügel vor und setzte sich dafür ein, dass der Linksaußen-Mann Corbyn nicht mehr als Kandidat antreten durfte. Kritiker sprachen von einer "Säuberung". Als "schonungslos" wird Starmer seitdem auch beschrieben.

 

Ein "Mann der Mitte"?

Dann schob Starmer die Partei zurück in die politische Mitte: Law and Order wurde lauter diskutiert, Verstaatlichung oder Steuererhöhungen leiser. Labour vernachlässigte Studentenhochburgen im Wahlkampf, konzentrierte sich stattdessen auf die Wähler ihres ehemaligen "red wall": Labours eigentliche Hochburg, die sie 2019 an die konservative Partei verloren hatten.

Starmers Unterstützer nennen ihn pragmatisch, einen Mann der Mitte. Die Kritiker schimpfen ihn ein Fähnchen im Wind: Er ändere zu oft seine Meinung, lasse Versprechen wieder fallen.

Sein Biograph Baldwin sagt, er gehe anders als die meisten Politiker vor, eher wie ein Jurist, taktisch: Statt mit einer großen Vision zu starten und bei Hindernissen Kompromisse einzugehen, startet Starmer mit kleinen, praktischen Manövern und arbeite sich vor.

Linksruck nicht ausgeschlossen

Ob er wirklich ein "Mann der Mitte" ist oder Stratege, bleibt offen. Politikwissenschaftler Tim Bale von der Londoner Queen-Mary-Universität schließt nicht aus, dass Starmer Labour wieder weiter nach links rücken könnte.

Keir Starmer ist kein Redner wie der ehemalige Premier Tony Blair, der 1997 als großer Hoffnungsträger einen Erdrutschsieg für die Labour-Partei holte und Aufbruch verkörperte. Starmer ist kein radikaler Sozialist wie Jeremy Corbyn. Für manche, wie den Zuschauergast im TV-Duell, ist er ein Polit-Roboter.

Klar ist aber auch: Starmer hat Labour in kurzer Zeit für eine breite Masse wieder wählbar gemacht. Glaubt man den Umfragen, könnte Labour die Zahl der Sitze im Unterhaus zu 2019 mehr als verdoppeln.

Sechster Premier für Larry in Sicht

"First Cat" von 10 Downing Street

Kater Larry sitzt am Eingang der 10 Downing Street.

Wenn der nächste Premierminister in 10 Downing Street einzieht, ist er einmal mehr schon da: Kater Larry wohnt seit 2011 im Dienstsitz der britischen Premierminister. Seitdem hat er sechs Regierungschefs kommen und wieder gehen sehen und kann von sich behaupten: So lange wie er hielt es kaum ein Premier in dem Backsteinbau aus.

David Cameron, Barack Obama und Kater Larry im Büro des Premierministers.

David Cameron war es, der Larry aus einem Tierheim in die Downing Street holte, immerhin machte dem konservativen Regierungschef damals eine Rattenplage im Haus zu schaffen. Der "Chief Mouser", so etwas wie der oberste Mäusefänger im Vereinigten Königreich, wurde selbstverständlich den Gästen aus dem Ausland vorgestellt. Das nutzt sich mit der Zeit natürlich ab. Hier jedenfalls interessiert sich Larry weniger für US-Präsident Barack Obama und dafür mehr für die Mitarbeiterin des Premierministers.

Theresa May und Kater Larry sind vor dem Eingang von 10 Downing Street zu sehen.

Nachdem der im Grundsatz heitere Cameron angesichts seiner dramatischen Niederlage im Brexit-Referendum trällernd 10 Downing Street verlassen hatte, kam Theresa May, die es weniger mit den fröhlichen Liedchen hatte, sondern sich damit herumplagen musste, den Brexit irgendwie in Politik umzusetzen und sich zugleich ihrer Widersacher zu erwehren. Larry dürfte, soweit er etwas davon verstand, froh gewesen sein, seiner eigenen Wege gehen zu können. Nach rund drei Jahren hatten ihre Konkurrenten lang genug an Mays Stuhl herumgesägt und es zog ein Mann mit lustiger Frisur ein.

Boris Johnson und Kater Larry im Büro des Premierministers.

Unter Mays Nachfolger Boris Johnson wurde es wesentlich turbulenter im Regierungssitz. Nicht nur, weil Johnson sich während der Pandemie herzlich wenig um die strengen Auflagen kümmerte, die seine Regierung der Bevölkerung auferlegt hatte und in Downing Street gerne mal zünftig feiern ließ. Sondern auch, weil Johnson einen Hund mitbrachte und später behauptete, Kater Larry habe mehrfach brutal Rache an Dily geübt, weil der sein Futter gemampft habe. Dily habe furchtbare Angst vor "Catzilla" gehabt und alle Orte der möglichen Begegnung gemieden. Man darf annehmen, dass Larry gegen diese Anekdote des redefreudigen Johnson nichts einzuwenden hatte.

Kater Larry sitzt am Eingang der 10 Downing Street.

Deshalb an dieser Stelle kurz ein Blick auf Larrys körperliche Verfasstheit. Gewiss, propper ist er, der Alptraum von Hund Dily. Aber ihm deshalb, wie Boris Johnson es getan hatte, den Körper eines Sumoringers und die Krallen eines Velociraptors attestieren? Nun, Johnson war halt immer für eine kleine Flunkerei gut.

Liz Truss und Kater Larry

Und dann? Ach ja, dann kam Liz Truss. Lachte auf ihre Art auch gern, stieß damit aber häufig auf verstörte Blicke. Nicht für lang, gerade mal 49 Tage, hielt sie sich im Amt, geradezu lächerlich kurz für einen erfahrenen Chief Mouser wie Larry. Aber sie schaffte es, in dieser Zeit ein Finanzchaos sondergleichen anzurichten, sodass die Partei gegen die frisch gewählte Vorsitzende aufbegehrte. Dass Larry von den Fotografen abgebildet hatte, wie er ihr die Rückseite zuwandte, sollte wohl eine subtile Botschaft transportieren.

Premierminister Rishi Sunak geht an Kater Larry vorbei.

2022 zog Rishi Sunak ein, der nicht nur fantastisch taillierte Anzüge auftrug, sondern Larry auch sonst vielfältige Anlässe für bissige Kommentare gab. Sofern man glaubt, dass Larry persönlich hinter "Larry the Cat" auf X steckt und dort mittlerweile mehr als 26.000 Posts veröffentlichte. Das würde schon aus Zeitgründen erklären, warum Larry inzwischen in dem Ruf steht, es mit der Rattenjagd nicht mehr ganz so ernst zu nehmen. Übel nehmen ihm das die Briten nicht. Im Gegenteil. Als im Herbst 2023 Gerüchte aufkamen, Larry habe gesundheitliche Probleme, betonte die Regierung ganz fix, Larry sei "happy and healthy" - glücklich und gesund. Trotz seiner fortwährenden X-Attacken auf Sunak. Oder gerade deshalb.

Kater Larry guckt in der Downing Street 10 aus dem Fenster.

Und nun zieht Keir Starmer ein - der erste Labour-Politiker, der unter Kater Larry Premier wird. Ihm kann es, so gesehen, egal sein, solange nicht irgendwer auf die Idee kommt, den Chief Mouser aus 10 Downing Street zu werfen und auf irgendeinen zugigen Landsitz zu verbannen, womöglich gar auf den fernen Falklands. Aber im Ernst: Wer würde es schon wagen, sich mit "Catzilla" anzulegen?

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Franziska Hoppen, ARD London, tagesschau, 02.07.2024 19:34 Uhr