Vorwürfe an russisches Militär Was ist ein Kriegsverbrechen?
Im Zusammenhang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine wird auch der Vorwurf von Kriegsverbrechen laut. Die rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben sich vor allem aus dem Völkerrecht.
Wer entscheidet, was ein Kriegsverbrechen ist?
Vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag können Einzelpersonen angeklagt und für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Die gesetzliche Grundlage dieses Gerichtshofes und seiner Rechtsprechung ist ein eigener internationaler Vertrag, das sogenannte "Römische Statut". Dieses wiederum verweist für die Definition von Kriegsverbrechen auf die Genfer Konventionen. Das sind vier Abkommen, die 1949 von der Mehrheit der UN-Staaten anerkannt wurden und das Kernstück des humanitären Völkerrechts bilden. Dort ist unter anderem der Schutz der Zivilbevölkerung und von Kriegsgefangenen bei bewaffneten Konflikten geregelt.
Was genau ist danach ein Kriegsverbrechen?
Zu den Kriegsverbrechen zählen danach etwa die vorsätzliche Tötung und Folter von Zivilisten sowie Kriegsgefangenen, aber auch schwere Körperverletzungen. Weiter aufgelistet werden die willkürliche Zerstörung und Aneignung von Eigentum in großem Ausmaß, Vertreibung und Geiselnahmen. Daneben werden auch als Kriegsverbrechen definiert: "andere schwere Verstöße gegen die (…) im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche".
Dazu zählen etwa Angriffe auf die Zivilbevölkerung, zivile Objekte und auf humanitäre Hilfsmissionen. Außerdem auch Plünderungen, die Verwendung von Giftwaffen, Vergewaltigungen, sexuelle Sklaverei und Nötigung zur Prostitution, das Aushungern von Zivilisten und der Einsatz von Kindersoldaten.
Wie können potentielle Kriegsverbrechen in der Ukraine verfolgt werden?
Weder Russland noch die Ukraine haben das "Römische Statut" ratifiziert. Sie sind also keine Vertragsparteien und unterliegen eigentlich nicht der Gerichtsbarkeit des IStGH. Dennoch dürfte dessen Chefermittler Karim Khan im aktuellen Krieg begangene Kriegsverbrechen verfolgen: Denn nach der Annexion der Krim 2014 hat die Ukraine über sogenannte Ad-hoc-Erklärungen die Voraussetzungen dafür geschaffen. Seitdem können auch Kriegsverbrechen auf dem Gebiet der Ukraine, die in Zusammenhang mit diesem Konflikt stehen, vom IStGH-Chefermittler verfolgt werden.
"Die Ermittlungen beziehen sich bisher nicht auf konkrete Beschuldigte, sondern auf den 'gesamten Konflikt'", erklärt Pierre Thielbörger, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Ruhr-Universität in Bochum. Für einen Haftbefehl, müsste sich der Verdacht aber so weit verdichten, dass die Ermittlungen gezielt gegen die verdächtige Person gerichtet werden. "Zusätzlich muss ein Haftbefehl von einem Staat vollstreckt werden, weil der Internationale Strafgerichtshof keine eigene Vollstreckungsgewalt hat. Verurteilungen in der Zukunft sind also möglich; es ist aber noch ein weiter Weg dahin."
Wofür ist der Internationale Strafgerichtshof noch zuständig?
Neben den Kriegsverbrechen weist das "Römische Statut" dem IStGH noch die Ahndung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen der Aggression zu. Unter Völkermord versteht das Statut verschiedene Handlungen, die in der Absicht begangen werden, "eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören". Zu diesen Handlungen zählen neben der Tötung von Mitgliedern dieser Gruppe etwa auch Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden oder Maßnahmen wie Zwangssterilisation. Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind im Sinne des Statuts Handlungen wie Folter, Vergewaltigung oder Versklavung, die "im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen werden".
Verjähren solche schweren Straftaten?
Völkerrechtler Pierre Thielbörger erklärt, dass Kriegsverbrechen - genau wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genozid und das Verbrechen der Aggression - nicht verjähren. "Das liegt an der besonderen Schwere dieser Verbrechen. Aus dem nationalen Recht kennen wir gleiches etwa auch vom Mordtatbestand."
Gibt es "erlaubte" und "nicht erlaubte" Kriegshandlungen?
Völkerrechtler und Völkerrechtlerinnen sind sich einig: Der Angriff Russlands auf die Ukraine verstößt gegen geltendes Völkerrecht. So verletzt Russland damit das Gewaltverbot, dass die UN-Charta vorgibt. Daraus wiederum folgt, dass die Ukraine sich als angegriffener Staat verteidigen darf. Militärische Schläge gegen die russischen Invasionstruppen durch die Ukraine stehen daher nicht im Widerspruch zum Völkerrecht, sofern sie nicht gegen eine der vorgenannten Vorschriften des "Römischen Statuts" verstoßen.
Es gelten im bewaffneten Konflikt die Regeln des humanitären Völkerrechts. "Dazu gehören wichtige Prinzipien wie diejenigen der Menschlichkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Unterscheidung zwischen (erlaubten) militärischen Angriffszielen und (nicht-erlaubten) zivilen Angriffszielen", so Professor Pierre Thielbörger. "Wenn nun Wohnhäuser, Krankenhäuser oder Theater bombardiert werden - um den Widerstandsgeist der ukrainischen Bevölkerung zu brechen - sind das eklatante Verstöße Russlands gegen das humanitäre Völkerrecht."