Treffen der NATO-Verteidigungsminister Der Elefant im Raum
Wenn sich heute die NATO-Verteidigungsminister treffen, wird es - wieder einmal - vorrangig darum gehen, wie die langfristige Unterstützung der Ukraine aussehen soll.
Es ist wie so oft. Das spannendste Thema steht gar nicht auf der Tagesordnung. Es wird aber ganz bestimmt angesprochen werden, das sagte ein hochrangiger NATO-Diplomat voraus. Er sagte auch, das Thema werde wie ein Elefant im Raum stehen, wenn die 31 Verteidigungsminister der Allianz heute im Brüsseler Hauptquartier zusammenkommen.
Der Elefant im Raum, das ist die Frage, wann die Ukraine Mitglied der NATO werden kann. Auf keinen Fall während des Krieges, darüber besteht eigentlich Einigkeit - sonst würde die Allianz im Grunde zwangsläufig zur Kriegspartei.
Stoltenbergs Auftreten irritiert
Andererseits hat der Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, die mögliche Aufnahme der Ukraine in den vergangenen Wochen so oft und auch so offensiv angesprochen, dass einige Mitglieder irritiert sind.
Auch gestern tat er das wieder. Stoltenberg forderte, die NATO müsse in vier Wochen beim NATO-Gipfel im litauischen Vilnius nicht nur Botschaften für Unterstützung und Solidarität senden. "Wir müssen klar machen, dass die Zukunft der Ukraine in der NATO liegt".
Viele offene Fragen
Das ist eigentlich nichts Neues, denn seit dem Bukarester NATO-Gipfel 2008 ist die Beitrittsperspektive der Ukraine beschlossene Sache unter den Alliierten. Aber wann, in welcher fernen oder nahen Zukunft, darüber gehen die Meinungen in der NATO auseinander.
Die baltischen Länder und Polen machen Druck, sie wollen, dass die Ukraine eine konkrete Zusage für die Aufnahme bekommt - nicht irgendwann, sondern gleich nach dem Krieg. Das lehnen die großen westlichen NATO-Länder ab.
Die USA, Frankreich und auch Deutschland halten solche Versprechen für verfrüht, so lange niemand weiß, wann und wie der Krieg zu Ende geht, in welcher Verfasstheit die Ukraine daraus hervorgeht und vor allem: welches Russland der Ukraine dann gegenübersteht. Das Russland Putins mit seinen imperialistischen Eroberungszielen oder ein Russland unter neuer Führung im Kreml?
Bundesregierung plädiert für Sicherheitsgarantien
Angesichts so vieler Fragezeichen sei es klar, so Bundesaußenministerin Annalena Baerbock vor zwei Wochen beim Außenministertreffen in Oslo, "dass wir mitten in einem Krieg nicht über eine neue Mitgliedschaft sprechen können".
Die Bundesregierung will der Ukraine für die Zeit nach dem Krieg stattdessen Sicherheitsgarantien geben, und das planen ganz ähnlich auch die Partner in Washington und in Paris. Sicherheitsgarantien aber wären deutlich unverbindlicher als die handfeste Beistandsgarantie, die mit der NATO-Mitgliedschaft verbunden ist. Ein Angriff auf ein Mitglied wird gewertet wie ein Angriff auf alle - das ist die NATO-Essenz.
Selenskyjs Wunsch bleibt vorerst wohl unerfüllt
Der ukrainische Präsident Selenskyj lässt keinen Zweifel aufkommen, welche der beiden Varianten ihm vorschwebt. Vom NATO-Gipfel in Vilnius Mitte Juli erwarte er eine "eindeutige Einladung", der Allianz beizutreten, sie sei die "beste Sicherheitsgarantie" für sein Land, erklärte er vor zwei Wochen beim Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Moldau.
Dass der Wunsch Selenskyjs erfüllt wird, gilt als unwahrscheinlich. Immerhin, die Ukraine soll heute von den Verteidigungsministern als Partner aufgewertet werden - mit einem neuen Gremium, dem NATO-Ukraine-Rat. Auf Augenhöhe will man da miteinander sprechen, das wird in Brüssel sehr betont - wohl auch, damit Präsident Selenskyj seinen Landsleuten etwas vorzeigen kann, wenn es schon nichts mit der schnellen Mitgliedschaft wird.
Weitere Militärhilfen werden besprochen
Selenskyj kann sich allerdings darauf verlassen, dass die Verteidigungsminister heute sowohl über weitere Militärhilfen sprechen als möglicherweise auch darüber, wie das leidige Problem mit dem Nachschub von Waffen und Munition in den Griff zu bekommen ist.
NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat die Chefs von mehr als 20 Rüstungsunternehmen eingeladen - das hat es noch nie bei einem politischen Ministertreffen gegeben. Verbal rollte der Generalsekretär auch schon den roten Teppich vor den Herren der Waffenschmieden aus. "Was die Unternehmen brauchen, sind nicht nur Signale und politische Botschaften", erklärte Stoltenberg gestern. "Die brauchen Verträge". Besser hätten die CEOs der Rüstungsunternehmen ihre Interessen auch nicht auf den Punkt bringen können.
Die Gästeliste ist transatlantisch, die ganz großen der internationalen Waffenhersteller sind nach Angaben der Brüsseler Online-Plattform EURAKTIV dabei. Lockhead Martin aus den USA zum Beispiel, Hersteller der Patriot-Abwehrsysteme, NEXTER aus Frankreich und Rheinmetall aus Deutschland. Nach Stoltenbergs Angaben sind schon viele neue Verträge mit den Rüstungskonzernen geschlossen worden. Um den in der viel diskutierten ukrainischen Offensive nötigen Nachschub sicherzustellen, seien aber noch weitaus mehr Verträge nötig.