Prozess in der Schweiz Lukaschenkos Gegner ermordet?
Einfach verschwunden: In der Schweiz steht erstmals ein ehemaliges Mitglied einer belarussischen Spezialeinheit vor Gericht, das im Auftrag des Regimes drei Oppositionelle entführt und getötet haben soll.
"Dann gingen wir nach Hause, schlafen." Es ist ein erschreckend banaler Satz, mit dem Juri Garawski die Schilderung seines Einsatzes vom 16. September 1999 beendet. Als Mitglied einer Sondereinheit des belarusischen Innenministeriums war er an diesem Tag laut eigenen Angaben an der Entführung und Ermordung von zwei Regimegegnern beteiligt.
Der Politiker Viktor Gontschar und der Geschäftsmann Anatoli Krassowski, so berichtet der Angeklagte vor Gericht, seien nach einem Saunabesuch in Minsk entführt und dann mit jeweils zwei Schüssen ins Herz exekutiert worden.
Offiziell ist ihr Schicksal bis heute ungeklärt. Sie verschwanden. So wie ein paar Monate zuvor ein weiterer Oppositioneller, der frühere Innenminister Juri Sacharenko. Auch er soll von der Spezialeinheit des Regimes von Machthaber Alexander Lukaschenko entführt und ermordet worden sein.
"Mit einer Entschuldigung nicht wiedergutzumachen"
Sacharenkos Tochter Alena war 23 Jahre alt, als ihr Vater verschwand. Eine Bitte um Entschuldigung, die der Angeklagte von der Gerichtsdolmetscherin vorlesen lies, lässt sie kalt: "Der ist wie ein Tier in einem Käfig eingeschlossen. Es gibt keine Entschuldigungsannahme von meiner Seite."
Ihr Leben sei zerstört, ihr Leid sei "chronisch". Das könne man mit dem einfachen Wort "Entschuldigung" nicht wiedergutmachen: "Das ist in meinem Herzen, meiner Seele."
24 Jahre lang habe sie auf diesen Prozess gewartet, sagt Alena. Die Genfer Nichtregierungsorganisation Trial International brachte den Fall zusammen mit dem Menschenrechtszentrum Viasna aus Belarus vor das Schweizer Gericht. Denn bei schweren Menschenrechtsverletzungen gilt das sogenannte Weltrechtsprinzip: Sie können überall auf der Welt verfolgt werden.
Historischer Prozess
Die Schweiz hat sich dem UN-Abkommen zum Schutz aller Menschen vor dem Verschwindenlassen angeschlossen und einen entsprechenden Paragrafen ins Strafgesetzbuch aufgenommen.
Das Gerichtsverfahren in St. Gallen sei ein historischer Prozess, sagt der Jurist Benoit Meystre von Trial International: "Zum ersten Mal diskutiert ein Gericht die in Belarus begangenen Verbrechen." Es gehe um die Verantwortung des Staates bis hin zu Machthaber Lukaschenko. "Und es ist der Moment, wo die Familien der Opfer als Nebenkläger Antworten bekommen, was mit ihren Vätern passiert ist."
Schilderungen "schlüssig und plausibel"
Der St. Gallener Richter befragte den mutmaßlichen Lukaschenko-Schergen Garawski hartnäckig und konfrontierte den 2018 in die Schweiz geflüchteten Belarusen immer wieder mit Widersprüchen in seinen Aussagen bei Asylbehörden, Staatsanwaltschaft und vor Gericht.
Auch der Staatsanwalt sprach von einem "zwiespältigen Eindruck", nannte aber die Schilderungen der Entführungen und Ermordungen schlüssig und plausibel. Nur ein Täter habe dies wissen können.
Die Staatsanwaltschaft beantragte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Darüber hinaus forderte der Anwalt der Töchter der Ermordeten Schadensersatz in Höhe von je 200.000 Franken. Der verbrecherische Staat Belarus habe ihnen den Vater genommen und sie über dessen Schicksal jahrzehntelang im Ungewissen gelassen.