Fälle von Kollaboration Selenskyj suspendiert Geheimdienstchef
Zahlreiche ukrainische Beamte sollen mit Russland kollaborieren: Präsident Selenskyj hat deshalb den Chef des Inlandsgeheimdienstes suspendiert. Auch eine Generalstaatsanwältin wurde vorerst von ihren Aufgaben entbunden.
Die Eilmeldung kam in der Ukraine am späten Sonntagabend - und die hatte es in sich: Wolodymyr Selenskyj ließ per Erlass zwei hochrangige Beamte ihre Posten räumen. Später meldete sich der ukrainische Präsident per Video: "Heute habe ich die Entscheidung getroffen, die Generalstaatsanwältin und den Leiter des Geheimdienstes der Ukraine ihrer Ämter zu entheben."
Das sind Iryna Wenediktowa und Iwan Bakanow. Die Entscheidungen kommen überraschend. In seiner regelmäßigen Botschaft begründete Selenskyj die Suspendierungen. Seinen Ausführungen nach war die hohe Zahl der Verdachtsfälle innerhalb der Behörden ausschlaggebend - der Verdachtsfälle einer Zusammenarbeit der ukrainischen Beamten mit Russland:
Stand heute sind 651 Strafverfahren in Sachen Landesverrat und Kollaboration unter den Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft, der Behörden für vorgerichtliche Untersuchungen und anderer Strafverfolgungsbehörden registriert. In 198 Strafverfahren wurden die Verdächtigen über die Vorwürfe informiert.
Sicherheitsapparat weiter im Fokus
Selenskyj sprach von "Selbstreinigung der Behörden". Und kündigte an, die Inspektion des Sicherheitsapparates werde weitergehen. Er nahm Bezug auf seine neuerlichen Besuche in den Frontregionen und ließ erkennen, er kümmere sich persönlich.
Der Präsident ist für seine schnellen Entlassungen bekannt. Einige wichtige Posten hatte er bereits in der Vergangenheit ähnlich rigoros umbesetzt. Die Gründe blieben manchmal undurchsichtig. Diese Praxis galt als umstritten, Schlagzeilen folgten. Selenskyj und sein Team wurden für die Vergabe der Posten auch kritisiert: Nicht immer sei nach Kompetenzen entschieden worden.
Nun ist Selenskyj ein Präsident, der nach der historischen Entscheidung über den EU-Beitrittsstatus der Ukraine gegen Korruption und Vetternwirtschaft kämpfen soll. Und er ist ein Staatschef eines Landes im Krieg, das diesen gewinnen will.
Vorgehen im Süden wirft Fragen auf
Besonders die schwierige Lage im Süden war in der Ukraine immer wieder Thema. Viele fragten sich, wie es dazu kam, dass Russland so schnell so große Landstriche in den Südregionen besetzen konnte. Und wie es schien - nahezu ohne Widerstand der ukrainischen Sicherheitsdienste. Analysten fragten sich, warum zum Beispiel einige Brücken nicht gesprengt wurden - und russische Streitkräfte einfach vorrückten. Vor allem im Gebiet Cherson. Offenbar stehen die aktuellen Suspendierungen damit in Verbindung.
Selenskyj teilte mit, dass kürzlich ein weiterer regionaler Geheimdienstleiter aus dem Süden festgenommen worden sei. Es steht nun der Verdacht über umfangreiche Kollaboration mit Russland im Raum. "Unter anderem sind mehr als 60 Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und des Geheimdienstes auf dem besetzten Territorium geblieben und arbeiten gegen unseren Staat", so Selenskyj. So ein Bestand an Verbrechen gegen die Grundlagen der nationalen Sicherheit sowie die Verbindungen der Mitarbeiter des Sicherheitsapparats zu den russischen Nachrichtendiensten werfe sehr ernste Fragen gegenüber den entsprechenden Leitern auf.
Hintergründe bislang unklar
Bisher ist zu weiteren Hintergründen wenig bekannt. Die Generalstaatsanwältin Wenediktowa hatte nach Kriegsbeginn den Eindruck einer entschiedenen Strafverfolgerin vermittelt. Immer wieder äußerte sie sich gegenüber den Medien, traf sich mit Amtskollegen aus verschiedenen Ländern. Der Berufsweg der Professorin der Rechtswissenschaften, die die Tochter renommierter ukrainischer Juristen ist, war jedoch nicht skandalfrei.
Besonders spannend ist jedoch die Suspendierung des Geheimdienstchefs Bakanow. Er soll ein Kindheitsfreund von Selenskyj sein, ein enger Weggefährte seit vielen Jahren. Bakanow leitete das Wahlkampfteam von Selenskyj. Nun suspendiert ihn der Präsident - und hält im Erlass sogar den entsprechenden Paragrafen fest: 47 - Nichterfüllung der Dienstpflichten, die zu Opfern oder anderen schwerwiegenden Folgen führte. Nach vorläufigen Einschätzungen ist möglicherweise sogar eine Strafverfolgung nicht ausgeschlossen.