Organisierte Kriminalität Hooligans, Drogenclans und der serbische Präsident
Ein Prozess in Belgrad hält Serbiens Öffentlichkeit in Atem: Es geht um Hooligans, die für mächtige Drogenclans arbeiten und brutale Morde begehen. Ihre Verbindungen sollen bis in die Staatsspitze reichen.
Vor dem Gericht für organisierte Kriminalität in Belgrad rauschen schwarze Polizeifahrzeuge mit Blaulicht vorbei. Die Angeklagten werden durch den Hintereingang ins Gebäude gebracht. Es sind 31 Männer, beschuldigt unter anderem des Mordes, Drogenbesitzes, Entführungen und des Waffenhandels.
Im Verhandlungssaal nehmen sie hinter Sicherheitsglas Platz, nur eine Armlänge entfernt von den Besuchern: Muskelpakete mit Stiernacken, Glatzen, Tätowierungen. Der Kopf der Bande ist Veljko Belivuk, Hooligan-Anführer von Partizan Belgrad, einem Verein, der für einen aggressiven Fanblock mit engen Verbindungen zur organisierten Kriminalität bekannt ist.
Die Verbrechen, die ihnen zur Last gelegt werden, sollen sie für einen Drogenclan mit Wurzeln in Montenegro begangen haben, der sich seit Jahren einen blutigen Krieg mit anderen Clans liefert - mit etlichen Morden nicht nur in Serbien, sondern gleich mehreren europäischen Ländern.
Brutale Morde
Die Partizan-Hooligans gehören zu den brutalsten in Europa. Das Stadion dient als Drogenumschlagplatz und Rekrutierungsstätte für neue Gangmitglieder. Nun werden ihnen mehrere bestialische Morde zur Last gelegt.
Als Anfang 2021 der verschlüsselte Nachrichtendienst Sky ECC von internationalen Ermittlern dekodiert wird, stoßen sie auf grausame Fotos verstümmelter Leichen. Die Spur führt zu einem Haus in einem Dorf außerhalb Belgrads mit einem versteckten Raum, der nur durch ein Loch in der Wand erreichbar ist. Darin unter anderem ein Fleischwolf, durch den die Verbrecher die Leichen drehten, um sie danach zu entsorgen.
Arbeit für den Präsidenten
Der Prozess in Belgrad bringt nun auch Verbindungen dieser Gruppe zur Politik ans Licht. Der Investigativjournalist Stevan Dojcinovic verfolgt die Verhandlung gegen den Clan seit Beginn.
Belivu habe im Prozess erklärt, "dass es seine Rolle war, Demonstrationen für (den serbischen Präsidenten Aleksandar) Vucic zu unterstützen und Oppositionsproteste zu stören", sagt Dojcinovic. "Er listete politische Gefallen auf, um die Vucic ihn bat."
Beobachter gehen davon aus, dass der serbische Präsident Aleksandar Vucic Hooligan-Clans für seine Zwecke einsetzte.
Polizist als Clanchef
Eine führende Rolle spielte wohl auch der Polizist Nenad Vuckovic, ein weiterer führender Vertreter der Hooligans. Auf einem Foto ist er mit dem mutmaßlichen Mehrfachmörder Belivuk zu sehen. Der Polizist habe die Gruppe aber nicht allein kontrolliert, das Ganze sei wesentlich höher hinauf gegangen, so Dojcinovic.
In einer geleakten Kommunikation zwischen Belivuk und dem Polizisten, die der ARD vorliegt, schreibt Belivuk, er fürchte niemanden und sei bereit. Daraufhin antwortet der Polizist, das wisse er, der "Chef" wisse es auch, ebenso der "große Chef".
Für Dojcinovic ist klar, dass mit "Chef" der frühere Innenminister und mit "großem Chef" Präsident Vucic gemeint sei. Anfragen der ARD an das Staatsoberhaupt blieben unbeantwortet. Auch zu Vorwürfen gegen seinen Sohn Danilo wollte er sich nicht äußern. Auf einem Foto posiert Danilo Vucic eng umschlungen mit einem Vertrauten von Belivuk, den die Polizei als Clanmitglied führt.
Der frühere Innenminister Nebojsa Stefanovic muss sich eines Verdachts erwehren. Steht er in enger Verbindung zu einem Drogenclan?
Gangmitglieder gegen Demonstranten
Die Journalistin Brankica Stankovic ist Kennerin der Szene. Die Politik mache sich die gut funktionierende Hooligan-Szene zu Nutze, sagt sie: "Sie sind organisiert und für jeden Missbrauch sehr geeignet. Sie verwandeln sich in wütende Horden, die sich jedem Aufruf der Machtstrukturen fügen, ganz egal was auf der Agenda steht."
Bei Vucics Amtseinführung 2017 zum Beispiel wurden Demonstrierende von gewalttätigem Sicherheitspersonal entfernt. Einer der Männer konnte als Teil der Belivuk-Gang identifiziert werden.
"Muss über Verstrickung mit dem Staat sprechen"
Stankovic recherchiert seit 2009 in der Hooliganszene, zeigt die Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Im Stadion wird sie daraufhin zur Hassfigur. Bei einem Spiel von Partizan gegen Schachtar Donezk malträtieren Fans eine Brankica-Puppe, Sprechchöre bezeichnen sie als Hure, drohen ihr mit dem Tod. Seitdem lebt sie unter Polizeischutz.
Das habe ihr Leben auf kaum vorstellbare Weise verändert, erzählt Brankica: "Der Alltag ist unglaublich kompliziert und umständlich. Ich habe aufgehört, auszugehen. Eine Zeit lang haben sich 70 Polizisten um meine Sicherheit gekümmert. Das war zu einem Zeitpunkt, wo die Polizei angeblich mitbekommen hat, dass in der Szene ein Sniper-Gewehr angeschafft wurde, um mich umzubringen."
Den großen Gerichtsprozess gegen Belivuks Gang hält sie für wichtig. Trotzdem ändere sich nichts, wenn man nicht die Strukturen dahinter aufdecke und endlich über die Verstrickungen mit dem Staat spreche, ist Stankovic überzeugt.
Die bestialischen Morde werden nun aufgearbeitet. Angeklagt sind Hooligans, die Bosse der serbischen Unterwelt. Politiker oder Polizisten stehen bisher nicht vor Gericht.
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