Minderheiten in Österreich Die Angst vor einem Kanzler Kickl
In Österreich kommen die Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP voran. Für FPÖ-Chef Kickl ist das Kanzleramt in greifbare Nähe gerückt. Das löst bei vielen Menschen Angst aus.
Die Temperaturen liegen um den Gefrierpunkt, als sich am vergangenen Donnerstag tausende Menschen vor dem Bundeskanzleramt in Wien versammeln. Eine junge Frau mit Piercing neben einem elegant gekleideten älteren Herren mit Hut, schräg dahinter ein Vater mit Kleinkind auf den Schultern. Alle Altersgruppen sind vertreten, von der Kälte lässt sich an diesem Abend niemand abschrecken. Pfiffe, Sprechchöre, Buhrufe sind zu hören. Die Menschen hier eint die Wut auf das Scheitern der Koalitionsgespräche der Parteien der Mitte in der Vorwoche - und die Angst vor einem Kanzler Herbert Kickl.
Einer von ihnen ist Alon Ishay. Der Informatikstudent ist Präsident der jüdischen Hochschülerschaft. Dass der Regierungsbildungsauftrag in Österreich nun an eine Partei vergeben wurde, die von rechten Burschenschaften durchzogen sei und die sich niemals glaubwürdig von NS-Ideologie losgesagt habe, sieht er als klare Bedrohung für Jüdinnen und Juden in Österreich:
"Wir stehen mit dem Regierungsbildungsauftrag an die FPÖ und Herbert Kickl vor der rechtsextremsten Regierung, die es in Österreich seit 1945 gab. Die FPÖ spricht davon, Menschen die Staatsbürgerschaft entziehen zu wollen, Menschen deportieren zu wollen. Das alles gab es das letzte Mal vor 80-90 Jahren und für uns ist klar: Dort möchten wir nie wieder hin."
"Das ist nicht mehr mein Österreich"
Doch nicht nur die Jüdische Gemeinschaft in Österreich sorgt sich vor einer möglichen Kanzlerschaft Kickls. Auch für Menschen, die sich einer Minderheit zurechnen, könnte das Klima im Land deutlich rauer werden. Eine junge schwarze Frau hat sich fest in eine EU-Flagge gewickelt. Sie fürchte sich vor Ausgrenzung, erzählt sie und möchte lieber anonym bleiben.
Immer wieder packe sie die Angst, ausgewiesen zu werden, wenn sie an Kickls Konzept der Remigration, der massenhaften Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund denke:
Kickl hat ja erst vor kurzem gesagt, ich weiß nicht, was an Remigration so böse sein soll. Ein Österreich, das nur noch österreichische Kultur, was auch immer das sein soll - Schnitzel und Bier - hochhält, das ist nicht mehr mein Österreich.
Asyl-Aberkennungsverfahren laufen schon
Ähnlich sieht das der Syrer Abdulhkeem Alshater, 44 Jahre alt, aus Homs. Nachdem er sich im Widerstand gegen das Assad-Regime engagierte, musste er 2015 fliehen und kam nach Wien, wo er den säkularen Verein Freie Syrische Gemeinde gründete.
Er habe alles erdenklich Schreckliche erlebt, erzählt er - ein Rechtsruck in Österreich könne ihm persönlich keine Angst einjagen. Die habe er eher um seine Tochter, die dann vermehrt unter Rassismus und Diskriminierung leiden müsse.
Schon seit Anfang Dezember, laufen in Österreich bereits Asyl-Aberkennungsverfahren für Syrer, durchgesetzt noch unter der alten, von der konservativen ÖVP geführten Regierung. Alshater bekomme täglich hunderte Anrufe von Menschen, die weder schlafen noch essen könnten. Die syrische Community sei komplett verunsichert, was sich unter einer schwarz-blauen Regierung noch verschärfen dürfte.
Kickls weitreichende Pläne
Weitere Pläne der Kickl-FPÖ sehen ein Ende der Russland-Sanktionen vor, ein Zusammenstutzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ein Verbot des "politischen Islam", sowie des "Gender- und Woke-Wahnsinns".
Im Wahlkampf machte Kickl immer wieder deutlich, dass er Österreich in einem Kulturkampf sieht. In den Bierzelt waren Hetze gegen die LGBTIQ-Community und ihre Regenbogen-Fahnen immer etwas, mit dem sich der FPÖ-Vorsitzende Lacher und Zustimmung sichern konnte.
Verlieren queere Menschen Rechte?
Ann-Sophie Otte tritt häufig mit dem Regenbogen-Symbol auf. Sie ist die Vorsitzende des Lesben- und Schwulenverbands Österreich und wie viele der Mitglieder in Sorge.
Seit Corona sei die Gesellschaft ohnehin entfesselt, Hassverbrechen gegen Schwule oder Lesben wie Anspucken auf der Straße oder hinterher gebrüllte Beleidigungen nähmen zu. Zudem sei es eine reale Angst, dass queere Menschen unter einer schwarz-blauen Regierung Rechte verlieren würden.
Die Sorge ist groß, dass sich Zugang zu adäquater medizinischer Behandlung von Transgenderpersonen verschlechtern, dass die häufig als "Homo-Heilung" bezeichnete, sogenannte Konversionstherapie wieder mehrheitsfähig werden könnte - für Otte ein Horrorszenario.
Fortschritte bei FPÖ-ÖVP-Gesprächen
Doch FPÖ und ÖVP haben in ihren Koalitionsvereinbarungen Fortschritte erzielt und sich auf Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung verständigt - eine der Fragen, an der die Koalitionsverhandlungen der Parteien der Mitte gescheitert waren.
Es sieht ganz danach aus, dass es es für den Mann, der "Volkskanzler" werden will - ein Begriff den schon Hitler gebrauchte - keine großen Hindernisse mehr auf dem Weg an die Macht gibt.