Europawahl 2024
Österreich vor der Europawahl Vorspiel zum Machtwechsel im Herbst?
Seit Monaten ist in Österreich die rechtsnationale FPÖ die stärkste Kraft. Die Europawahl gilt für sie als wichtiger Test vor der nationalen Wahl im Herbst. Der Wahlkampf zeigt: Extrem rechte Politik ist im Land längst etabliert.
Es ist brechend voll im Bierzelt am Urfahranermarkt in Linz. Menschen in Tracht schwenken kleine rot-weiß-rote Österreich-Fähnchen, stehen schunkelnd und singend auf den Bierbänken. Sie alle wollen einen Blick auf den Mann erhaschen, der Österreich seit Monaten verspricht, eines Tages der neue "Volkskanzler" zu werden.
Herbert Kickl, ehemaliger Philosophiestudent und nun Chef der rechtsradikalen FPÖ, bahnt sich den Weg durch die ihm zujubelnde Menge, flankiert von Parteigenossen und jungen Frauen in Dirndl mit Piercing, die stolz die Landesfahne vor sich hertragen.
Viele hier sind unzufrieden mit der Politik der sogenannten etablierten Parteien, trauen ihnen nicht mehr zu, das Land zu führen. Kickl geht in seiner Rede genau darauf ein, verspricht den Menschen, sich um Österreich zu kümmern, statt um die großen Probleme dieser Welt, was die Menge mit tosendem Applaus belohnt.
Im Bierzelt verfängt der Sozialneid
Die anstehenden Europawahlen sind für die FPÖ ein willkommener Stimmungstest vor den Nationalratswahlen im Herbst. Als Spitzenkandidat schickt sie den Rechtspopulisten Harald Vilimsky ins Rennen. Ein 57-jähriger Mann mit Bürstenhaarschnitt, der seit zehn Jahren im EU-Parlament sitzt. Dort ist er, zusammen mit anderen europäischen Rechtspopulisten wie der italienischen Lega, Teil der Fraktion Identität und Demokratie.
Vilimskys Fraktion punktet bei ihrer Wählerschaft vor allem mit dem Versprechen, illegale Migration zu bekämpfen. Auch im Linzer Bierzelt ist das Thema, und der Sozialneid, den die FPÖ seit Jahren schürt, scheint zu verfangen. Die Österreicher würden nichts mehr bekommen, die Asylanten hingegen alles, beschwert sich eine blonde Frau.
Am Nebentisch sorgt sich eine Mutter um die Sicherheit ihrer jugendlichen Tochter. Sie selbst habe in ihrer Jugend überall alleine hingehen können, was für Mädchen heute nicht mehr möglich sei. "Wir gegen die" - auf diese Parole schwören sich die Menschen ein. Feindbild sind die Medien, Ausländer und alles, was in den Augen der FPÖ "woke" ist:
Wir sind für die direkte Demokratie, für die echte Normalität und gegen diese linke Gehirnwäsche, diesen Regenbogenkult, diesen Genderwahnsinn, diesen Woke- und Cancle-culture-Irrsinn.
Rechte Positionen sind hier salonfähig
In Österreich hat man sich, im Gegensatz zu Deutschland, daran gewöhnt, dass Rechtsnationale die Politik mitbestimmen. Im Jahr 2000 unterzeichnete der konservative damalige Kanzler Wolfgang Schüssel den Koalitionsvertrag mit FPÖ-Mann Jörg Haider. Seitdem sind extrem rechte Positionen in Österreich salonfähig.
In den Bundesländern Oberösterreich, Salzburg und Niederösterreich ist die FPÖ mit an der Regierung, in einigen niederösterreichischen Gemeinden konnten die Partei bei der letzten Landtagswahl enorme Gewinne erzielen. So auch in der Gemeinde Pernitz im Süden von Wien, wo die FPÖ um ganze 19 Prozent zulegte, auf 35 Prozent.
FPÖ in der Arbeiterschaft beliebteste Partei
Der zweite Bürgermeister des Ortes, Markus Panzenböck, Lehrer und Mitglied bei den Grünen, ist schockiert vom Rechtsruck in seiner Gemeinde. Die erfolgreiche Strategie der FPÖ sei es, mit Ausgrenzung und Ressentiments gegen Schwächere für "den kleinen Mann" zu kämpfen. Inzwischen ist die FPÖ in der Arbeiterschaft zur beliebtesten Partei aufgestiegen.
Wo in Pernitz, Standort einer großen Papierfabrik, früher also die Mehrheit die sozialdemokratische SPÖ gewählt hat, wandern diese Wählerinnen und Wähler nun zur FPÖ ab. Dabei zeigt ein Blick auf ältere Wahlprogramme, dass die Wirtschaftspolitik der FPÖ eher Wohlhabende und Unternehmer entlasten will, während bei den Sozialausgaben gespart werden soll.
Schubsen und Handgreiflichkeiten inklusive
Im Linzer Bierzelt ist es inzwischen Mittag geworden, es hat gefühlte 40 Grad Celsius, das Bier fließt in Strömen, und Pöbler im Zelt fühlen sich, auch durch markige Worte der anwesenden Politiker, dazu ermutigt, öffentlich-rechtlichen Medien mal so richtig die Meinung zu sagen. Schubsen und Handgreiflichkeiten inklusive. Erst der Sicherheitsdienst kann die Situation entspannen und bringt den aggressiven Mann aus dem Zelt.
Die Stimmung ist ein kleiner Vorgeschmack auf das, was Österreich erwarten könnte, wenn die FPÖ wieder bundesweit in die Regierung kommt. Von der Europäischen Union halte er übrigens gar nichts mehr, die Kommissionspräsidentin gehöre vor ein Gericht, erklärt ein wütender älterer Herr mit Schirmmütze, der sich draußen zwischen den Fahrgeschäften des Jahrmarkts in Rage redet. Früher sei er Sozialdemokrat gewesen, jetzt wähle er die FPÖ. Und die EU, die gehöre zerschlagen.
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