Europawahl 2024
Die Europäischen Rechten Selbstzerlegung kurz vor der Wahl
Die extremere der beiden rechten Fraktionen im EU-Parlament, die ID, verkleinert sich mit dem Ausschluss der AfD. Wo diese sich im Fraktionsgefüge künftig einordnen wird, ist noch ungewiss.
Die Fraktion Identität und Demokratie (ID) steht im Europaparlament am weitesten rechts. Bislang waren der französische Rassemblement National (RN ), die italienische Lega und die AfD die wichtigsten Parteien, die sich in ihr zusammengefunden haben.
Schon lange schwelende Spannungen innerhalb der Fraktion haben mittlerweile einen neuen Höhepunkt erreicht. Nach der Ankündigung der französische RN von Marine Le Pen, im neuen EU-Parlament nicht mehr mit der AfD zusammen arbeiten zu wollen, hat die Fraktion nun die AfD mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen.
Auslöser war ein Interview des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah mit der italienischen Tageszeitung La Repubblica, in dem er sagte, nicht alle SS-Mitglieder seien Verbrecher gewesen. Der RN und die italienische Lega distanzierten sich daraufhin von der AfD, die, so Le Pen, ein "Führungsproblem" habe.
Rechte Franzosen und Italiener am stärksten
Damit verändert sich die Fraktion, deren Ziel es ist, mehr Kompetenzen in die Nationalstaaten zurück zu holen und die illegale Migration zu stoppen - durch radikale Lösungen an der EU-Außengrenze und durch regelmäßige Grenzkontrollen an den Binnengrenzen. Auch das Recht auf Asyl wird von ihr in der bisherigen Form in Frage gestellt.
Die ID war bislang mit 59 Abgeordneten die zweitkleinste Fraktion. Ihr Chef ist der Italiener Marcio Zanni von der Lega. Großen Einfluss hat Jordan Bardella, der Spitzenkandidat des RN, ein eloquenter 28-jähriger Senkrechtstarter mit italienisch-algerischen Wurzeln, der auch Migranten ansprechen will, Elitendenken ablehnt und mit der AfD nichts anfangen kann. Der RN ist mit 16 Abgeordneten führende Partei in der Fraktion, in der Parlamentarier aus neun EU-Ländern vertreten sind.
Die italienische Lega stellt hier zwar sogar 23 Abgeordnete und ist stärkste Kraft, hat aber Konkurrenz durch die Partei Fratelli d'Italia der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Fratelli d'Italia hat sich jedoch nicht der ID, sondern der im rechten Bereich konkurrierenden EKR-Fraktion angeschlossen und gewinnt dort immer mehr Einfluss.
AfD noch mit neun Sitzen vertreten
Die AfD war bislang mit neun Parlamentariern vertreten, die österreichische FPÖ ist mit drei Abgeordneten dabei, ebenso wie die belgische Vlaams Belang (VP), die in Umfragen vor der im Juni ebenfalls anstehenden Parlamentswahl in Belgien zu einer der stärksten Kräfte aufgestiegen ist.
Durch den Ausschluss aus der ID-Fraktion verliert die AfD nun viele Vorteile. Dazu gehören zusätzliche Geldmittel, die Mitarbeit in Ausschüssen - die Möglichkeit, Beschlussvorlagen einzubringen, ist für Fraktionslose nicht möglich.
Eine neue Fraktion zu gründen, um aus der Isolation zu kommen, dürfte für die AfD eine große Herausforderung werden. Denn dazu müssen sich mindestens 23 Parlamentarier aus sieben EU-Staaten zusammenschließen.
Verhältnis zu Russland und China
Das Abstimmungsverhalten in der ID-Fraktion war nicht einheitlich. Ihre gemeinsame Forderung, "nationale" Interessen zu vertreten, lässt sich wegen denkbar unterschiedlicher nationaler Befindlichkeiten und Schwerpunkte oft kaum durchsetzen.
Gesetzesvorhaben der EU zum Umwelt- und Klimaschutz wurden von der AfD öfter abgelehnt als von anderen Parteien in der ID. Ebenso wurden vor allem von der AfD EU-Maßnahmen gegen Ungarn und Polen wegen Verstößen gegen europäische Werte kritisch betrachtet.
Die Position zu Russland wiederum ist von einer gewissen Stringenz gekennzeichnet. Ebenso wie die AfD unterhält der rechtsextreme RN enge Beziehungen zu Russland. Der Abschlussbericht eines Untersuchungsausschuss zu den Gefahren ausländischer Einmischung im französischen Parlament besagt, dass sich die RN in "völliger Übereinstimmung" mit russischer Rhetorik befinde.
Die AfD pflegte zudem Kontakte zu China und setzte sich mit der Forderung des unbeschränkten freien Handels gegen Beschränkungen für China ein. Auch das Infrastrukturprojekt der "Seidenstraße" von China nach Westeuropa wurde unterstützt. Während der RN eher auf den Schutz der eigenen Märkte setzt, plädierte Krah in Richtung Marktöffnung vor allem nach China.
Verhältnis zur EKR-Fraktion
Die Grenzen zwischen ID und der EKR-Fraktion verwischen inhaltlich teils, spätestens seitdem der ehemalige französische Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour mit seiner Partei in der konkurrierenden EKR vertreten ist.
Zemmour sieht die Werte der westlichen Kultur durch den Islamismus bedroht und gilt als radikal migrationsfeindlich. Es ist ein Kurs, der wiederum näher an der Programmatik der nun ausgeschlossenen AfD liegt als der des RN, der das Wählerreservoir der Mitte ausschöpfen will.
Die rechten Parteien im Europaparlament werden sich nun neu sortieren müssen. Ein Zusammenschluss der Fraktionen ID und EKR scheint in der Ferne zu liegen. Wo sich die AfD einordnen wird, ist ebenso offen.