Slowakei Ein Wahlsystem der Extreme
Bei den Parlamentswahlen in der Slowakei Ende September zeichnet sich ein Sieg der prorussischen und autoritären Kräfte ab. Dabei helfen könnte ihnen das Wahlsystem, warnen Politikwissenschaftler.
Die Wahlen 2016 waren ein Weckruf in der Slowakei. Zum ersten Mal zog die rechtsextreme Partei "Unsere Slowakei" ins Parlament ein, eroberte auf Anhieb 14 der 150 Mandate. Kopf der Partei ist Marian Kotleba, ein Mann mit radikalen Überzeugungen: Er tritt in von der NS-Zeit inspirierten Uniformen auf und hetzt mit antisemitischen Parolen.
Kotlebas Getreue sind aber schon lange nicht mehr die einzigen, die mit populistischen Maschen um Wählerstimmen buhlen. Eine noch radikalere Abspaltung macht sich unter dem Namen "Republika" bei den bevorstehen Wahlen Hoffnung auf ein zweistelliges Ergebnis. Und auch der erfahrene Polit-Matador Robert Fico zielt immer offener auf die dunkelste Seite der Menschen.
Als nach dem Auftragsmord am Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten 2018 zu Tage trat, wie sehr die slowakische Politik mit mafiösen Gruppen verfilzt ist, musste Fico als Premierminister zurücktreten. Doch von dem hoffnungsvollen Neustart des Landes ist fünf Jahre später wenig übrig.
Bei den kommenden Wahlen wird Fico wahrscheinlich sein politisches Comeback feiern - allerdings in neuer Justierung. Der Ex-Premier habe sich ganz bewusst entschlossen, unzufriedene Wähler mit radikaler Rhetorik anzusprechen, sagt der Soziologe Miloslav Bahna von der Slowakischen Akademie für Wissenschaften.
Wunsch nach Russlandnähe
Ficos Partei Smer-SD trägt die Sozialdemokratie im Namen. Hört man sich die Reden der Führungsriege an, muss man sie aber inzwischen als rechtspopulistisch und russlandfreundlich bezeichnen. "Krieg und Faschismus sind immer aus dem Westen gekommen, Freiheit und Frieden immer aus dem Osten", ruft Ľuboš Blaha einem jubelnden Publikum entgegen. Der 43-jährige studierte Politologe und Vizevorsitzende der Smer-SD hofft auf einen Ministerposten im neuen Kabinett. Er ruft dazu auf, die Slowakei von "der euro-amerikanischen Okkupation" und einem "Faschismus in Regenbogenfarben" zu befreien.
Solche Parolen kommen gut an in der Slowakei. Nach einer Umfrage der Tageszeitung "Denník N" hätten 30 Prozent der Slowakei nichts dagegen, wenn ihr Land wieder in den russischen Einflussbereich käme. Die Zeiten der Okkupation nach 1968 waren in der Slowakei die Jahre, in denen das rückständige Agrarland sich verhältnismäßig erfolgreich in einen Industriestaat transformierte.
Viele Slowaken schauen deshalb milde auf die Vergangenheit - und das sei der Humus, auf dem russische Desinformation in der Slowakei so gedeihen könne wie in fast keinem anderen Land der EU, sagen die Journalisten bei "Denník N". Hinzu kommt: Nach der Enttäuschung über das Versagen der demokratischen Politiker in den zurückliegenden Jahren wünschen sich viele Slowaken wieder einen starken, autokratischen Herrscher herbei.
Zentralisierung qua Wahlsystem
Das Wahlsystem, das für das ganze Land nur einen Wahlkreis vorsieht, kommt diesen Wünschen entgegen: Zwar garantiert der Einheitswahlkreis jeder Wählerstimme im Lande das gleiche Gewicht, doch fördert er zugleich die Tendenz der Parteien, den Wahlkampf auf den Spitzenkandidaten zu fokussieren. Dieser kämpft dann als Führerfigur mit zugespitzter Rhetorik landesweit um Aufmerksamkeit und Wähler.
Das sorge für eine weitere Zentralisierung und schwäche die ohnehin kaum vorhandene Verankerung der Parteien in den Regionen noch weiter ab, klagt Darina Malová, Professorin für Politikwissenschaften an der Comenius-Universität Bratislava. Politik, so erlebten es viele Slowaken, werde von "denen da oben" im entfernten Bratislava gemacht.
Regionale Probleme und Unterschiede, die es auch in der Slowakei gebe, spielten in dem landesweiten Einheitswahlkreis dagegen keine Rolle. Bei den Wählern stärke das den Hang zum Protest, zu radikaleren Positionen, meint Malová. So sei es auch das slowakische Wahlsystem, das die Chancen populistischer Parteien befördere.
Die liberale Leitfigur tritt ab
Präsidentin Zuzana Čaputová ist zunehmend in der Defensive. Als liberale Leitfigur des Landes und als Anker der Westorientierung der Slowakei bleibt ihr nur die Hoffnung, dass es bei den Wahlen keinen klaren Sieg der Populisten geben wird. "Diese Wahlen sind eine Abstimmung, ob die Slowaken ihre Demokratie und pro-westliche Orientierung erhalten wollen", sagt Čaputová im Gespräch mit dem ARD-Studio Prag.
Sie selbst ist aber der Beweis dafür, dass der erstarkende Populismus die Slowakei bereits erodiert: Im März 2019 war die Bürgerrechtlerin, für viele überraschend, in Direktwahl zum Staatsoberhaupt gewählt worden. Als beliebteste Politikerin des Landes hätte sie eine zweite Amtszeit nahezu sicher. Im Juni verzichtete sie aber auf die Kandidatur. Ihr fehle dazu die Kraft, erklärte sie. Die Anfeindungen, auch ihrer Familie gegenüber, hätten zu tiefe Spuren hinterlassen.
Viele sehen in dem Rückzug Čaputovás auch einen Sieg der Unkultur über den Anstand - ein Sieg, der sich in den Wahlen am letzten Septemberwochenende nicht wiederholen dürfe.