Regierungskrise in Großbritannien Chaotische Abstimmung im Unterhaus
Die britische Regierung und die Tory-Partei kommen nicht zur Ruhe: Eine Abstimmung im Unterhaus verläuft am Abend chaotisch. Zuvor war Innenministerin Braverman zurückgetreten.
Die Lage der angeschlagenen britischen Regierung unter Liz Truss verschärft sich weiter, nachdem am Abend eine Abstimmung im Unterhaus in chaotischen Szenen verlaufen war. Zuvor hatte bereits Innenministerin Suella Braverman ihr Amt niedergelegt. Verwirrung gab es um die angeblichen Rücktritte von Teilen der Tory-Fraktionsführung. Zunächst hieß es, Chief Whip (Chefeinpeitscherin) Wendy Morton, zuständig für die Fraktionsdisziplin, sei kurz nach einer Abstimmung im Unterhaus zurückgetreten. Erst am späten Abend stellte das Büro der Premierministerin klar: Morton und ihr Stellvertreter sind weiterhin im Amt.
Chaos bei Abstimmung über Frackingverbot
Die Abstimmung hatte die Tory-Fraktionsführung zuvor zur Vertrauensabstimmung über die Regierung erklärt. Berichten britischer Medien zufolge sei die interne Ansage klar gewesen: Wer sich nicht an die Fraktionsdisziplin halte, werde ausgeschlossen. Erst in letzter Minute sei die Regierung zurückgerudert.
Bei dem Votum ging es um einen Labour-Antrag für ein Fracking-Verbot. Premierministerin Truss hatte kürzlich ein Moratorium für das umstrittene und umweltschädliche Fracking aufgehoben, um Großbritannien unabhängiger von Energieimporten zu machen. .
Doch Fracking ist auch bei vielen Tories unbeliebt. Zwar stimmten sie mit großer Mehrheit gegen den Labour-Antrag, doch viele sollen dies nur äußerst widerwillig getan haben. Zudem hat den Daten des Parlaments zufolge Premierministerin Truss selbst nicht an der Abstimmung teilgenommen.
Labour-Abgeordnete wie Chris Bryant und weitere Oppositionsmitglieder erhoben außerdem den Vorwurf, konservative Abgeordnete seien teilweise mit Schreien und Stößen in eine bestimmte Richtung gedrängt worden und hätten nicht frei und ungehindert wählen können.
Zuvor Rücktritt der Innenministerin
Zuvor hatte das Kabinett Truss die zweite Ministerin binnen weniger Tage verloren. Innenministerin Suella Braverman trat zurück. Als Grund nannte sie einen Fehler: Sie habe ein offizielles Regierungsdokument über einen persönlichen E-Mail-Account verschickt. "Ich habe einen Fehler gemacht, ich übernehme die Verantwortung, ich trete zurück", schrieb sie an die Regierungschefin. Das Schreiben an einen Parlamentskollegen sei bereits in weiten Teilen öffentlich bekannt gewesen, dennoch handele es sich um einen Fehler.
Zweifel an Regierungskurs
Sie habe außerdem ernste Zweifel am Kurs der Regierung unter Truss, schrieb Braverman weiter. Man habe zentrale Wahlversprechen gebrochen. Insbesondere kritisierte die rechte Hardlinerin die Einwanderungspolitik: Sie habe "große Bedenken hinsichtlich des Bekenntnisses dieser Regierung zu unserem Wahlprogramm, wie die Gesamtzahl der Einwanderer zu begrenzen und illegale Migration zu stoppen, besonders die gefährlichen Bootsüberquerungen".
Braverman machte immer wieder mit Äußerungen zu ihren Plänen für ein härteres Vorgehen bei Abschiebungen von sich reden. Kürzlich wetterte sie im Parlament gegen "Tofu essende" Linke.
Nachfolger gilt als moderat und erfahren
Bravermans Nachfolger steht bereits fest: Grant Shapps, im Kabinett von Boris Johnson Verkehrsminister, wurde von Truss zum neuen Innenminister ernannt. Der 54-Jährige gilt als erfahren und Teil des moderaten Flügels der Tories. Seine Ernennung wird daher auch als Versuch von Truss gewertet, wieder größere Teile der Partei hinter sich zu vereinen.
Premierministerin lehnt eigenen Rücktritt ab
Erst am Freitag hatte die auch aus den eigenen Reihen schwer unter Beschuss stehende Premierministerin ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng gefeuert. Ihren eigenen Rücktritt lehnte Truss aber erneut ab: "Ich bin eine Kämpferin und keine Drückebergerin," hatte sie im Parlament auf die Frage des Parteichefs der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer, warum sie überhaupt noch da sei, geantwortet. "Ich habe klar gemacht, dass es mir leid tut und dass ich Fehler gemacht habe", so Truss.
Viel Ärger um Steuerpläne
Es war die erste Fragestunde mit der Premierministerin im britischen Unterhaus nach ihrer Kehrtwende bei den Steuerplänen vergangene und Anfang dieser Woche. Truss ist erst seit Anfang September im Amt. Dennoch steht sie bereits massiv unter Druck. Ihr Steuersenkungspaket hatte wegen fehlender Gegenfinanzierung zu Turbulenzen an den Finanzmärkten und zu heftigem Unmut auch in den Reihen der Regierungspartei geführt.
Daraufhin ließ Truss zunächst ihren Vertrauten, Finanzminister Kwasi Kwarteng, die geplante Steuersenkung für Spitzenverdiener zurücknehmen. Am Freitag entließ sie ihn dann. Der neue Finanzminister Jeremy Hunt kippte das geplante Finanzpaket am Montag fast vollständig.