Russland zu ukrainischem Vorstoß 120.000 Menschen müssen Region Kursk verlassen
Nach verstärkten Angriffen der Ukraine im Grenzgebiet hat Russland weitere Menschen evakuiert - nach eigenen Angaben allein 120.000 in der Region Kursk. Präsident Putin erteilt unterdessen Verhandlungen mit der Ukraine eine Absage.
Wegen des ukrainischen Vorstoßes in das russische Grenzgebiet Kursk mussten nach Behördenangaben etwa 120.000 Menschen ihre Dörfer verlassen.
Weitere 60.000 Menschen hielten sich noch in den Landkreisen auf, die zur Sicherheit geräumt werden müssten, sagte der kommissarische Gouverneur von Kursk, Alexej Smirnow, in einer Beratung mit Russlands Präsident Wladimir Putin.
"Die Lage ist schwierig"
Smirnow nannte weitere Zahlen, die das Ausmaß der seit sieben Tagen laufenden Offensive der Ukraine verdeutlichen: 28 Ortschaften seien in ukrainischer Hand, der Aufenthaltsort von etwa 2.000 Personen sei unklar. "Die Lage in der Region ist schwierig", sagte Smirnow laut russischer Nachrichtenagenturen.
Seinen Angaben nach betrifft die Evakuierung sechs Landkreise des Gebietes Kursk, die an die Ukraine grenzen. Dazu kämen zwei Kreise in der Nähe des Kernkraftwerks Kursk.
Karte der Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Klagen über schlecht organisierte Evakuierungen
Der Gouverneur erklärte weiter, die ukrainische Armee sei auf 40 Kilometer Breite etwa 12 Kilometer tief auf russisches Gebiet vorgestoßen. Von Bürgern in der betroffenen russischen Region gab es in den vergangenen Tagen viele Klagen, dass die Evakuierung schlecht organisiert sei. Tausende flüchteten aus ihren Heimatorten.
Überprüfbar waren die Angaben nicht. Smirnow wurde per Video zu der Beratung in Putins Residenz bei Moskau zugeschaltet.
Ukraine: Kontrollieren 1.000 Quadratkilometer Land
Die Ukraine gibt unterdessen an, inzwischen etwa 1.000 Quadratkilometer der russischen Region Kursk zu kontrollieren. Präsident Wolodymyr Selenskyj veröffentlichte auf dem Kurznachrichtendienst Telegram ein Video eines entsprechenden Berichts von Armeechef Oleksandr Syrskyj. Die angegebene Fläche entspricht etwas mehr als der von Berlin.
Er selbst habe für das Gebiet die Erstellung eines "humanitären Plans" in Auftrag gegeben, so Selenskyj.
Vorwurf Kriegsverbrechen
Derweil versucht Russland nach Darstellung des ukrainischen Geheimdienstes, den ukrainischen Truppen Kriegsverbrechen zu unterstellen. Der Sicherheitsdienst SBU schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Telegram, ihm lägen Informationen vor, wonach Russland selbst Verbrechen begehen könnte und dann die Ukraine dafür verantwortlich machen würde.
Eine russische Stellungnahme dazu gab es zunächst nicht. Die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA hatte gemeldet, die ukrainischen Truppen hätten bei ihrem Vorstoß nach Kursk Chemiewaffen eingesetzt. Dies würde ein Kriegsverbrechen darstellen. Belege für einen Einsatz derartiger Waffen lagen aber nicht vor.
Putin erteilt Verhandlungen Absage
Unterdessen rief Putin rief die Streitkräfte seines Landes auf, die in die Region um Kursk vorgestoßenen ukrainischen Einheiten aus dem russischen Staatsgebiet zurückzudrängen.
Die Führung in Kiew wolle mit dem Vorstoß auf russisches Gebiet ihre künftige Verhandlungsposition stärken, sagte Putin weiter. Er erteilte Verhandlungen aber eine Absage. "Über welche Art von Verhandlungen können wir überhaupt mit Leuten reden, die wahllos Zivilisten und zivile Infrastruktur angreifen oder versuchen, Atomkraftwerke zu gefährden", so Putin. Nach einem Brand am russisch besetzten Atomkraftwerk Saporischschja geben sich beide Seiten derzeit die Schuld an dem Feuer.
Russland: Ukrainische Drohnen abgeschossen
Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, man sei dabei, ukrainische Angriffe innerhalb Russlands abzuwehren. Man habe mehrere Panzer zerstört und zudem in der Nacht fünf Drohnen über Belgorod sowie elf über Kursk abgeschossen.
Bundesregierung: Operation "ohne Rückkoppelung"
Die Bundesregierung hält sich bei einer Bewertung des ukrainischen Vorrückens auf russischem Gebiet bedeckt. Die Operation laufe "offenbar sehr geheim und ohne Rückkoppelung", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner. "Alles sieht bisher nach einem räumlich begrenzten Einsatz aus, es wäre deswegen unklug, sich auf dieser Grundlage öffentlich zu äußern." Die Bundesregierung sei mit allen Partnern, auch mit der Regierung in Kiew, in einem engen Austausch.
Auf die Frage, ob die Ukraine bei dem Einsatz von Deutschland gelieferte Waffen einsetze, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, die Ukraine habe zugesichert, die Waffen im Rahmen des Völkerrechts zu nutzen.
Kiews größter Vorstoß seit Kriegsbeginn
Der ukrainische Vorstoß in Kursk ist der größte auf russisches Territorium seit dem Beginn des Krieges. Russland hatte die Ukraine im Februar 2022 überfallen und hält seitdem Teile des Nachbarlandes besetzt.
Die Ukraine steht an den Fronten im eigenen Land stark unter Druck. Die Angriffe haben der ukrainischen Armee in den vergangenen Tagen mehr Bewegungsfreiheit verschafft und die russische Seite vor unerwartete Probleme gestellt.