Krieg gegen die Ukraine Wie ein Rabbi gegen russische Propaganda kämpft
2022 schlugen an einer jüdischen Gedenkstätte in Kiew russische Raketen ein - der Ort an dem etwa 80 Jahre zuvor deutsche Besatzer schätzungsweise 100.000 Menschen töteten. Ein Rabbi kämpft seitdem mit Videos gegen russische Propaganda.
"Alles ist jetzt anders", singt Mosche Asman in einem seiner Musikvideos über den russischen Großangriff. Der Rabbi der Kiewer Brodsky Synagoge steht im weißen Hemd am Mikro, weiße kurze Haare, langer ergrauter Bart, sehr hellblaue Augen. In den rund vier Video-Minuten geht Mosche Asman an den Massengräbern getöteter Zivilisten vorbei, an schwarzen Leichensäcken in Butscha, an zerstörten schwarz ausgebrannten Häusern, an Autowracks, in denen Menschen starben.
Mit ernster Miene lässt er die Dinge auf sich wirken. Mal in dicker blauer Jacke im Schneegestöber. Mal mit Schutzweste und Helm, mal mit schwarzem steifen Hut und Mantel in der verwinkelten Brodsky-Synagoge in Kiew, in der sich ganz oben sein Büro befindet.
"Vor dem Großangriff war ich nicht so aktiv wie jetzt", sagt er und lehnt sich in dem schweren braunen Ledersessel zurück. "Ich mochte diesen PR-Kram nicht." Doch Russland gäbe sehr viel Geld für Propaganda aus, um Lügen über die Ukraine zu verbreiten rund um die russische Vollinvasion.
Rabbi Mosche Asman in seinem Büro in der Brodsky Synagoge
Russische Raketen auf Gedenkstätte waren Impuls
Anfang März 2022 schlagen auch an der Gedenkstätte Babyn Jar in Kiew russische Raketen ein. Ihr Ziel ist wohl der benachbarte Fernsehturm, doch der Schock ist groß. An diesem Ort ermordeten die deutschen Besatzer ab September 1941 laut Schätzungen mindestens 100.000 Menschen darunter mehr 33.000 jüdische Ukrainerinnen und Ukrainer.
Als die russischen Raketen in Babyn Jar einschlagen, ist Mosche Asman in Anatevka, ein Ort für jüdische Binnenvertriebene aus dem Donbass, den er vor fast zehn Jahren gegründet hat. Anatevka ist nach dem Schtetl in Scholem Alechejms Roman "Tewje der Milchmann" benannt.
Die Brodsky Synagoge in Kiew
Videobotschaft an russisches Volk geht viral
"Die russischen Raketen waren der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat", erzählt er. "Wir standen Tag und Nacht unter Beschuss. Ich nahm eine Thorarolle und wandte mich auf Russisch an das russische Volk."
Sein Assistent Jascha filmt und stellt das Video auf YouTube: "Ich kann nicht länger schweigen und appelliere an Russen, russische Juden, das russische Volk, denken Sie daran: Wer gleichgültig ist und schweigend oder nicht schweigend zustimmt wird zum Komplizen", sagt der Rabbi in dem Video. Er habe keine Angst zu sterben, aber in seinen schlimmsten Träumen nicht gedacht, dass er durch russische Granaten sterben könnte, "wo ich geboren wurde, wo ich zur Schule ging, wo ich viele Freunde habe, die schweigen und praktisch niemand angerufen oder gefragt hat".
Das Video geht viral, erzählt Mosche Asman und streicht sich durch den Bart. "Danach wurde ich auf der ganzen Welt berühmt und in der Ukraine bekannter. Mir wurde klar, dass ich die Verantwortung hatte, die Wahrheit zu verbreiten."
Staatlicher Antisemitismus in der Sowjetunion
Geboren 1966 in Leningrad will er aus der Sowjetunion nach Israel auswandern. Das wird ihm lange verweigert und aufgrund seiner Aktivitäten nennt ihn die kommunistische Parteizeitung Prawda einen "Feind der Sowjetmacht". Der sowjetische Antisemitismus war staatlich.
Auch in der Ukraine habe es einen starken staatlichen Antisemitismus gegeben - den sowjetischen Antisemitismus. "Ich kann damals und heute vergleichen und denke, dass es in der Ukraine jetzt viel weniger Antisemitismus gibt. Ich sage nicht null, aber er ist marginal."
"Wenn ich Deutsch höre, schaudert es mich"
In Europa oder in Russland gebe es weit mehr antisemitische Vorfälle. In Deutschland habe er viele Freunde, erzählt Mosche Asman. "Aber wenn ich Deutsch höre, dann schaudert es mich. Es sind so viele Jahre vergangen und ich rede in Deutschland mit normalen Menschen, aber wenn ich Deutsch höre, geht es mir so."
1987 darf Mosche Asman die Sowjetunion verlassen. In Israel wird er Rabbiner und meldet sich als Freiwilliger zur Armee. 1995 geht er dann nach Kiew, wo er die Brodsky-Synagoge wieder mit religiösem Leben füllt. Sie war zu Sowjetzeiten ein Puppentheater.
Sohn des Rabbiners im Donbass getötet
Seit dem russischen Großangriff ist er ziemlich bekannt und viel unterwegs - auch an der Front. Vor kurzem musste er seinen Sohn Anton beerdigen. Dieser wurde als Soldat bei Pokrowsk im Donbass getötet. "Es ist beängstigend, wenn der Krieg dich persönlich betrifft", sagt er.
Schon bevor sein Sohn starb, habe er den Tod unschuldiger Menschen als seinen eigenen wahrgenommen. "Sowohl die ukrainischen Soldaten, die kämpfen, als auch die israelischen Soldaten. Das nehme ich mir zu Herzen. Wenn ein Mensch stirbt, stirbt die ganze Welt."