Angriffe auf ukrainische Kraftwerke "Du weißt nicht, ob du nach Hause kommst"
Russland nimmt immer wieder die ukrainische Energieversorgung ins Visier. Ist ein Kraftwerk getroffen, versuchen Arbeiter unter Lebensgefahr, die Schäden zu beseitigen.
"Bitte bewegen Sie sich auf dem Gelände nur in Begleitung. Fotos oder Videos sind nur nach Absprache erlaubt", sagt der Mann vom privaten ukrainischen Energiebetreiber DTEK. Seinen Namen hält er geheim. Geheim bleiben muss auch der Ort, an dem wir uns befinden. Der Feind soll keine kriegswichtigen Informationen bekommen. Auch wenn dieses Wärmekraftwerk nach dem Angriff keinen Strom mehr liefert.
Wir ziehen uns die Schutzkleidung an und laufen zum Kraftwerk. Ein Koloss, mehrere Hundert Meter lang. Die Mauern sind teils zerstört, das Dach eingestürzt, die Fensterscheiben zersplittert. Auf dem Boden vor dem Kraftwerk liegen die metallenen Überreste einer russischen Rakete.
"Ein neues Modell", murmelt einer. Es waren gleich mehrere Raketen, die hier eingeschlagen sind und das Kraftwerk verwüstet haben. Einer der Mitarbeiter ist immer noch fassungslos:
Was soll ich sagen? Ich verstehe nicht, warum sie das tun, es geht nicht in meinen Kopf. Es sind unsere Nachbarn, sie haben alles, was sie für ein gutes Leben brauchen. Warum beschießen sie uns? Ich verstehe es nicht.
Kein Kohle- oder Gaskraftwerk blieb unversehrt
Die Logik hinter den Angriffen auf die Kraftwerke ist klar: Sie sollen die Menschen zermürben, die Industrie und damit das Land schwächen. Es gibt kein Kohle- oder Gaskraftwerk in der Ukraine, das noch nicht getroffen wurde. Manche wurden nur teilweise beschädigt, andere komplett zerstört. Dieses hier hat es übel getroffen.
Wir gehen in die Halle. Es riecht nach verbranntem Metall. Auf einem alten Generator prangt noch der Stern mit den Buchstaben SSSR. Die Anlage stammt noch aus Sowjetzeiten. Arbeiter sind damit beschäftigt, den Schutt aus Stahl und Beton fortzuschaffen. Maksim ist einer von ihnen: "Im Moment helfen wir, die Trümmer aufzuräumen. Wir schaffen Ordnung und sitzen nicht untätig herum. Wir werden so lange kommen, bis das Kraftwerk wieder arbeitet. Denn wenn es keinen Strom gibt, ist das schlimm für alle."
Hoffen auf Ersatzteile aus Westeuropa
Maksim kommt aus der umkämpften Region Donezk, schon dort hat er bei einem Wärmekraftwerk von DTEK gearbeitet. Bis es zerstört wurde. "Natürlich haben wir Angst", sagt er. "Du gehst zur Arbeit und weißt nicht, ob du nach Hause kommst. Bei meinem letzten Arbeitsort kamen wir schon unter Artilleriebeschuss, als wir gerade die Pforte passiert hatten. Gut, dass wir schnell reagiert haben und zum Luftschutzbunker gerannt sind." Es gebe Angst, sagt Maksim, aber sie hätten den Job selbst gewählt: "Niemand zwingt uns dazu."
Er hofft, dass aus Westeuropa schnell Ersatzteile kommen. Und doch wird es Monate, vielleicht Jahre brauchen, das hier wieder aufzubauen. Freilich nur, wenn das Kraftwerk zwischendurch nicht wieder zerstört wird. Allein im April wurden vier Wärmekraftwerke von DTEK bombardiert, 80 Prozent der Energieinfrastruktur des Unternehmens sind zerstört.
"Irgendwann bricht das zusammen"
Je länger die Angriffe anhalten, desto schwieriger wird die Stromversorgung der Ukraine insgesamt. Einer der Mitarbeiter zieht einen Vergleich mit dem Internet: "Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Router, und 100 Menschen haben sich mit ihm verbunden. In der Theorie sollten alle 100 Mbit Geschwindigkeit haben. Und wenn es 100 Leute sind, funktioniert das. Aber wenn es 200 oder 1.000 sind, dann lahmt das Internet." Genauso sei es mit der Energie, sagt der Mann: "Weniger Strom und mehr Verbraucher - irgendwann bricht das zusammen."
Dann heulen wieder die Sirenen. Luftalarm. Hier in der Gegend gibt es ihn mehrmals am Tag. Alle müssen jetzt runter in den Schutzraum. Ein Wärmekraftwerk ist in der Ukraine in diesen Tage ein gefährlicher Ort.