Krieg gegen die Ukraine Partisanenkampf gegen russische Truppen
Sie sprengen Waffenlager, verüben Bombenanschläge und sprühen Botschaften an Wände: Vor allem im besetzen Süden der Ukraine nimmt die Aktivität von Partisanen zu. Wie groß ist ihr Einfluss auf das Kriegsgeschehen?
"Die Partisanen von Cherson verfolgen Euch, Eure Bewegungen, Eure Schlafräume, Eure Waffenlager", droht ein Mann in einem Video - sein Gesicht ist vermummt, die Stimme ist elektronisch verzerrt. "Wir wissen, wie viel Angst Ihr habt. Wir schlachten Euch weiter ab wie Schweine."
In dem abgedunkelten Raum hinter ihm hängt die Fahne der ukrainischen Widerstandsbewegung. Sie zeigt das offizielle Logo derjenigen, die in der Ukraine als Partisanen bezeichnet werden: zwei ineinander verkeilte rechte Winkel auf schwarzem Grund.
"Die Partisanenbewegung ist ziemlich aktiv", sagte Natalija Humenjuk, Pressesprecherin der ukrainischen Armee im Süden des Landes, Anfang August im ukrainischen Fernsehen. "Ich denke, dass Sie in naher Zukunft Ergebnisse sehen werden, die unterstreichen, dass wir zusammenarbeiten."
Die Hinweise häufen sich
Hinweise darauf häufen sich in den vergangenen Wochen und Monaten - besonders im Süden der Ukraine: Ende Juli kam es laut ukrainischen Angaben in Melitopol in der Zentrale der Kreml-Partei "Einiges Russland" zu einer Explosion, in Cherson explodierte das Auto zweier Polizisten, die für die russischen Besatzungsbehörden tätig gewesen sein sollen. Anfang August wurde der stellvertretende Verwaltungschef von Nowa Kachowka in der Oblast Cherson laut russischen Medien in der Nähe seines Hauses erschossen.
Es sind nur die letzten Vorfälle in einer ganzen Reihe von Anschlägen und Sabotageakten, die Widerstandskämpfer fast seit Kriegsbeginn in den besetzten Gebieten für sich reklamieren. Und auch an den Explosionen auf einem russischen Luftwaffenstützpunkt auf der Krim sollen sogenannte Partisanen beteiligt gewesen sein, gab eine anonyme Quelle gegenüber der "New York Times" an.
Partisanen setzen in Cherson Zeichen
Als Partisanen werden in der Regel bewaffnete Widerstandskämpfer bezeichnet, die im Untergrund gegen eine Besatzungsmacht vorgehen. Im aktuellen ukrainischen Sprachgebrauch hat der Begriff jedoch eine breitere Bedeutung. Partisanen hätten drei grundlegende Aufgaben, erklärt der Bürgermeister von Melitopol, Iwan Fjodorow, in ukrainischen Medien: das Zerstören von Waffen und Versorgungslinien der russischen Armee, die Weitergabe von Informationen an die ukrainische Armee und die Demoralisierung der Besatzungsmächte. "Wir sehen bereits Resultate", fügt er hinzu.
Der ukrainische Widerstand operiert im Dunkeln und verfügt doch über eine offizielle Internetseite auf Englisch und Ukrainisch - erstellt von den ukrainischen Spezialkräften, um diejenigen zu unterstützen, "die für die Befreiung unseres Landes und die Freiheit von den russischen Besatzern kämpfen wollen". Die ukrainischen Spezialkräfte haben per Gesetz den Auftrag, den Widerstand zu koordinieren, und informieren auf der Seite regelmäßig über Aktionen sogenannter Partisanen.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Flugblätter und Symbole
Dabei handelt es sich nicht nur um gewalttätige Anschläge. In Cherson sprühen Unbekannte seit Wochen ukrainische Fahnen oder ein gelbes Band an öffentliche Plätze als Zeichen des Widerstands. In den vergangenen Wochen markieren sie Orte, an denen die Besatzungsbehörden ein Referendum zur Abspaltung der Region von der Ukraine durchführen wollen, mit dem Buchstaben "ї". Immer wieder tauchen in der Stadt Flugblätter auf. Darauf steht: "Nimm keinen russischen Pass an, störe das Referendum", "Cherson ist Ukraine" oder "Zeit für Rache".
Häufiger aber sind kleine Bändchen in ukrainischen Farben, die Unbekannte in der Stadt verteilen, sie an Geländer oder Bäume binden. Mehr als 6000 Menschen haben den Telegram-Kanal der Bewegung "Gelbes Band" abonniert, in dem regelmäßig Fotos der Aktionen geteilt werden. Doch die Unterstützung der Gruppe sei noch viel größer, sagt Maxim, ein Design-Student aus Cherson. "Das ist schon fast ein Lifestyle. Auch Kinder malen ukrainische Fahnen auf Hauswände in der Stadt."
Zivilisten schicken Hinweise an die Armee
Mit dem Herunterreißen russischer Fahnen und Protesten begann auch Maxims Widerstand in Cherson. Doch er ging weiter, beobachtete Bewegungen russischer Truppen und gab sie an die ukrainischen Streitkräfte weiter. Das macht die Ukraine Zivilisten wie Maxim verhältnismäßig leicht: Über Chatbots und eine App können sie Fotos hochladen und Standort-Koordinaten russischer Militärtechnik durchgeben. So wurde auch Maxim zum Informanten.
Kurz nach seiner Nachricht konnte er beobachten, wie die Kolonne beschossen wird. "Ich habe vor Freude über das ganze Feld gebrüllt", sagt Maxim, der heute in Kiew lebt.
Unauffällig in kleinen Gruppen operieren
Andere wie Sergej aus Berdjansk, der eigentlich anders heißt, operieren in kleinen Gruppen. Er habe zwei weitere Kontakte in der Stadt gehabt, denen er Informationen über die Bewegung russischer Truppen weitergegeben habe, berichtet er. Sergej ist eigentlich Künstler, ein Mann Ende fünfzig, mit knubbeliger Nase und durch seine dicke Brille stark vergrößerte Augen.
"Ich bin unauffällig, schau mich an", sagt er. Mit dem Fahrrad sei er durch Berdjansk unterwegs gewesen und habe die russischen Soldaten beobachtet. Mittlerweile ist er aus der besetzten Stadt geflohen.
Und auch Maxim erzählt, dass viele seiner Bekannten Informationen an das ukrainische Militär weitergeben. Einige aber seien radikaler: "Die Russen haben mittlerweile Angst, in Cherson auf die Straße zu gehen. Sie sind nur noch in ihren Panzerfahrzeugen unterwegs."
Immer wieder seien russische Soldaten von ukrainischen Partisanen ermordet worden. "Am Anfang haben sie mit allem getötet, was sie finden konnten - ein Messer, ein Seil. Aber je mehr Russen verschwanden, desto mehr Waffen bekamen unsere Partisanen", erzählt Maxim.
Auf jeden Anschlag folgen Verhaftungen
Wie viele russische Soldaten wirklich von ukrainischen Widerstandskämpfern umgebracht wurden, lässt sich unabhängig nicht überprüfen. Auch nicht, wie groß ihr Einfluss auf das Kriegsgeschehen tatsächlich ist.
Die Experten des amerikanischen "Institute for the Study of War" erwähnen Partisanenaktivitäten seit Ende März regelmäßig in ihren täglichen Berichten. Demnach hätten die russischen Besatzungsbehörden wegen des anhaltenden Widerstands Schwierigkeiten, die gesellschaftliche Kontrolle zu erlangen.
Seit Jahren auf Widerstand vorbereitet
Die Partisanenbewegung scheint keine spontane Zusammenkunft von Zivilisten zu sein. Bereits nach Kriegsbeginn 2014 hätten ukrainische Spezialkräfte mit der Ausbildung von Widerstandskämpfern begonnen, sagte Serhij Kusan, Vorsitzender des ukrainischen Zentrums für Sicherheit und Kooperation, gegenüber dem britischen "Guardian".
Die Kämpfer seien rechtlich ein Teil der ukrainischen Verteidigungskräfte und ihre Familien seien aus den Gebieten in Sicherheit gebracht worden, die vor oder kurz nach der Invasion besetzt werden konnten.
Doch beide Kriegsparteien könnten ein Interesse daran haben, die Aktionen von Saboteuren zu übertreiben: Die Ukraine, um die russische Armee zu demoralisieren und die eigene Bevölkerung zu motivieren, und Russland, um das brutale Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten zu rechtfertigen.
Denn auf jeden Anschlag folgten Verhaftungen, erzählt Anna, eine Journalistin aus Cherson, die zu ihrem Schutz anonym bleiben möchte: "Sie haben das ganze Viertel abgeriegelt und jedes Haus durchsucht. An einem Tag haben sie 27 junge Männer mitgenommen." Auch Anna berichtet von zivilem Widerstand, aber auch Schusswechseln in der Stadt. "Aber wer da schießt - keine Ahnung", sagt sie.