Krieg gegen die Ukraine "Mariupol ist eine tote Zone"
Die russische Armee hat erneut zivile Ziele in der Ukraine attackiert. In Mariupol trafen Bomben offenbar eine Kunstschule. Präsident Selenskyj spricht von Kriegsverbrechen, die in die Geschichte eingehen werden.
Fassungslos und verzweifelt stapft Oleksander Bezimov durch die Trümmer seines Wohnviertels in Mariupol. Alles sei zerstört, klagt er, durch Raketenangriffe der russischen Streitkräfte.
"Schauen Sie sich das an", sagt Bezimov zu einem Reporter der Nachrichtenagentur Reuters. "Hier steht kein Stein mehr auf dem anderen. Das kann so schnell keiner mehr aufbauen. Für die nächsten 40 bis 50 Jahre, vielleicht für immer, ist Mariupol eine tote Zone. Vom Tourismus können wir hier in Zukunft nicht mehr leben."
Offenbar Kunstschule bombardiert
Heute soll auch eine Schule in Mariupol bombardiert worden sein, in der Kunst und Musik unterrichtet wurden. 400 Menschen, so heißt es, hätten dort Schutz vor den Luftangriffen gesucht, darunter vor allem Frauen, Kinder und ältere Leute. Wie viele Opfer es gegeben hat, ließ sich bisher nicht verifizieren.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete die Angriffe auf Mariupol als Kriegsverbrechen. Die Schlacht um die Hafenstadt am Asowschen Meer werde in die Geschichte eingehen. "Was die Besatzer mit dieser friedlichen Stadt gemacht haben, ist Terror, der noch in hundert Jahren in Erinnerung bleiben wird", so Selenskyj. "Russland wird die Konsequenzen dafür übernehmen müssen."
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
"Ich will nicht heulen, aber manchmal überkommt es mich"
In der südukrainischen Stadt Mykolajiw nahe Odessa suchten Rettungskräfte heute den ganzen Tag nach Überlebenden eines Raketenangriffs auf eine Kaserne. Mindestens 50 Soldaten sollen dort gestern ums Leben gekommen sein.
Aleksander, einer der dort untergebrachten Soldaten, hat den Angriff überlebt. "So viele Leute sterben, nur weil so ein Typ Krieg spielen will, um seine Waffen an uns auszuprobieren", sagt er. "Ich möchte gar nicht darüber nachdenken. Ich will nicht heulen, aber manchmal überkommt es mich einfach."
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Russland setzt erneut Hyperschallrakete ein
Die russischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben auch heute wieder eine sogenannte Hyperschallrakete eingesetzt. Das neuartige Waffensystem vom Typ Kinschal - was so viel heißt wie Dolch - soll mit extrem hoher Geschwindigkeit die gegnerische Flugabwehr umgehen können. Das Verteidigungsministerium in Moskau verbreitete Filmmaterial, das die Kinschal-Rakete im Einsatz zeigen soll.
Neben Charkiw im Osten des Landes, Mariupol im Süden und der Hauptstadt Kiew, gab es heute auch in der nordukrainischen Stadt Tschernihiw schwere Gefechte. Und in der bereits eroberten Stadt Cherson liefen die Bewohner erneut den russischen Besatzern entgegen. "Da moi!", "Geht nach Hause!", riefen sie den russischen Soldaten in ihren Panzern zu.
Helfer in Odessa singen Nationalhymne
Im Süden bereitet sich die Hafenstadt Odessa auf einen größeren Angriff vor. Nachdem die russischen Streitkräfte damit begonnen hatten, vom Schwarzen Meer aus Ziele in der Ukraine zu beschießen, füllten Hunderte Einwohner am Strand Sandsäcke für den Bau von Verteidigungsanlagen, für den Fall, dass auch eine Bodenoffensive auf die strategisch wichtige Stadt gestartet werden sollte.
Sollte Odessa von den russischen Truppen erobert werden, verlöre die Ukraine den Zugang zum Schwarzen Meer. Auch Sänger des Opernhauses von Odessa, einem Wahrzeichen der Stadt, beteiligten sich an der Arbeit und stimmten mit den anderen Freiwilligen die Nationalhymne an, wie auf Filmmaterial zu sehen war, das die Nachrichtenagentur Reuters verbreitete.