Verhandlungen in Istanbul Russland will Militäraktivität reduzieren
Ein neutraler Status bleibt für die Ukraine vorstellbar - aber nur unter Bedingungen, wie das Land bei Verhandlungen in Istanbul nochmals betonte. Russland stellte geringere militärische Aktivität rund um Kiew in Aussicht. Die USA und Großbritannien reagierten skeptisch.
Nach den ersten direkten Gesprächen mit russischen Vertretern zeigt sich die Ukraine weiter bereit, einem neutralen Status zuzustimmen. Allerdings sei ein solcher Schritt an Bedingungen geknüpft.
Die ukrainischen Unterhändler forderten nach dem Ende der Verhandlungen in Istanbul erneut ein Ende der Kampfhandlungen in ihrem Land, einen kompletten Abzug russischer Truppen und die Möglichkeit für die ins Ausland geflohene Bevölkerung, in ihre Heimat zurückkehren zu können. Zudem will die Ukraine Sicherheitsgarantien anderer Staaten einholen. Die Vertreter des Landes sehen etwa in der Türkei, Kanada, Polen und Israel mögliche Staaten, die Sicherheitsgarantien für die Ukraine geben könnten. In einem solchen Fall sei die ukrainische Regierung bereit, der eigenen Neutralität zuzustimmen.
Auf Krim soll ukrainisches Gesetz gelten
Ein Streitpunkt bleibt offenbar der Status der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim sowie der der Separatistengebiete Donezk und Luhansk. In Bezug auf die Krim betonten die ukrainischen Unterhändler, ihr Land werde dort die Grenzen von 1991 anerkennen - also aus dem Jahr, in dem sich eine Mehrheit der Bevölkerung per Referendum für die Unabhängigkeit der Ukraine ausgesprochen hatte. Die ukrainischen Vertreter betonten, dass künftig weiter das ukrainische Gesetz auf der Halbinsel gelten müsse - auch wenn Russland das anders sehe. Man habe der russischen Seite vorgeschlagen, den Status der Krim über einen Zeitraum von 15 Jahren festzuschreiben.
Die Verhandlungen sollen nun fortgeführt werden - die ukrainische Seite nannte einen Zeitrahmen von zwei Wochen. Gleichzeitig liefen aber auch bereits Gespräche mit möglichen Garantstaaten, um die Verhandlungen letztendlich auf multilateraler Ebene zum Abschluss zu bringen. Wesentlich eher sollte aus Sicht der Ukraine ein direktes Treffen zwischen ihrem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Russlands Staatschef Wladimir Putin stattfinden, damit "auf höchster Ebene" Vereinbarungen getroffen werden könnten.
Russland: Militär werde Aktivität rund um Kiew verringern
Auch die russischen Unterhändler stellten ein solches Treffen in Aussicht. Zuvor müsse aber erst ein spruchreifer Vertrag zwischen Russland und der Ukraine vorliegen, der dann von den Unterhändlern beider Seiten bestätigt und anschließend von den Außenministern beider Länder unterzeichnet werden müsse. Erst dann könne es ein Treffen zwischen den Präsidenten geben.
Allerdings stellte Russlands Vize-Verteidigungsminister Alexander Formin in Aussicht, dass das russische Militär seine Aktivitäten in der Region Kiew "radikal" verringern werde. Gleiches gelte für die Region rund um die Stadt Tschernihiw. Zu dem Verlauf der Verhandlungen und eventuellen Fortschritten wollte sich die russische Seite erst nach ihrer Rückkehr nach Moskau äußern. Die Unterhändler betonten lediglich, dass ein möglicher Vertrag zwischen beiden Staaten schnell unterzeichnet werden könne, sobald ein vertretbarer Kompromiss gefunden worden sei.
Die russischen Unterhändler forderten die Ukraine bei ihrem Statement vor Journalisten lediglich explizit dazu auf, sich an die Genfer Konventionen zu halten und bezogen sich dabei auf den Umgang mit russischen Kriegsgefangenen. Folter müsse auf jeden Fall ausgeschlossen werden.
Erste Gespräche seit knapp drei Wochen
Es waren die erste direkten Verhandlungen zwischen ukrainischen und russischen Vertretern seit dem 10. März. Allerdings wurden bei diesen Gesprächen, die im türkischen Antalya stattfanden, keine konkreten Fortschritte im Bemühen um eine Waffenruhe in der Ukraine erzielt. Seitdem wurden die Gespräche per Videokonferenz fortgesetzt. Beide Konfliktparteien bezeichneten sie zuletzt als "schwierig".
Dafür seien bei den heutigen Verhandlungen "die bedeutendsten Fortschritte" seit dem Beginn der Gespräche zwischen Russland und der Ukraine erzielt worden, hieß es vom türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Der Krieg müsse jetzt enden. Dafür seien entscheidende Schritte gemacht worden. Ursprünglich sollten die Gespräche am Mittwoch in Istanbul fortgesetzt werden. Der zweite Verhandlungstag wurde laut Türkei aber abgesagt.
Skepsis in Washington und London
US-Außenminister Antony Blinken stellte die "Ernsthaftigkeit" von Moskaus Verhandlungsbemühungen in Frage. "Ich habe nichts gesehen, das nahelegt, dass das auf effektive Art vorwärts geht, weil wir keine Zeichen wirklicher Ernsthaftigkeit gesehen haben", sagte er bei einem Besuch in Marokko. "Es gibt das, was Russland sagt, und das, was Russland tut", fügte Blinken hinzu. "Wir konzentrieren uns auf letzteres." Russlands Gewalt gegen die Ukraine und die ukrainische Bevölkerung dauere an.
Auch Großbritannien reagierte skeptisch auf die angeblichen Fortschritte in Istanbul. "Wir werden Putin und sein Regime an seinen Taten messen und nicht an seinen Worten", sagte ein Sprecher des britischen Regierungschefs Boris Johnson. Nötig sei ein vollständiger Rückzug der russischen Truppen von ukrainischem Gebiet.