Menschen in der Region Cherson werden nach dem Bruch eines Staudamms evakuiert.
reportage

Überflutungsgebiet bei Cherson "Sie sehen die Evakuierungen und beschießen uns"

Stand: 09.06.2023 11:34 Uhr

In den Überflutungsgebieten in der Region Cherson versuchen die Menschen weiter, Betroffene zu evakuieren und Häuser zu sichern. Die Wut auf die russischen Besatzer ist groß - auch weil der Beschuss weitergeht.

Von Rebecca Barth, ARD Kiew, ARD Kiew, zzt. Cherson

"Wir sammeln Sand, um unsere Häuser zu retten", sagt Swetlana. Sie steht mit einer Schaufel in der Hand am Straßenrand im Dorf Tschornobajiwka bei Cherson. Die Sonne brennt heiß, und die Flut kommt immer näher. Obwohl der Höchststand nach offiziellen Angaben bereits erreicht ist, erschließt sich das Wasser langsam immer neue Wege.

Evakuierung unter russischem Beschuss im Katastrophengebiet nach Dammzerstörung

Mathea Schülke, WDR, tagesschau, 09.06.2023 12:00 Uhr

"Das ist eine Umweltkatastrophe"

Swetlana steht der Schweiß auf der Stirn, als sie die Sandsäcke füllt, und die Wut ins Gesicht geschrieben: "Das ist eine Umweltkatastrophe. Die Leute verstehen nicht, dass das alles ins Schwarze Meer geschwemmt wird. Die Chemie, Abfälle. Auf der anderen Uferseite haben die Menschen Gemüseanbau betrieben. Sie haben die Felder gedüngt mit Chemie - das wird jetzt alles ins Schwarze Meer gespült."

Und nur ein Verrückter sei für diese Katastrophe verantwortlich, meint Swetlana, ohne Wladimir Putins Namen zu nennen.

Danke der gesamten Welt für die Hilfe. Danke für die Konserven. Danke für das Wasser. Aber man hätte uns besser mehr Munition geben sollen!

Serkan Eren, Hilfsorganisation "STELP", zu Minen und Angriffen auf helfende Teams

tagesschau24, 09.06.2023 19:00 Uhr

Sorge um die Verwandten

Monatelang hat Swetlana unter russischer Besatzung gelebt. Jetzt sind die Soldaten zwar abgezogen, terrorisierten die Menschen in der Ukraine aber weiter - so Swetlanas Sicht auf die Dinge. Für sie ist klar, wer hinter den Schäden am Staudamm Kachowka steckt: die russischen Truppen.

Ihre Verwandten leben auf der anderen Uferseite noch immer unter russischer Besatzung. Um ihr Wohlergehen macht sich Swetlana große Sorgen: "Die russischen Soldaten lassen die Leute nicht raus. Nicht alle von ihnen sind abgehauen, einige Punkte besetzen sie noch", erzählt sie. Wie viele Menschen gestorben seien, wisse niemand. Es sei alles nachts passiert während der Ausgangssperre. Die Leute hätten zu dieser Zeit ihre Höfe nicht verlassen dürfen.

Helfer versuchen, Menschen und Tiere zu retten

Einige Kilometer weiter südlich in Cherson versuchen Helfer noch immer, Menschen und Tiere aus den gefluteten Häusern zu retten. Auf einer Anhöhe steht ein Mann und blickt hinunter auf sein Haus. 50 Prozent seien schon überflutet, sagt er. Er habe Kleidung und Technik weggebracht, die Tiere auch. "Noch ist nicht alles verloren. Wir versuchen, etwas zu retten. Haben die Elektrik ausgeschaltet und warten."

Während der russischen Besatzung floh er aus seiner Heimatstadt. Kam wieder, nachdem die Truppen abgezogen waren und floh kurze Zeit später erneut - so stark hat die russische Armee Cherson seitdem von der anderen Uferseite beschossen. Nun ist er nur wieder hier, weil er seine Sachen retten will, erzählt er.

Doch Zeit, seinen Namen zu nennen, hat er nicht. Nur wenige Meter entfernt schlägt ein russisches Artilleriegeschoss ein. Die Menschen laufen weg, suchen Deckung. "Sie sehen die Evakuierungen und beschießen uns", sagt der Mann noch. Dann ergreift er die Flucht.

Rebecca Barth, ARD Kiew, zzt. Cherson, tagesschau, 09.06.2023 11:06 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 09. Juni 2023 um 12:00 Uhr.