Selenskyj zu Vorstoß in Russland "Gerechtigkeit und Druck auf den Aggressor"
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat sich erstmals zum Vorstoß seiner Armee auf russischem Gebiet geäußert. Sein Land versuche mit dem Angriff auf den Aggressor Russland für Gerechtigkeit zu sorgen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat offiziell einen Einmarsch von Truppen in die russische Region Kursk eingeräumt. In seiner abendlichen Videoansprache sagte er, der Angriff sei Teil der Bemühungen seines Landes, nach der russischen Invasion von 2022 Gerechtigkeit wiederherzustellen.
Die Ukraine beweise damit, "dass sie wirklich in der Lage ist, für Gerechtigkeit zu sorgen, und garantiert genau den Druck aufzubauen, der nötig ist - Druck auf den Aggressor".
Selenskyj dankte den Truppen und teilte mit, er habe mehrere Berichte des Oberbefehlshabers über die Frontlinien und die ukrainischen Maßnahmen zur Verlagerung des Krieges "auf das Gebiet des Aggressors" erhalten. Über den aktuellen Stand des Vorstoßes machte er keine genaueren Angaben.
Angriffe auf Kursk dauern an
Nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass setzt die Ukraine ihre Angriffe auf russischem Boden weiter fort. So sei in der Stadt Kursk ein Wohnhaus beschädigt worden. Dabei wurden offiziellen Angaben zufolge mindestens 13 Menschen verletzt, zwei von ihnen befänden sich in ernstem Zustand. Trümmerteile einer abgeschossenen ukrainischen Rakete seien auf das Gebäude gefallen und hätten einen Brand ausgelöst.
Insgesamt vier ukrainische Raketen und über ein Dutzend Drohnen seien in der Region abgeschossen worden, meldete das russische Verteidigungsministerium. Auch über der Region Woronesch, mehrere hundert Kilometer südlich von Moskau, und der Grenzregion Belgorod holte die russische Flugabwehr nach eigenen Angaben Drohnen vom Himmel.
Karte der Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Einmarsch soll Russland destabilisieren
Nach offiziell nicht bestätigten Angaben aus Kiew verfolgt der Angriff das Ziel, Russland zu destabilisieren. Die französische Nachrichtenagentur AFP zitiert einen namentlich nicht genannten ukrainischen Sicherheitsverantwortlichen mit den Worten: "Das Ziel ist es, die Stellungen des Feindes auseinander zu ziehen, ihm maximale Verluste zuzufügen und die Lage in Russland zu destabilisieren."
Zudem habe der Vorstoß die Moral in der ukrainischen Armee, innerhalb der Regierung und auch im Volk verbessert. "Dieser Einsatz hat uns gezeigt, dass wir auch angreifen und vorwärts kommen können", sagte der Sicherheitsverantwortliche laut AFP. Tausende ukrainische Soldaten seien daran beteiligt.
Evakuierungsaktion in Russland
Russland hatte am Dienstag erklärt, die ukrainischen Streitkräfte seien in die Region Kursk vorgedrungen. Mehrere Militärblogger berichteten daraufhin von Geländegewinnen der einfallenden Truppen. Inzwischen habe sich die Lage aber stabilisiert.
Als Reaktion auf den Angriff hatte Russland eine groß angelegte Evakuierungsaktion gestartet. Mehr als 76.000 Menschen seien aus grenznahen Regionen dieser Oblast in Sicherheit gebracht worden, berichtete Tass unter Berufung auf das regionale Katastrophenschutzministerium.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Militärexperte: Kreml spielt Angriff herunter
Die Lage im Gebiet Kursk ist unübersichtlich. Nach Bekanntwerden des Vorstoßes wurden Stimmen laut, die Ukraine könne sich mit dem Angriff womöglich selbst schaden, weil militärische Ressourcen dringender an den Frontabschnitten im eigenen Land gebraucht würden.
In einer vom Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington veröffentlichten Analyse heißt es nun hingegen, Russland spiele den Ernst der Lage herunter. Die Region an der Grenze zur Ukraine sei demnach nur zu einer Zone für Anti-Terror-Operationen und nicht zu einem Kriegsgebiet erklärt worden, um womöglich Panik in der russischen Gesellschaft zu verhindern. Kremlchef Wladimir Putin scheue die Ausrufung des Kriegszustandes, weil er um die Stabilität im Land fürchte. Putin will demnach neuen Unmut im Land wie bei den Protesten gegen die Mobilmachung im Herbst 2022 aus dem Weg gehen, heißt es in der Analyse.
Russland beschießt Kiew mit Raketen
Auch die russischen Angriffe auf die Ukraine gehen weiter: Am frühen Sonntagmorgen wurden Explosionen aus Kiew gemeldet. Nach Angaben des Bürgermeisters der ukrainischen Hauptstadt, Vitali Klitschko, waren Luftverteidigungssysteme im Einsatz. Kiew, sowie die umliegende Region und die gesamte Ostukraine, seien in Alarmbereitschaft, teilt die ukrainische Luftwaffe über den Kurznachrichtendienst Telegram mit.
In einem Vorort der Hauptstadt wurden infolge eines Raketenangriffs ein 35-jähriger Mann und dessen vier Jahre alter Sohn getötet, wie der staatliche Rettungsdienst bei Telegram mitteilte. Drei weitere Menschen wurden demnach schwer verletzt. Raketenteile seien am Abend in Browary östlich von Kiew auf private Wohnhäuser gefallen. Dabei seien Vater und Sohn unter den Trümmern eines Gebäudes eingeschlossen worden.