Orban zum Missbrauchsskandal Nur wenige Worte zur Krise
Ein Missbrauchsskandal hat in Ungarn Rücktritte und Proteste ausgelöst. In seiner Rede zur Lage der Nation versuchte Premier Orban nun, das Thema hinter sich zu lassen und auf Angriff zu schalten.
Viktor Orban versuchte es mit business as usual. Seine Rede zur Lage der Nation: ein thematischer Rundumschlag. Orban wetterte gegen die Europäische Union, gegen Hilfen für die Ukraine, gegen Migration. Den Skandal in den Reihen seiner Fidesz-Partei griff er zwar auf, stellte den Rücktritt von Präsidentin Katalin Novak und Ex-Justizministerin Judit Varga aber als normalen Gang der Dinge dar. Nun solle es schnell gehen.
Ich fordere die Fraktion der Regierungsparteien auf, das Verfahren zur Wahl des neuen Präsidenten am Tag des Ausscheidens der Präsidentin einzuleiten.
Dabei sind Rücktritte in Ungarn alles andere als normal. Denn das stärke in Orbans Augen nur Kritiker, deren Forderungen es bestätige, sagt der Politikwissenschaftler Peter Krekó im ARD-Interview am Rande einer Demonstration für Kinderrechte in Budapest am Freitag. "Daher denke ich, dass die Regierung von nun an versuchen wird, persönliche Konsequenzen aus dieser ganzen Angelegenheit zu vermeiden; und stattdessen versuchen wird, die ganze Angelegenheit einfach hinter sich zu lassen."
Orban versucht Missbrauchsthema schnell abzuhaken
Orbans Rede zur Lage der Nation scheint Krekós Einschätzung zu bestätigen. Nach den kurzen Einlassungen zu den beiden Rücktritten von Novak und Varga war das Thema vom Tisch. Ob sich die Bevölkerung damit abgibt, ist aber eine andere Frage. Mehrere zehntausend Menschen demonstrierten gestern Abend in der ungarischen Hauptstadt unter dem Motto "Es reicht". Denn der Skandal - die Begnadigung eines Mannes, der Missbrauchsopfer unter Druck gesetzt hatte - zerstöre das Narrativ der Regierung über Familienwerte, Christlichkeit und Moral, so Politologe Krekó:
Ich denke, sie stehen jetzt vor der Schwierigkeit, ihr Informations- und Deutungsmonopol aufrechtzuerhalten, das bisher einer der größten Vorteile des Regimes war.
Die Opposition werde der Skandal aber wohl nicht stärken. Sie konnte bisher auch nicht von anderen Krisen profitieren , etwa der hohen Inflation. Die Demonstration in Budapest wurde auch nicht von Parteien organisiert, sondern von Influencern, darunter Zsolt Osvath, der auf YouTube knapp 250.000 Abonnentinnen und Abonnenten hat und der für eine Wiederbelebung der Diskussionskultur in Ungarn plädiert.
Ende des NATO-Streits deutet sich an
Nun werde die Regierung auf Angriff schalten, glaubt Politologe Krekó. Er rechnet etwa mit mehr Attacken auf LGBTQ-Menschen in Ungarn, um von der Regierungskrise abzulenken. Und: mit mehr Streit mit der Europäischen Union, gegen die Orban seit Jahren schon eine Kampagne fährt. Auch am Samstag sagte Orban, aus Brüssel kämen nur Probleme für Ungarn. Mit Blick auf die Europawahl und die EU-Ratspräsidentschaft seines Landes ab Juli gab Orban die Richtung so vor: "Nur eine neue europäische Rechte kann einen wirklichen Wandel herbeiführen. Tschüss Brüssel, es lebe Europa!".
Mit der NATO - und damit mit den USA - will Orban sich aber nicht weiter anlegen. Am Sonntag besucht eine US-Delegation das Land, um über das Bündnis zu sprechen. Ungarn ist das letzte Land, das den schwedischen NATO-Beitritt noch nicht abgesegnet hat. Diese Blockade wird es aber wohl aufgeben. Bisher war der schwedische NATO-Beitritt am Widerstand der Fidesz-Partei im Parlament gescheitert, die Orban fest im Griff hat.