Wahlplakate vor Bergkulisse in Österreich
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Nationalratswahl in Österreich Wer wird wohl mit wem in Wien?

Stand: 29.09.2024 06:00 Uhr

Österreich wählt - und selten war die Ausgangslage so unklar. Die Rechtsaußen-Partei FPÖ führt in den Umfragen, ihr Kandidat Kickl beansprucht die Kanzlerschaft. Die anderen großen Parteien können weder mit ihm noch miteinander.

Einen Rechtsruck wird es in Österreich geben, das steht fest. Doch er könnte kleiner ausfallen, als es zwischenzeitlich aussah. Die FPÖ wird bei der Wahl heute ziemlich sicher die große Siegerin sein, denn sie kommt von aus ihrer Sicht enttäuschenden 16 Prozent bei der letzten Parlamentswahl im Jahr 2019.

Damals hatte die Ibiza-Affäre um Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache der Partei zugesetzt. Die Regierungskoalition mit der konservativen ÖVP unter dem damaligen Kanzler Sebastian Kurz war zerbrochen. Die ÖVP tauschte die FPÖ gegen die Grünen aus.

Doch dann richtete sich der Fokus auf die Affären des jungen ÖVP-Kanzlers, bis Kurz schließlich zurücktrat und in der politischen Versenkung verschwand. Es folgte Krise auf Krise: die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Energie- und die Teuerungskrise. Die Stimmung in Österreich sank in den Keller, und die Zustimmung für die FPÖ stieg kontinuierlich.   

Radikalisierung unter Kickl

Der neue FPÖ-Chef Herbert Kickl schaffte es, die Wut gegen die Regierung aufzugreifen und weiter zu schüren. Er machte aus der sich zuvor gemäßigt gebenden Regierungspartei FPÖ eine radikale Protestpartei und führte sie enger an Impfgegner, an Verschwörungsanhänger und an die rechtsextreme "Identitäre Bewegung" heran. Es war ein ähnliches Erfolgsrezept wie bei der AfD in Deutschland, nur war der Erfolg in Österreich flächendeckender. Die FPÖ rangierte in den Umfragen bundesweit bei 30 Prozent.

Seit dem verheerenden Hochwasser Mitte September sind die Werte nun etwas eingeknickt. In den letzten Umfragen pendelte sich die FPÖ meist bei 26 Prozent ein, die ÖVP knapp dahinter bei 25 Prozent. Auf Platz drei folgen die Sozialdemokraten mit 21 Prozent. Die Grünen liegen bei knapp unter zehn Prozent und die liberalen NEOS erreichen bis zu zwölf Prozent.

Wird ÖVP die Regierung bestimmen?

Die meisten Experten gehen davon aus, dass die ÖVP bestimmen wird, wie die nächste Regierung aussieht. Und da gibt es von ÖVP-Bundeskanzler und -Spitzenkandidat, Karl Nehammer, eine vermeintlich klare Absage an die FPÖ. "Es wird mit mir als Bundeskanzler keine Regierung mit Herbert Kickl geben, auch nicht als Minister", betonte Nehammer mehrfach. Er bezeichnete Kickl als Sicherheitsrisiko für Österreich und als jemanden, mit dem man keine tragfähige Regierung bauen könne, weil er sich in Verschwörungstheorien verfangen habe.

Doch so klar ist die Absage an die FPÖ doch auch wieder nicht, denn Nehammer sagte auch, dass es in der FPÖ, abgesehen von Kickl, durchaus vernünftige Leute gebe. Was also, wenn die FPÖ eine Überraschung plant und nach der Wahl Kickl zurückzieht - auch wenn er jetzt noch die unangefochtene Führungsfigur ist? Oder was, wenn Nehammer selbst für die Überraschung sorgt und zurücktritt, damit jemand anders aus seiner Partei mit Kickl eine Regierung organisiert?

Die ÖVP bildete das eine oder andere Mal lieber eine Regierung mit der FPÖ als mit den Sozialdemokraten, weil es mit der SPÖ inhaltlich größere Differenzen gab. So geschehen zuletzt in den Bundesländern Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg.

Der Spitzenkandidat der SPÖ, Andreas Babler, ist für die ÖVP zwar keine Persona non grata wie Kickl, aber in keiner Weise ein Wunschpartner für die Konservativen. Denn Babler, ein Mann der SPÖ-basis, ist ausgerechnet aus dem linken Parteiflügel. Er hatte einmal über sich selbst gesagt, dass er eine marxistische Grundeinstellung habe.

Bei der Wahl zum Parteichef im Juni 2023 hatte er sich überraschend gegen das SPÖ-Establishment durchgesetzt, obwohl er damals noch ziemlich unbekannt war. Babler hat bis heute nur einen Teil seiner Partei hinter sich. Die SPÖ zeigte im Wahlkampf am wenigsten Geschlossenheit und schaffte es nicht, in den Umfragen an die FPÖ und die ÖVP aufzuschließen.

Babler ist noch immer aktiver Bürgermeister der 17.000-Einwohner-Gemeinde Traiskirchen im südlichen Wiener Speckgürtel. Dort wurde er zweimal mit mehr als 70 Prozent der Stimmen gewählt. Und er wird sehr geschätzt - als Kümmerer, der Spielplätze und ein Sozial-Café gebaut, der Mietsteigerungen in den kommunalen Wohnungen aufgehalten und der es geschafft hat, dass es im Ort ein friedliches Miteinander mit den Geflüchteten gibt. In Traiskirchen steht eines der beiden österreichischen Erstaufnahmezentren für Asylbewerber.

Doch Babler stellt Forderungen, die mit den Vorstellungen der ÖVP nicht vereinbar sind - wie etwa eine Reichensteuer, das Einfrieren von Mieten und eine Testphase für eine 32-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich. Die ÖVP hält Babler für einen "linken Träumer" und versuchte, ihn im Wahlkampf zu diskreditieren. "Auf der linken Seite tritt der Kommunist an, mit einer 32-Stundenwoche und lauter neuen Steuerfantasien. Der soll seine kommunistische Mottenkiste eingraben", wetterte etwa der ÖVP-Fraktionschef im Parlament, August Wöginger.

Liberale und Grüne wollen auch regieren

Trotz dieser Differenzen hoffen die Grünen und die liberalen NEOS, dass ÖVP und SPÖ es miteinander versuchen und die FPÖ rechts liegen lassen. Dann könnte es nämlich für diese beiden Parteien nicht ganz reichen, was eine Dreier-Koalition nötig werden ließe. In diesem Fall würde die ÖVP wahrscheinlich die Grünen außen vor lassen wollen, denn in der schwarz-grünen Regierung gab es zuletzt viel Streit. Grünen-Umweltministerin Leonore Gewessler hatte gegen den Willen der ÖVP einem EU-Renaturierungsgesetz zugestimmt.

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger hat hingegen große Hoffnungen, in einer neuen Regierung Finanzministerin zu werden. Im Vergleich mit den deutschen Liberalen, der FDP, sind die NEOS laut Meinl-Reisinger progressiver. Die Partei gibt es erst seit zwölf Jahren, entstanden ist sie aus einer Bürgerbewegung. Sie fordert niedrigere Steuern für Arbeitnehmer, Bürokratieabbau, eine Bildungsreform, mehr Klimaschutz und eine Sanierung der hohen österreichischen Staatsschulden.

Bierpartei kann es schaffen

Und auch die Bierpartei hat laut Umfragen gute Chancen, die Vier-Prozent-Hürde zu überwinden und als sechste Fraktion ins österreichische Parlament einzuziehen. Die einstige Spaßpartei meint es, laut eigenen Aussagen, bei dieser Wahl ernst. Dabei hat sie bislang nur ein spärliches Programm vorzuweisen und wurde oft als One-Man-Show und Werbeplattform des bekannten Punksängers und Merchandise-Händlers Dominik Wlazny kritisiert.

Die Bierpartei will mehr "normale Bürger" mit verschiedenen Berufen ins Parlament bringen. Sie will sich die Politik im Parlament anschauen, um dann an Stammtischen, beim Biertrinken mit Bürgern und Experten, darüber zu diskutieren und kluge Ideen zu entwickeln.