Labour-Chef Starmer spricht nach dem Wahlsieg zu seinen Anhängern.

Labour-Wahltriumph Starmer verspricht Neustart für Großbritannien

Stand: 05.07.2024 08:18 Uhr

Nach dem deutlichen Sieg bei der britischen Parlamentswahl wird Labour-Chef Starmer aller Voraussicht nach neuer Premier. In seiner ersten Rede verspricht er einen Wandel. Der Machtwechsel könnte sehr schnell gehen.

Der designierte britische Premierminister Keir Starmer hat nach dem Wahltriumph seiner Labour-Partei einen Neustart für das Land versprochen. "Der Wandel beginnt jetzt", rief er jubelnden Anhängern zu. "Im ganzen Land werden die Menschen zu der Nachricht aufwachen, erleichtert, dass eine Last von ihren Schultern genommen wurde." Großbritannien könne nach 14 Jahren konservativer Regierung wieder nach vorn schauen. Das Land habe die Chance, "seine Zukunft zurückzubekommen".

Das Regierungsmandat gehe mit großer Verantwortung einher, sagte der Labour-Chef. "In der Politik ist nichts vorherbestimmt. Wahlsiege fallen nicht vom Himmel - sie sind hart erkämpft". Der Erfolg sei nur möglich gewesen, weil er die Partei verändert habe. Die Briten hätten gesehen, dass Labour ihren Interessen diene. "Und das hört jetzt nicht auf."

Inzwischen steht fest, dass seine Partei die absolute Mehrheit errungen hat. Die Marke der dafür nötigen 326 Sitze wurde im Laufe der Auszählung am frühen Morgen erreicht. Nach Prognosen dürfte Labour am Ende bei 410 Mandaten landen. Die konservativen Tories von Premierminister Rishi Sunak erlitten eine schwere Niederlage und können mit 144 Sitzen rechnen - mehr als 200 weniger als bei der vorigen Wahl.

Annette Dittert, ARD London, über den Wechsel in der Londoner Downing Street

Morgenmagazin, 05.07.2024 05:30 Uhr

Sunak gesteht Niederlage ein

Sunak gestand die Niederlage ein und erklärte am frühen Morgen, er übernehme die Verantwortung für das schlechte Abschneiden. "Die Labour-Partei hat diese Parlamentswahl gewonnen, und ich habe Sir Keir Starmer angerufen, um ihm zu seinem Sieg zu gratulieren", sagte der Regierungschef. Die Briten hätten ein ernüchterndes Urteil gefällt. "Heute wird die Macht auf friedliche und geordnete Weise und mit gutem Willen auf allen Seiten übergeben. Das sollte uns allen Vertrauen in die Stabilität und die Zukunft unseres Landes geben", sagte Sunak.

Der Regierungswechsel wird in Großbritannien rasch vollzogen. Zur Machtübergabe kommt es, sobald das amtliche Ergebnis feststeht. Schon im Laufe des Tages dürfte Starmer von König Charles III. mit der Regierungsbildung beauftragt werden und anschließend bei einer Rede in der Downing Street seine Vision für Großbritannien darlegen.

Ex-Premierministerin Truss verliert Parlamentssitz

Als eines der prominentesten Tory-Mitglieder hat die ehemalige Premierministerin Liz Truss ihren Sitz im Parlament verloren. In ihrem Wahlkreis South West Norfolk unterlag sie knapp dem Labour-Kandidaten Terry Jermy.

Truss hatte die Nachfolge von Premierminister Boris Johnson angetreten, blieb aber nur 49 Tage im Amt. Ihre Pläne für radikale Steuersenkungen hatten Turbulenzen an den Finanzmärkten ausgelöst.

Liz Truss spricht vor der Downing Street Nr.10.

Zu den Verlierern der Wahl gehört auch die ehemalige Premierministerin Liz Truss. Die Tory-Politikerin verlor ihr Mandat.

Liberaldemokraten und Rechtspopulisten legen zu

Nicht nur Labour konnte den Konservativen bei dieser Wahl Mandate abringen. Auch die Liberaldemokraten scheinen erhebliche Zugewinne auf Kosten der Tories verbuchen zu können. Sie kommen laut Prognose auf 58 Sitze - bisher waren es nur elf. Seine Partei sei auf Kurs zu ihrem besten Ergebnis in einem Jahrhundert, sagte Liberaldemokraten-Chef Ed Davey.

Für die schottische Unabhängigkeitspartei SNP sieht es hingegen nach einer verheerenden Niederlage aus. Sie kann der Prognose zufolge nur acht Mandate erringen. Bei der vergangenen Wahl waren es noch 48 Sitze gewesen. Es sei "kein guter Abend" für die SNP, sagte die frühere schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge.

Zufrieden dürfte hingegen die rechtspopulistische Partei Reform UK von Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage sein. Sie kommt laut Prognose aus dem Stand auf vier Mandate. Farage hatte mit seiner überraschenden Kandidatur mutmaßlich erheblich zum schlechten Ergebnis für die Konservativen beigetragen, weil er Wähler am rechten Rand abspenstig machte.

Sunak konnte im Wahlkampf kaum aufholen

Überraschend ist das Ergebnis nicht: Umfragen hatten schon lange einen deutlichen Sieg der Sozialdemokraten vorausgesagt. Im Wahlkampf konnte Sunak, dessen Partei mit Pannen und einem Skandal um illegale Wetten zum Wahltermin zu kämpfen hatte, kaum aufholen.

Verantwortlich für den klaren Ausgang der Wahl ist nach Ansicht des Meinungsforschers John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow nicht in erster Linie Begeisterung für Labour, sondern Verdruss über die bisherige Regierungspartei. Sunak war bereits der dritte Regierungschef seiner Partei in der vergangenen Legislaturperiode, die von wirtschaftlicher Stagnation und stark steigenden Lebenshaltungskosten geprägt war.

Starmer führte Labour in die Mitte

Labour-Chef Starmer hatte die Arbeiterpartei in den vergangenen Jahren wieder in die politische Mitte geführt, nachdem sie unter seinem Vorgänger Jeremy Corbyn weit nach links gerückt war. Zudem ging er entschieden gegen antisemitische Tendenzen in den eigenen Reihen vor.

Gleichzeitig blieb der bisherige Oppositionschef in vielen Bereichen eher vage, etwa zu den Plänen für eine mögliche Annäherung mit der Europäischen Union. Kommentatoren verglichen seine behutsame Art mit dem Tragen einer Porzellanvase aus der chinesischen Ming-Dynastie.

Starmer gewann seinen eigenen Wahlkreis Holborn and St Pancras deutlich. Allerdings verlor er im Vergleich zur vorigen Abstimmung 2019 rund 17 Prozentpunkte. Das lag vor allem an der überraschend hohen Zustimmung für einen unabhängigen Kandidaten, der sich deutlich gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen ausgesprochen hatte.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet die tagesschau am 05. Juli 2024 um 00:38 Uhr.