Menschen mit Wasserkanistern in Chan Yunis am Gazastreifen.

Vorwürfe gegen Israel Wasserentzug als Kriegswaffe?

Stand: 19.12.2024 10:27 Uhr

Setzt Israel im Gazakrieg die Einschränkung der Wasserversorgung als Kriegswaffe ein? Die israelischen Behörden streiten dies ab. Doch die zerstörte Infrastruktur ist ein Problem.

Fragt man israelische Stellen und Palästinenser, wie es um die Wasserversorgung in Gaza steht, bekommt man sich widersprechende Aussagen. Klar ist nur, dass es auch Aussagen gab, wie diese von Israels damaligem Verteidigungsminister Yoav Gallant, der wenige Stunden nach dem Terrorüberfall des 7. Oktober sagte: "Wir haben eine vollständige Blockade des Gazastreifens angeordnet. Es wird keinen Strom, kein Essen, kein Wasser, keinen Treibstoff geben. Alles ist zu. Wir kämpfen gegen Tiere und handeln entsprechend."

Sätze wie diese tauchen in Berichten auf, die beweisen wollen, dass Israel im Gazakrieg den Entzug von Wasser systematisch als Kriegswaffe einsetzt. Zu diesem Ergebnis kam ein Bericht von Oxfam im Sommer, eine neuer Bericht von Human Rights Watch kommt zu ähnlichen Schlüssen. Tatsächlich gibt es Videos, die zeigen, wie israelische Soldaten Wasserleitungen abdrehen. Doch nach mehr als 14 Monaten Krieg ist vor allem die Zerstörung der Wasser-Infrastruktur in Gaza ein Problem.

Leben mit dem Wassermangel

Man erreicht Ghada Al-Haddad im Gazastreifen, in Deir el Balah arbeitet sie für Oxfam - lebt aber auch selbst mit dem Wassermangel: "Seit Kriegsbeginn rationieren wir das Wasser. Das sagen wir den Kindern und der ganzen Familie. Denn auch wenn wir jetzt vielleicht Wasser haben, ist es nicht sicher, ob es morgen welches gibt." Das sei furchtbar, denn Wasser sei ein grundlegendes Menschenrecht. "Jede und jeder sollte Zugang zu Wasser haben", sagt Al-Haddad. "Aber was wir sehen ist, dass es weniger als das Minimum gibt.

In Deutschland verbraucht jeder Mensch im Durchschnitt 128 Liter Wasser am Tag. In Gaza war die Versorgung nach offiziellen Angaben vor dem Krieg nicht schlecht - rund 90 Liter hatte eine Person im Durchschnitt pro Tag zur Verfügung. Jetzt sind es nach den Berechnungen von Oxfam deutlich unter zehn Liter - im Norden des Gebietes sogar unter fünf Liter pro Person am Tag.

"Kannst du dir das vorstellen?", fragt Al-Haddad. "Wir nutzen das zum Trinken, Kochen und Waschen, für alles - und das ist weit unter dem international anerkannten Minimum von 15 Litern am Tag pro Person, um in einer Notlage überleben zu können."

Israel präsentiert andere Zahlen

Die israelische Zivilverwaltung für die palästinensischen Gebiete nennt auf ARD-Anfrage andere Zahlen: Demnach seien Zehntausende Tonnen an Wasser mit Lkw in das Gebiet gebracht worden. Nach israelischen Angaben sollen die Menschen im Norden etwa 107 Liter Wasser pro Kopf am Tag zur Verfügung haben, im zentralen Teil des Gebietes rund 34 Liter, im Süden etwa 20 Liter pro Kopf und Tag. Überprüfen lässt sich das nicht.

Aber man kann mit Monther Shoblak sprechen, dem Chef des kommunalen Wasserversorgers in Gaza. Seit Monaten ist er in Kairo - aber hält Kontakt zu seinen Kollegen. Er berichtet von einem Vorfall Ende Oktober: Palästinensische Arbeiter wollten eine Wasserleitung reparieren, der Einsatz sei mit den israelischen Stellen abgestimmt gewesen, sagt Shoblak: "Das hat sie nicht davor geschützt, ins Visier zu geraten, noch bevor sie angekommen waren, um die Leitung zu reparieren", sagt er. "Schon bevor sie in das Auto gestiegen sind, wurden sie angegriffen und getötet. Es waren vier Menschen - und das ist nur der letzte Fall. Davor haben wir schon weitere 15 unserer Leute verloren. Sie wurden getötet, angegriffen als sie zur Arbeit wollten."

Zerstörte Brunnen

Shoblak ist ein Ingenieur und antwortet auch auf die Frage, ob Israel in Gaza mit dem Entzug von Wasser Kriegsverbrechen begehe, mit Zahlen: "80 Prozent der Brunnen in Gaza sind heute zerstört, auch im Norden. Drei Kläranlagen, die mit Steuergeldern unserer Partner gebaut wurden, sind fast zerstört, die Anlage im mittleren Teil, die von Deutschland finanziert wurde, völlig." Zur Zeit stünden nur 16 Prozent der Produktionskapazitäten zur Verfügung.

Und das hat nach Angaben der Menschenrechtsorganisationen nicht nur direkte Folgen, in der Form, dass Menschen Gefahr laufen zu verdursten: Ärzte in Gaza berichten von sich ausbreitenden Krankheiten, von schlechter Hygiene wegen des Wassermangels und völlig geschwächten Menschen.

Sie verbringen viele Stunden am Tag damit, an Wasser zu kommen, dass oft mit Lkw geliefert wird. Israel betont, man tue viel dafür, um die Lage zu verbessern. Die Berichte aus dem Gazastreifen sprechen eine andere Sprache.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 19. Dezember 2024 um 06:35 Uhr.