Türkei Griechenland verstärkt Grenzschutz
Immer mehr Flüchtlinge in der Türkei ziehen an die griechische Grenze. Dort warten nach UN-Angaben bereits Tausende auf eine Gelegenheit, in die EU zu kommen. Griechenland versucht weiter, das zu verhindern.
Griechenland hat in der Nacht seine Einheiten entlang der Grenze zur Türkei weiter verstärkt. Die griechischen Sicherheitsbehörden befürchteten, dass die Tausenden Migranten, die seit Freitag auf der türkischen Seite der Grenze ausharren, versuchen würden, nach Griechenland zu kommen. Dies geschah nach Berichten des Staatsrundfunks ERT aber nicht.
Nach der von der Türkei angekündigten Öffnung ihrer Grenzen Richtung EU waren nach Angaben der UN-Organisation für Migration (IOM) "mindestens 13.000 Migranten", darunter Syrer, Afghanen und Iraker, an der Grenze zu Griechenland angekommen. Tausende Menschen, darunter auch Familien mit kleinen Kindern, verbrächten eine kalte Nacht an der Grenze, teilte die IOM mit. Laut der Nachrichtenagentur AFP erreichten im Verlauf des Morgens Hunderte weitere Flüchtlinge den Grenzübergang in der westlichen Provinz Edirne.
Verstärkte Patrouillen in der Ägäis
Insgesamt hinderte die griechische Polizei bislang 9600 Migranten daran, diese Grenze zu überqueren, wie das Migrationsministerium in Athen mitteilte. Nach Regierungsangaben wurden auch die Patrouillen in den Meerengen zwischen den griechischen Inseln und der türkischen Ägäisküste verstärkt. Die stürmischen Winde der letzten Tage haben nachgelassen, die Regierung in Athen befürchtet nun einen größeren Zulauf über die Ägäis. Am frühen Morgen kamen nach Berichten griechischer Fernsehsender knapp 170 Migranten allein auf der Insel Lesbos an.
Nach UN-Angaben sollen mehr als 13.000 Menschen an der Grenze nach Griechenland angekommen sein.
Die griechische Grenzpolizei und Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei hatten am Freitag und Samstag Tränengas und Blendgranaten eingesetzt, um große Gruppen von Migranten daran zu hindern, über den Grenzübergang bei Kastanies/Pazarkule aus der Türkei nach Griechenland zu kommen.
Einer unbekannten Zahl von Migranten gelang es, einen Zaun an der Grenze zu überwinden oder mit Schlauchbooten den Grenzfluss Evros zu überqueren und nach Griechenland zu kommen. Allein am Samstag seien 70 Menschen festgenommen worden, teilte die Polizei mit. Die Regierung in Athen hat wiederholt erklärt, Griechenland werde keinen illegalen Grenzübertritt dulden.
Mehr als 75.000 Migranten sollen Grenze passiert haben
Zuvor hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bestätigt, dass die Türkei keine Flüchtlinge mehr auf ihren Weg nach Europa aufhalte und gesagt, man habe die Grenze für Migranten geöffnet. Er begründete dies damit, dass die EU sich nicht an den im März 2016 geschlossenen Flüchtlingspakt halte. Seit Freitag machen sich zahlreiche Menschen in der Türkei auf den Weg zur Grenze und versuchen, in die EU zu gelangen.
Der türkische Innenminister Süleyman Soylu teilte auf Twitter mit, bis Sonntagmorgen hätten 76.358 Migranten über die Provinz Edirne die Grenze passiert. In der Provinz Edirne gibt es Grenzübergänge nach Griechenland und nach Bulgarien. Allerdings berichteten weder Sofia noch Athen über das Eintreffen größerer Zahlen von Migranten.
Nach Angaben der UN-Organisation für Migration harren auch Familien mit kleinen Kindern an der Grenze aus.
Von der Leyen sagt Griechenland Unterstützung zu
Die Türkei steht unter Druck, weil Syriens Machthaber Baschar al-Assad mit militärischer Unterstützung Russlands derzeit versucht, die letzte Rebellenhochburg Idlib unter Kontrolle zu bekommen. Nach UN-Angaben wurden durch die syrische Offensive seit Dezember fast eine Million Menschen vertrieben, so dass in der Türkei die Zahl der Flüchtlinge weiter steigt.
Das Land hat bereits mehr als 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Der Flüchtlingspakt mit der EU von 2016 sieht eigentlich vor, dass die Türkei Migranten vom Weg in die EU abhält. Die EU versprach der Türkei im Gegenzug Milliardenhilfen, eine beschleunigte Visa-Erleichterung und die Modernisierung der Zollunion. Mit dieser neuen Position versucht Ankara offensichtlich, mehr Geld der EU für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge zu erzwingen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel verfolgten die Lage an den EU-Außengrenzen zur Türkei mit Besorgnis. "Unsere oberste Priorität ist, dass Griechenland und Bulgarien unsere volle Unterstützung haben", twitterte von der Leyen. Die EU sei zu weiterer Unterstützung bereit, auch mit zusätzlichen Kräften der EU-Grenzschutzagentur Frontex.
Röttgen: "Hilferuf der Türkei"
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), warnte die Europäische Union davor, mit Härte auf die Vorstöße Erdogans zu reagieren. Dessen Ankündigung, die Grenzen zu öffnen, habe zwar "die äußere Form einer Drohung", sei aber dem Inhalt nach "ein Hilferuf" an Europa, sagte Röttgen der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Erdogan sei mit seinem Versuch gescheitert, in Syrien mit Russland zusammenzuarbeiten, und genau das signalisiere er jetzt dem Westen. Er wolle sagen: "Seht her, ich bin mit meiner Russland-Politik gescheitert, und jetzt brauche ich die Europäer."
Röttgen, der zu den Bewerbern um den CDU-Vorsitz zählt, hob hervor, dass die Türkei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen habe. Darum müsse Europa ihr jetzt "zusätzliches Geld und zusätzliche Hilfe bereitstellen, um diese Menschen vorübergehend zu versorgen". Eine harte Gangart gegen Erdogan sei "im Lichte unserer Interessen der falsche Weg", warnte der Außenpolitiker. Der Westen solle nicht "auf den Ton" des türkischen Staatschefs eingehen, sondern "den Problemen" gerecht werden.