Urteil in Indien Millionen Indigenen droht Vertreibung
Millionen Ureinwohner in Indien müssen ihren angestammten Lebensraum in Wäldern verlassen. Das urteilte der Oberste Gerichtshof nach Klagen von Naturschützern. Hilfsorganisationen sind entsetzt.
Von Bernd Musch-Borowska, ARD-Studio Neu-Delhi
Nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofes in Indien müssen Millionen Angehörige indigener Völker ihren Lebensraum verlassen. Der Supreme Court gab einer Klage von mehreren Naturschutzverbänden gegen die Besiedlung der Wälder statt und ordnete die Vertreibung von Menschen an, die keine verbrieften Landrechte für die Wälder besitzen.
Das bislang gültige indische Forstgesetz garantierte all jenen indigenen Völkern, die mindestens drei Generationen in einer bestimmten Region lebten, das Recht auf dieses Land. Naturschützer hatten dagegen geklagt, weil ihrer Ansicht nach dadurch der Lebensraum für wilde Tiere eingeschränkt wurde. Dieser Auffassung schloss sich jetzt der Oberste Gerichtshof an. Als Frist für die Räumung der gemäß dem Urteil unrechtmäßig besiedelten Wälder setzte das Gericht den 24. Juli.
Bis zu acht Millionen Betroffene
Nach Einschätzungen der Menschenrechtsorganisation Survival International sind von der Entscheidung mehr als eine Million Familien in 16 Bundesstaaten betroffen. "Diese Entscheidung ist ein Todesurteil für Millionen Indigene in Indien, Landraub in epischem Ausmaß und eine monumentale Ungerechtigkeit", kritisierte Stephen Corry, Direktor der Organisation.
Insgesamt, so heißt es, könnten bis zu acht Millionen Menschen in den nächsten fünf Monaten von Vertreibung bedroht sein. In Indien leben mehr als 100 Millionen Menschen, die indigenen Völkern angehören und als Ureinwohner des indischen Subkontinents gelten.
Kritik an Regierung
Die ersten Reaktionen in den indischen Medien fallen unterschiedlich aus. So gibt es unter anderem Kritik an der Regierung in Delhi, die nicht mal einen Vertreter zur Verhandlung vor dem Obersten Gericht geschickt habe, um die Rechte der indigenen Bevölkerung zu unterstützen.
Außerdem seien viele der schon vor Jahren gestellten Anträge indigener Völker zur Anerkennung ihrer Landrechte in der schleppenden indischen Bürokratie stecken geblieben. Dadurch würden viele der jetzt Betroffenen nur wegen noch ausstehender Behördenentscheidungen, ihre Heimat verlieren.