Fillons Triumph bei der Vorwahl Der Sieg des "französischen Schröders"
François Fillons Programm klingt schwer nach deutscher Agenda-Politik - doch genau das wollen offenbar viele Franzosen, sagt ARD-Korrespondent Wagner im tagesschau.de-Interview. Außerdem: Was der Sieg des "französischen Schröders" bedeutet und warum sich Le Pen die Hände reibt.
tagesschau.de: Das Ergebnis war für viele Menschen eine Überraschung: Der präsidial auftretende François Fillon hat mit 44 Prozent die meisten Stimmen in der Vorwahl der Konservativen bekommen. Nicolas Sarkozy ist raus. Beobachter gehen davon aus, dass dies das wichtigste Ziel vieler Wähler war. Sie auch?
Marcel Wagner: Ja, denn vielen Wählern wäre ein Sieg von Sarkozy ein Graus gewesen. Ganz einfach, weil sie davon ausgehen, dass im Frühjahr, bei der eigentlichen Präsidentschaftswahl, ein Konservativer auf Marine le Pen vom Front Nationale (FN) trifft. Sarkozy gegen Le Pen hätte also bedeutet, dass es keinen gemäßigten Kandidaten gegeben hätte. Das hat zu einer großen Mobilisierung geführt.
Fillon und Schröder - da gibt es Ähnlichkeiten
tagesschau.de: Fillon gilt als unaufgeregter "Monsieur nüchtern" - konservativ, antiamerikanisch, prorussisch. Wo würden Sie ihn politisch einsortieren?
Wagner: Er sagt von sich selbst, dass er Margaret Thatcher verehrt. In Frankreich ist das durchaus bemerkenswert, weil die frühere britische Premierministerin hier nicht gerade hoch angesehen ist. Was Fillon vorschlägt, ist sehr wirtschaftsliberal: Die 35-Stunden-Woche, eine heilige Kuh der Franzosen, will er schlachten. Er will 500.000 Beamtenstellen abschaffen, er will Erleichterungen für Unternehmer und hat als Ziel ausgegeben, dass Frankreich innerhalb von zehn Jahren die wirtschaftliche Nummer eins in Europa sein soll.
tagesschau.de: Angesichts solcher Positionen muss man sich fragen: Wissen die Franzosen - die auf ihre gewerkschaftliche Mitwirkung stets stolz waren - wem Sie da gestern ihre Stimme gegeben haben, oder sind sie der Ansicht, dass nun massive Einschnitte nötig sind?
"Fordern und fördern" à la française
Wagner: Wenn man sich das Ergebnis gestern und das Programm von Fillon anschaut, dann passt das im "reformscheuen" Frankreich tatsächlich auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammen. Es kann aber sein, dass die Stimmung durch massive Arbeitslosigkeit, fehlendes Wirtschaftswachstum und hohe Staatsverschuldung so eingetrübt ist, dass die Wähler für eine radikale Wende bereit sind und sagen: Das alte System mit starken Gewerkschaften kann so nicht weitergeführt werden.
tagesschau.de: Das klingt ein wenig nach Deutschland um die Jahrtausendwende...
Wagner: Absolut, und manche Reformen von Fillon erinnern an das Programm von Gerhard Schröder. Schon als Premier unter Sarkozy hatte Fillon die Agenda-Politik als Vorbild gehabt. Damals schaffte er es allerdings nicht, diese Reformen durchzusetzen. Offenbar ist er aber noch immer von diesen Ideen überzeugt. So spricht er beispielsweise auch von "fordern und fördern" als Grundsatz am Arbeitsmarkt. Dehalb kann man schon sagen, dass Fillon - ohne Schröders Namen jemals erwähnt zu haben - hier als eine Art Schröder von Frankreich antritt.
"Würde nicht sagen, dass Juppé keine Chance mehr hat"
tagesschau.de: Was kann Alain Juppé denn nun bis Sonntag tun, um seinen derzeitigen Rückstand aufzuholen?
Wagner: Er muss zeigen, dass auch er ein Reformer ist - allerdings in gemäßigterer Form. Angesichts des deutlichen Erfolgs von Fillon könnte das schwer werden. Dass nun auch Sarkozy eine Wahlempfehlung für Fillon gegeben hat, dürfte seine Situation noch verschärfen. Am Donnerstag gibt es noch einmal ein TV-Duell der beiden Konservativen. Da wird sich Juppé als großer Einiger darstellen, der auf Konsenslösungen setzt.
tagesschau.de: Viel Spielraum hat er aber nicht.
Wagner: Tatsächlich ist Juppés Werkzeugkasten für Angriffe auf Fillon nicht allzu groß - immerhin gehören beide dem gleichen politischen Lager an. Allerdings hat man in Frankreich keine Erfahrung mit solchen Vorwahlen, man weiß schlicht nicht, wer sich zur Stichwahl mobilisieren lässt. Deshalb würde ich nicht sagen, dass Juppé keine Chance mehr hat. Wenn die Wahl bisher eines gezeigt hat, dann dies: Vorhersagen sind extrem schwer.
Es geht auch ohne Populismus
tagesschau.de: Derzeit scheint es ausgemacht zu sein, dass ein Konservativer gegen Le Pen antreten wird, wenn es im Mai 2017 in der letzten Runde um die Präsidentschaft geht. Wer hätte da bessere Chancen?
Wagner: Gegen Le Pen hätte Juppé wahrscheinlich die besseren Chancen, weil er eher das linke Lager anspricht. Mit seinen konservativen Werten wäre Fillon für die Wählerschaft deutlich schwerer zu ertragen. Um jedoch in die Stichwahl zu kommen, hat Fillon durchaus Vorteile, weil er das klarere Programm hat.
tagesschau.de: Ist der eher sachliche Politikstil - den beide Konservativen pflegen - die richtige Strategie gegen die Populistin Le Pen?
Wagner: Ich glaube, diese Vorwahl mit der massiven Mobilisierung hat gezeigt, dass sich viele Menschen mit sachlicher Politik erreichen lassen. Das lässt hoffen. Außerdem wurde deutlich: Der Kandidat, der auf populistische Töne gesetzt hat, nämlich Sarkozy, ist nicht gewählt worden.
"Da reibt sich der FN die Hände"
tagesschau.de: Für die "Abgehängten", die Populisten erreichen wollen, ist Fillon mit seinem Programm quasi unwählbar. Freut sich Le Pen über das Ergebnis?
Wagner: Für sie wäre Fillon eindeutig der bessere Gegner. Allerdings hätte sie ein Werte-Problem. Da wildert Fillon im Kanon des Front National. Sollte es zu einem Duell mit Fillon kommen, wird sie darauf setzen, den Franzosen klar zu machen, dass er ein Ultraliberaler ist, der die "Abgehängten" in eine noch schwierigere Lage bringt. Da reibt sich der FN sicherlich die Hände.
tagesschau.de: Auch wenn derzeit vieles auf ein Duell Le Pen gegen Fillon/Juppé hingedeutet. Rechnen Sie damit, dass noch andere Kandidaten eine Rolle spielen könnten?
Wagner: Sollte François Hollande nicht antreten - und davon muss man aktuell ausgehen - bleibt immer noch Ministerpräsident Manuel Valls. Seine Beliebtheitswerte sind in den letzten Wochen gestiegen, im linken Lager ist er angesehen. Er wäre einer, den man auf der Rechnung haben muss. Und bislang hat er noch nicht gesagt, dass er nicht antritt. Deshalb ist durchaus noch mit seiner Kandidatur zu rechnen. Außerdem gibt es auch noch Emmanuel Macron. Da wäre nur die Frage, ob der sich mit Valls im linken Lager nicht kannibalisieren würde. Kurzum: Es ist ein wahnsinnig komplizierter Wahlkampf - jetzt schon.
Das Interview führte Florian Pretz, tagesschau.de