Die Rolle des Iran im Libanon "Die 'Achse des Widerstands' ist geschwächt"
Es sei viel zu früh, die Hisbollah-Miliz abzuschreiben, erklärt die SWP-Expertin Zamirirad. Der Iran werde weiterhin massiv in die Hisbollah investieren. Ob er auch das Risiko einer größeren militärischen Eskalation eingeht, bleibe offen.
tagesschau24: Israel hat die proiranische Hisbollah-Miliz im Libanon in den vergangenen Wochen massiv geschwächt. Was bedeutet diese Schwächung für den Iran?
Azadeh Zamirirad: Das ist tatsächlich ein sehr herber Schlag für den Iran. Die Hisbollah ist ja nicht irgendein Verbündeter, nicht zu vergleichen beispielsweise mit der Hamas oder mit den jemenitischen Huthi-Rebellen. Die Hisbollah ist der zentrale Verbündete des Iran in dieser selbsterklärten Achse des Widerstandes - ein Akteur, in den der Iran über Jahrzehnte investiert hat und der dem Iran auch religiös und ideologisch näher steht als irgendeine andere Miliz.
Die Hisbollah ist auch ein Akteur, durch den der Iran eine sogenannte strategische Tiefe in der Region erzielen konnte, eine militärische Präsenz direkt an der Grenze zu Israel. Diese Präsenz ist aus Sicht des Iran nun gefährdet. Eine Schwächung der Hisbollah bedeutet letztlich eine Schwächung des Iran.
Azadeh Zamirirad leitet die Forschungsgruppe Region Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu ihren Schwerpunkten gehört unter anderem der Iran.
Hisbollah für Iran eine Art Kronjuwel
tagesschau24: Der Iran versteht sich als Erzfeind Israels. Welche anderen Verbündeten neben der Hisbollah hat der Iran noch in der Region?
Zamirirad: Der Iran hat eine ganze Reihe von Verbündeten in dieser sogenannten Achse des Widerstandes. Dazu gehört zum Beispiel die Hamas in Gaza aber auch der Palästinensische Islamische Dschihad, die sogenannten Huthi-Rebellen im Jemen und auch eine ganze Reihe von Milizen in Syrien und im Irak.
Aber keine dieser Gruppierungen ist so gut gerüstet, ausgestattet und so wichtig für den Iran wie die Hisbollah, die immer als eine Art Kronjuwel dieser sogenannten Achse des Widerstandes galt.
Kontroverse im iranischen Sicherheitsapparat
tagesschau24: Wie groß ist angesichts der jüngsten Entwicklungen das Risiko, dass sich der Iran direkt einschaltet und die Situation im Nahen Osten völlig eskaliert?
Zamirirad: Der Iran wird die Hisbollah ohne Zweifel unterstützen. Militärisch, logistisch und ebenso beim Wiederaufbau der verloren gegangenen Führungs- und Kommandostruktur. Das bedeutet möglicherweise auch Unterstützung in einem Guerillakampf gegen israelische Truppen, jetzt, seit dem Einmarsch der Israelis in den Libanon.
Ob der Iran das Risiko einer größeren militärischen Eskalation eingeht, ist dagegen offen. Eigentlich ist die Lage denkbar schlecht. Die Achse ist geschwächt, Irans wichtigster Verbündeter ebenso.
Im iranischen Sicherheitsapparat gibt es mittlerweile eine Kontroverse darüber, ob der Iran das Chancenfenster verpasst habe und man eigentlich früher hätte reagieren sollen, etwa nach der Tötung des Hamasführers Ende Juli als der Iran mit Vergeltung gedroht hatte. Dieses Gelegenheitsfenster scheint jetzt ein wenig geschlossen zu sein, um wirklich noch mal glaubhafte Abschreckung etablieren zu können. Insofern hat der Iran im Moment eigentlich gar keine guten Optionen.
Ablehnung der iranischen Bevölkerung
tagesschau24: Wie reagiert denn die Bevölkerung im Iran auf das Vorgehen Israels gegen die Hisbollah? Oder andersherum gefragt: Unterstützt die Bevölkerung das Regime in Teheran im Hinblick auf eine Eskalation mit Israel?
Zamirirad: Eine pauschale Aussage über die Unterstützung der Bevölkerung in diesem Kontext lässt sich nicht treffen. Wir haben keine belastbaren Umfragen, auf die wir zurückgreifen könnten.
Aber wir haben in der jüngsten Vergangenheit immer wieder gesehen, dass es sehr viel Ablehnung gibt für die iranische Regionalpolitik, für die iranische, logistische, militärische, aber vor allen Dingen auch finanzielle Unterstützung von etlichen Milizen in dieser Region. Und wir haben gesehen, dass es keine breite Unterstützung gibt für diesen antiisraelischen Kurs, dieses Feindbild Israel, das die Islamische Republik ja seit Jahrzehnten aufrechterhält.
Gleichzeitig gibt es aber auch natürlich Sorge vor einer größeren Eskalation und vor einem Krieg. Da unterscheidet sich ja die iranische Gesamtbevölkerung nicht von den Bevölkerungen anderer Staaten in der Region und überhaupt anderen Teilen der Region, die ja auch besorgt sind und schon jetzt Folgen eines Krieges verspüren.
"Nur eine Momentaufnahme"
tagesschau24: Die proiranische Hisbollah-Miliz ist ja so etwas wie der verlängerte Arm des Iran an der Grenze zu Israel. Was genau soll die Hisbollah bezwecken und was kann sie in dem jetzt geschwächten Zustand überhaupt noch aus ihrer Sicht erreichen?
Zamirirad: Das ist nur eine Momentaufnahme. Es ist viel zu früh, die Hisbollah als Miliz und als Kraft abzuschreiben. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder gesehen, dass das Ausschalten von Führungspersonen in der Hisbollah, aber auch in anderen Milizen, nicht zum Kollaps dieser Strukturen geführt hat.
Wir haben immer wieder gesehen, dass neue Generationen an Führungskräften nachkommen. Es ist deshalb zu früh zu sagen: Die Hisbollah ist kein Akteur mehr, der tatsächlich zu einer sicherheitspolitischen Bedrohung für Israel werden könnte.
Solange der israelisch-palästinensische Konflikt ungelöst bleibt, bleibt auch der Nährboden für Ideologie, für Radikalisierung und für das iranische Widerstandsnarrativ bestehen.
tagesschau24: Blicken wir auf die Führungsstruktur der Hisbollah. Ist absehbar, inwieweit der Iran Einfluss auf die Nachbesetzung an der Spitze nehmen könnte?
Zamirirad: Das Verhältnis zwischen dem Iran und der Hisbollah ist ja eine sehr enge strategische Partnerschaft. Es gibt eine sehr enge Koordinierung, nicht nur bilateral, sondern auch innerhalb dieser Achse des Widerstandes, wo die Hisbollah auch eine ganz gewaltige koordinierende Rolle einnimmt.
Das heißt, der Iran wird da in sehr enger Abstimmung mit der Hisbollah-Riege sein um zu sehen, wie die Kommandostruktur, die Führungsstruktur aber auch die militärischen Kapazitäten wieder adäquat aufgebaut werden können. Iran wird da weiterhin sehr massiv investieren, aber das wird Monate, möglicherweise auch Jahre brauchen. Offen ist, ob die Hisbollah wieder die Stärke erreichen kann, die sie in der Vergangenheit hatte.
Das Gespräch führte Carl-Georg Salzwedel, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht überarbeitet.