Rede nach Regierungssturz Kein "mea culpa" von Macron
Rechtfertigung, Abrechnung und Appell: Präsident Macron hat sich nach dem Regierungssturz an das französische Volk gewandt. Er will schnell einen neuen Premier - doch wie soll der zu Mehrheiten kommen?
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist nicht gerade bekannt dafür, Fehler einzuräumen - und seine TV-Ansprache nach dem Sturz der Regierung war dann auch alles andere als ein "mea culpa". Im Gegenteil: Die Auflösung der Nationalversammlung nach den Europawahlen sei unausweichlich gewesen; die Regierung von Michel Barnier habe ihr Bestes getan, mit den wackeligen Mehrheitsverhältnissen nach der Neuwahl zu arbeiten, betonte Macron.
Der Sturz erfolgte laut Macron "trotz der Zugeständnisse, die Michel Barnier an alle politischen Kräfte gemacht hat." Die extreme Rechte und die extreme Linke hätten sich zu einer "anti-republikanischen Front" zusammengeschlossen haben. Und "Kräfte, die einst Frankreich regierten", hätten entschieden, ihnen zu helfen.
Macron erteilt Rücktritt eine Absage
Eine Art präsidiale Abrechnung - nicht nur mit den politischen Extremen, sondern auch mit den Sozialisten, die als Teil des Linksbündnisses für das Misstrauensvotum gestimmt hatten. Seinem Rücktritt - den Teile der politischen Linken offen fordern - erteilte Macron einmal mehr eine klare Absage. Er werde sein Mandat bis zum Ende ausüben.
Ebenso einmal mehr kündigte Macron einen politischen Neustart an: mit einem neuen Regierungschef, den er in den kommenden Tagen ernennen will. "Ich werde ihm den Auftrag erteilen, eine Regierung des allgemeinen Interesses zu bilden. Dort sollen alle politischen Kräfte vertreten sein, die sich an einer Regierung beteiligen können - oder wenigstens zusichern, kein Misstrauensvotum anzustrengen." Oberste Priorität werde sein, einen Haushalt zu verabschieden.
Dafür will Macron ab Freitag Vertreter der Fraktionen in den Élysée einladen - darunter auch die Sozialisten. Denn eine stabile Mehrheit erscheint nur möglich, wenn das Linksbündnis auseinanderbricht - und gemäßigte Kräfte wie etwa die Sozialisten, eine neue Regierung mindestens dulden.
Sozialisten verhandlungsbereit - mit Bedingungen
Dazu sei man bereit - unter Bedingungen, sagte der Fraktionschef der Sozialisten Boris Vallaud am Abend bei France 2. "Wir sind offen für die Möglichkeit, einen Premierminister aus den Reihen der Linken zu ernennen - daran glaube ich, das hoffe ich, und es wäre logisch. Der sich dazu verpflichtet, nie wieder über irgendwas mit der extremen Rechten zu verhandeln."
Das Linksbündnis hatte bei den vorgezogenen Neuwahlen die meisten Mandate geholt - und Regierungsanspruch erhoben. Von Macron kam ein Nein - und die Bitterkeit darüber sitzt tief. Doch die Forderung des Sozialisten Boris Vallaud erscheint illusorisch. Nicht zuletzt, weil ein neuer Premierminister den Rassemblement National, immerhin die stärkste Einzelfraktion im Parlament, nicht wird ignorieren können. Dafür werde man sorgen, betonte RN-Parteichef Jordan Bardella ebenfalls bei France 2.
RN: Mit Misstrauensvotum den Wählern Respekt verschafft
"Die neue Regierung erbt schwierige Verhältnisse, auch sie wird keine Mehrheit im Parlament haben. Aber sie wird auf uns zukommen müssen und fragen, was unsere Millionen Wähler sich wünschen", sagte Bardella. "Ich ertrage diese Demokratie nicht mehr, in der man nie auf die Millionen von Franzosen hört, die den RN wählen." Mit dem Misstrauensvotum hätte der RN seinen Wählern Respekt verschafft und getan, wofür er gewählt wurde, erklärte er.
Unter diesen Voraussetzungen erscheint eine Regierungsbildung weiter wie die politische Quadratur des Kreises. Der Politikwissenschaftler Benjamin Morel hält eine große Allianz für unwahrscheinlich. Das Parlament nochmal aufzulösen und neu zu wählen, um die politische Blockade zu lösen, ist frühestens im nächsten Sommer möglich. Und könnte auch nach hinten losgehen, glaubt Benjamin Morel.
Auflösung bedeutet nicht zwingend Problemlösung
"Der politische Stillstand in der Nationalversammlung ist strukturell bedingt: Es gibt aktuell drei Blöcke, die sehr undurchlässig sind." Es sei nicht sicher, dass ein neues Parlament diese Blockade lösen würde, so Morel. "Wenn man sich die französische Wahlsoziologie heute ansieht, ist die Polarisierung des politischen Lebens in der Wahlgeografie sehr gut verankert." Eine Auflösung würde nicht unbedingt eine andere Situation herbeiführen.
Macron dürfte das alles bewusst sein. Er spricht trotzdem von einer Regierung des allgemeinen Interesses und breiten Allianzen. Seine Worte bilden einen harten Gegensatz zur politischen Realität in Frankreich.