Volksabstimmung in Griechenland "Papandreou hatte Referendum lange geplant "
Papandreous Plan, eine Volksabstimmung durchführen zu lassen, sei keine Überraschung, sondern vielmehr typisch für den Ministerpräsidenten, sagt der griechische Jurist Ioannidis im Interview mit tagesschau.de. Papandreou sei ein Verfechter der direkten Demokratie. Aber die Griechen seien überfordert mit dem Referendum.
tagesschau.de: Ist ein Referendum rechtlich überhaupt möglich?
Michael Ioannidis: Ja, die griechische Verfassung sieht die Möglichkeit von Referenden in zwei Fällen vor. Papandreou kann also eine Volksabstimmung durchführen. Nach Artikel 44 der griechischen Verfassung gibt es das Recht, in einer "besonders wichtigen nationalen Frage" eine Abstimmung durchzuführen. So wird es wahrscheinlich kommen. Die zweite Alternative ist, dass das Parlament entscheidet, dass es hier um eine "wichtige gesellschaftliche Frage" geht. Das Verfahren läuft dann anders als im ersten Fall. Diese Variante halte ich aber für unwahrscheinlich.
Michael Ioannidis hat sein Jurastudium in Griechenland absolviert. Seit 2008 arbeitet er als Doktorant am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und an der Universität Frankfurt am Main. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist internationales Recht.
tagesschau.de: Kann Papandreou die Entscheidung überhaupt alleine fällen?
Ioannidis: Voraussetzung für die erste Alternative ist, dass der Ministerrat die Volksabstimmung vorschlägt. Außerdem ist ein Parlamentsbeschluss notwendig. Papandreou braucht die Zustimmung von 151 Abgeordneten. Der Präsident der griechischen Republik beraumt dann durch Verordnung das Referendum an. Es findet innerhalb eines Monats - von der Veröffentlichung des Dekrets des Präsidenten an - statt. Diese Variante ist denkbar, denn Papandreous Partei PASOK hat im Moment 152 Abgeordnete im Parlament. Angesichts der momentanen Krisensituation in Griechenland ist es aber unsicher, ob diese Abgeordneten Papandreous Plan überhaupt zustimmen würden. Die Partei ist zerstritten und die Volksabstimmung war wahrscheinlich seine Idee und nicht die von PASOK. Bei der zweiten Alternative braucht er die Zustimmung von 180 Abgeordneten. Das ist angesichts der Lage wohl unmöglich.
"Papandreou hatte die Idee schon seit einiger Zeit"
tagesschau.de: Welche Gründe hat Papandreou für seine Entscheidung?
Ioannidis: Es gibt eine Reihe von Erklärungen. Vor allem würde ein Referendum die politischen Akteure zwingen, klar Stellung zu beziehn. Die Rolle der Persönlichkeit Papandreous in Bezug auf das Referendum ist aber auch sehr wichtig und wurde unterschätzt. In dem griechischen politischen System - der Premierminister hat die absolut zentrale Position - spielt die besondere Denkweise Papandreous eine ungeheuer wichtige Rolle. Er war immer ein sehr starker Befürworter von allen Formen der partizipatorischen oder direkten Demokratie. Viele Leute in Griechenland meinen, dass diese Idee Papandreous wenig mit der aktuellen politischen Kultur des Landes zu tun hatte. Außerdem hat er immer wieder auch eine gewisse Tendenz zur politischen Überraschung gezeigt: Er trifft oft Entscheidungen, die radikale Lösungen zur politischen Problemen vorschlagen und das Ziel haben, seine Gegner und das Publikum zu überraschen. In diesem Fall haben offenbar seine Partei und das Parlament eine untergeordnete und sekundäre Rolle gespielt.
tagesschau.de: Wie geht es nach der Ausrufung des Referendums weiter?
Ioannidis: Rechtliche Fragen gab es vor allem hinsichtlich der Verbindlichkeit des Ergebnisses. Es war umstritten, ob das Ergebnis eines Referendums für die Regierung und das Parlament verbindlich ist. Die Verfassung ist hier nicht absolut klar. Und da gibt es einen interessanten Punkt. Am 24.10.2011 wurde in Griechenland das "Gesetz zur Durchführung von Referenda" veröffentlicht, welches die Details des Verfahrens regelt - also zwei Tage vor dem Gipfel. Das bedeutet, dass Papandreou die Idee eines Referendums schon seit einiger Zeit und sicherlich vor dem Gipfel hatte. Nach diesem Gesetz hat das Ergebnis eines Referendums außerdem einen verbindlichen Charakter. Die Regierung ist an das Ergebnis der Abstimmung gebunden, wenn zumindest 40 Prozent der Wahlberechtigten an der Wahl teilnehmen. Bei der zweiten genannten Alternative müssen es 50 Prozent sein.
"Griechenland hat keine Erfahrungen mit Volksabstimmungen"
tagesschau.de: Für wie sinnvoll halten Sie eine Volksabstimmung?
Ioannidis: Wichtig ist, dass das Referendum ein absolut außergewöhnliches Verfahren für Griechenland ist - sowohl aus politischer als auch aus juristischer und verfassungsrechtlicher Sicht. Es gibt in Griechenland überhaupt keine Tradition direkter Demokratie dieser Art. Seit dem Jahr 1920 gab es in Griechenland insgesamt sieben Referenden. Das letzte wurde im Jahr 1974 direkt nach der Diktatur durchgeführt. Dabei ging es um den demokratischen oder monarchischen Charakter des Staates. Es stellt sich also die Frage, ob es sinnvoll ist, ein Referendum in einem Land ohne entsprechende vorherige Erfahrung abzuhalten und dann auch noch zu so einem komplizierten Thema.
tagesschau.de: Welche Gefahren birgt das Referendum?
Ioannidis: Die griechischen Parteien und das parlamentarische System sind seit langem nicht mehr repräsentativ. Insbesondere seit dem Anfang der Krise hat das System der parlamentarischen Demokratie in Griechenland seine legitimatorische Kraft total verloren. Aus dieser Sicht ist das Referendum die einzige wirkliche Möglichkeit für das griechische Volk seine Meinung zu äußern. Aber die Abstimmung birgt eine große Polarisierungs-Gefahr. Meiner Ansicht nach ist es fraglich, ob man auf ein so kompliziertes Thema mit einem "Ja" oder "Nein"antworten kann. Es wird also auch darauf ankommen, wie die Frage des Referendums lautet. Die griechische Regierung hat klargemacht, dass die Frage eng gefasst werden soll. Aber noch weiß niemand genau was ein "Nein" bedeuten würde. Zurück zur Drachme? Wahrscheinlich ja. Aber es ist nicht auszuschließen, dass eine beispiellose soziale Krise und eine starke politische Spaltung der Bevölkerung die Folgen wären.
tagesschau.de: Kann Griechenland denn überhaupt aus der Euro-Zone austreten?
Ioannidis: Aus juristischer Sicht ist das umstritten. Nach Artikel 50 EU-Vertrag, kann jeder Mitgliedstaat aus der EU als Ganzes austreten. Die interessante Frage ist aber, ob ein Land aus der Währungsunion austreten und dabei EU-Mitglied bleiben kann? Hier betritt man in Europa rechtliches Neuland. Vertreten werden zwei Alternativen: Der juristische Dienst der EZB hat vor einigen Jahren wesentliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit eines Austritts aus der EWU ohne einen parallelen Austritt aus der EU geäußert. Dies ist wahrscheinlich auch die Meinung der EU-Kommission. Andere Juristen sehen das anders, aber aus politischer Sicht ist ein totaler Austritt aus der EU schwer vorstellbar. Auf jeden Fall wird es ein sehr kompliziertes Verfahren sein. Austritt aus der EWU bedeutet unter anderem die Erstattung des Beitrag der griechischen Zentralbank zum Kapital der Europäischen Zentralbank, die Übertragung vollständiger monetärer Souveränität zurück zu der griechischen Zentralbank und die Schaffung einer neuen Währung.
"Ohne Papandreou kein Referendum"
tagesschau.de: Was geschieht, wenn Papandreou zurücktritt?
Ioannidis: Dann haben wir eine vollkommen andere Situation. Das Referendum hat viel mit der Person Papandreou zu tun. Bereits während seines Studiums in den USA hat er sich mit mit direkter Demokratie und Partizipation beschäftigt, das hat ihn geprägt. Eine andere Regierung oder auch ein anderer Ministerpräsident - selbst wenn er aus der P-Partei käme - würde diese Idee sicher verwerfen und versuchen, die Krise auf andere Weise in den Griff zu bekommen.
Die Fragen stellte Rike Woelk, tagesschau.de