Stimmabgabe in einem Wahllokal in Donezk

Zweiter Tag der Abstimmung Störaktionen bei Wahl in Russland

Stand: 16.03.2024 21:31 Uhr

Protest mit Farbe und Feuer in Wahllokalen: Mit kleinen Aktionen haben Gegner des russischen Präsidenten Putin versucht, seine Wiederwahl zu stören. Mehr als die Hälfte der Menschen hätten bislang abgestimmt, melden die Behörden.

Über drei Tage läuft die Abstimmung zur Wiederwahl des russischen Präsidenten Wladimir Putin - bis zum Nachmittag des zweiten Tages hat laut Wahlkommission bereits mehr als jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme abgegeben. Insgesamt verlaufe die Wahl ordnungsgemäß, so die Behörden. Die Beteiligung ist für den Kreml ein wichtiger Wert, um sie Zweifeln entgegenzusetzen, wie groß die aktive Unterstützung Putins und seines Angriffskriegs tatsächlich ist.

Unabhängige Beobachter weisen jedoch auf systematischen Betrug bei der Wahl hin. So werden etwa Angestellte von Staatsbetrieben Berichten zufolge in großer Zahl zum Urnengang gedrängt. Laut unabhängigen Medien veröffentlichten bereits Hunderte Firmen in sozialen Netzwerken Gruppenfotos von ihren Belegschaften vor dem jeweiligen Wahllokal. Auf Videos war außerdem zu sehen, wie Menschen in Bussen zu Abstimmungsorten gebracht wurden.

Fragen warf auch ein Video auf, das die russische Wahlbeobachtungsgruppe Golos in sozialen Netzwerken veröffentlichte. Es schien Mitarbeiter eines Wahllokals in der südlichen Stadt Krasnodar zu zeigen, die mehrere Stimmzettel in Urnen stopften. Zudem wurde über großen Druck auf ukrainische Menschen berichtet, die in den besetzten Gebieten in dem angegriffenen Land an der dort illegalen Abstimmung teilnehmen sollen.

Protestaktionen mit Farbe und Feuer

Die Abstimmung, die Putin eine fünfte Amtszeit sichern soll, geht noch bis Sonntagabend um 19 Uhr MEZ. Echte Gegenkandidaten hat der 71 Jahre alte Kremlchef nicht. Ernstzunehmende Oppositionelle wurden entweder nicht als Kandidaten zugelassen, sind ins Ausland geflohen oder sitzen im Straflager. Kremlgegner rufen deshalb zu Protestaktionen auf.

Wie Nachrichtenagenturen berichten, kippten am ersten Wahltag am Freitag Männer und Frauen in verschiedenen Wahllokalen Farbe in die Wahlurnen, um die darin liegenden Stimmzettel ungültig zu machen. Teils legten sie kleinere Brände. Mehrere Menschen wurden festgenommen. Am Samstag wurde eine Frau in Jekaterinburg am Ural von Polizisten am Versuch gehindert, grüne Flüssigkeit in eine Wahlurne zu gießen. Auch aus Kaliningrad wird ein solcher Vorfall gemeldet.

Die dabei genutzte grüne Substanz ähnelt dem Antiseptikum Seljonka, das in der Vergangenheit mehrfach bei Attacken Kreml-treuer Akteure auf politische Gegner eingesetzt worden war - unter anderem beim im Februar unter ungeklärten Umständen in einer Strafkolonie gestorbenen Alexej Nawalny.

Verabredung für Sonntag, 12 Uhr

Die Hauptprotestaktion ist für Sonntag geplant: Verschiedene Oppositionelle rufen die Russinnen und Russen dazu auf, um exakt 12 Uhr vor den Wahllokalen zu erscheinen. An den langen Warteschlangen - so die Hoffnung - soll sich dann die Unzufriedenheit im Land ablesen lassen. Befürchtet wird, dass es auch hierbei wieder zu Festnahmen kommt.

Die Behörden haben bereits vor einer Teilnahme an der Aktion gewarnt und behauptet, dass sie "Anzeichen extremistischer Aktivitäten" darin sähen. Aus der Hauptstadt Moskau wurde von Droh-SMS an Kremlkritiker berichtet. Unter anderem das unabhängige Portal Meduza veröffentlichte Screenshots von einer Sammelnachricht, in der es heißt: "Unabhängig davon, dass du Ideen extremistischer Organisationen unterstützt, freuen wir uns, dass du in Moskau wählen wirst." Dann folge eine Aufforderung, "ruhig" an der Wahl teilzunehmen - "ohne Warteschlangen und Provokationen". Wer hinter den Nachrichten, die auf Telegram und Signal verschickt wurden, steckt und wie die Empfänger ausgewählt wurden, ist nicht bekannt.

Insgesamt ruft Moskau 114 Millionen Menschen zu der als undemokratisch kritisierten Abstimmung auf - mehr als 4,5 Millionen davon in den besetzten Teilen der ukrainischen Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson. Auch auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim, die Moskau bereits 2014 annektierte, werden Abstimmungen organisiert. Kremlgegner rufen die internationale Gemeinschaft dazu auf, das Ergebnis nicht anzuerkennen.

Wahlen in Russland

Der in Russland zwischen dem 15. und 17. März umgesetzte Prozess einer Präsidentenwahl, bei dem Wladimir Putin eine fünfte Amtszeit erreicht hat, entspricht nicht demokratischen Maßstäben. Die neben Putin zugelassenen drei Kandidaten Nikolai Charitonow (Kommunistische Partei), Leonid Sluzki (rechtpopulistische LDPR) und Wladislaw Dawankow (Vize-Vorsitzender der Duma, Kandidat der wirtschaftsliberalen "Neue Leute") zählen zur Systemopposition, echte Gegner des Kremls und des Angriffskriegs auf die Ukraine waren nicht als Kandidaten zugelassen.
Abgestimmt wurde auch in den besetzten Gebieten der Ukraine - unter fragwürdigen Umständen.
Einen eigentlichen Wahlkampf hatte es im Vorfeld kaum gegeben, wohl aber Berichte unabhängiger Journalisten über Druck auf Beamte und Beschäftigte staatlicher Betriebe, sich zur Abstimmung registrieren zu lassen und mindestens zehn Personen mitzubringen.
Für unabhängige Wahlbeobachter gab es hohe Hürden, etwa wurde die Organisation "Golos" mehrfach als "Ausländischer Agent" gebrandmarkt und aufgelöst. Aus dem Ausland angekündigt waren vor allem Vertreter aus Staaten, die starke Sympathien für die russische Führung hegen wie Serbien beziehungsweise selbst autokratisch bis diktatorisch regiert werden (Venezuela, Myanmar, Kamerun). Aus Deutschland wollten drei Abgeordnete der AfD als "Experten für Demokratie" einreisen.
Bei früheren Wahlen hatte es in Russland stets Meldungen und Beweisvideos von Manipulationen an den Wahlurnen, Mehrfachabstimmungen oder Anreizen wie üppigen Buffets der Regierungspartei "Einiges Russland" in Wahllokalen gegeben. Proteste wurden von Sicherheitskräften in kürzester Zeit unterbunden und zogen meist eine Strafverfolgung nach sich.

Jasper Steinlein, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 16. März 2024 um 20:00 Uhr.