Klimaerwärmung Klimarat-Chef hadert mit Untergangsszenarien
"Engagiert euch!" - mit diesem Appell an die Erdenbürger tritt Jim Skea den Vorsitz des Weltklimarats an. Von Untergangsszenarien hält er nichts. Die Welt werde beim Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels nicht untergehen - aber sie werde gefährlicher.
Der neue Chef des Weltklimarates warnt vor übertriebenen Befürchtungen bei einem Verfehlen des 1,5 Grad-Ziels. "Dieses Temperaturziel ist unglaublich symbolträchtig", sagte Jim Skea in einem Interview mit dem "Spiegel". "Trotzdem sollten wir nicht verzweifeln, wenn die Welt die 1,5 Grad überschreitet." Die Welt werde dann nicht untergehen. "Es wird jedoch eine gefährlichere Welt sein. Die Länder werden mit vielen Problemen kämpfen, es wird soziale Spannungen geben."
Der Physiker war in der abgelaufenen Woche zum Chef des UN-Klimarats gewählt worden. "Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, wie Wissenschaft in Politik übersetzt wird", sagte er dem Magazin. Diese Erfahrungen werde er in den Weltklimarat einbringen.
Für besonders wichtig hält der Forscher den Ausbau der erneuerbaren Energien, um klimaschädliche Kohlekraftwerke, Gasheizungen oder Erdöl in Industrie und Verkehr zu ersetzen. Auch auf Lösungen wie die umstrittene unterirdische Speicherung von Kohlendioxid könne man längerfristig nicht verzichten.
"Silberstreif am Horizont" sehen
Zur Veränderung des Lebensstils zum Schutz des Klimas sagte der Brite: "Kein Wissenschaftler kann den Menschen vorschreiben, wie sie leben oder was sie essen sollen." Individueller Verzicht sei gut, werde aber den großen Wandel nicht herbeiführen. Damit man klimabewusster leben könne, bräuchte es eine ganz neue Infrastruktur.
Von Untergangsszenarien im Zusammenhang mit dem Klimawandel hält Skea nichts. "Wenn man ständig nur die Botschaft aussendet, dass wir alle dem Untergang geweiht sind, dann lähmt das die Menschen und hält sie davon ab, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um mit dem Klimawandel fertig zu werden", sagte er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
Er habe mit Co-Autoren bei den jüngsten Berichten des Weltklimarats immer Wert darauf gelegt, den "Silberstreif am Horizont" zu sehen. Die Technologien und Instrumente, um den Klimawandel einzudämmen seien vorhanden, sie müssten nur auch angewendet werden. "Die Zukunft des Menschen liegt in unserer Hand. Nutzen wir das", sagte Skea.
"Jeder Einzelne kann etwas tun"
Die IPCC-Berichte sind die wichtigste Grundlage für politische Entscheidungen zur Eindämmung des Klimawandels. Die nächsten Berichte sind Ende der 2020er Jahre zu erwarten. "Engagiert euch!", sagte Skea an die Adresse aller Erdenbürger. "Sitzt nicht auf dem Sofa und schaut den Debatten über den Klimawandel zu. Jeder Einzelne kann etwas tun." Skea verwies auf Bürgerinitiativen, aber auch Bürgerdialoge städtischer Behörden oder Wahlen auf kommunaler Ebene. "Dort werden viele der wichtigsten Entscheidungen gefällt werden."
Der Weltklimarat (IPCC) müsse selbst auch mehr tun, um seine spezifischen Erkenntnisse besser als Handlungsgrundlage für bestimmte Gruppen aufzubereiten. Skea nannte Stadtplaner, Landwirte oder Unternehmen. "Bei dieser ganzen Sache geht es um echte Menschen und ihr reales Leben, nicht um wissenschaftliche Abstraktionen", sagte er. "Wir müssen ein Stück runterkommen."
Klimaforscher: 1,5-Grad-Ziel politisch nicht mehr zu schaffen
Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf hält das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, für politisch kaum mehr erreichbar. Die allermeisten Regierungen sähen darin keine Top-Priorität, sagte der Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam im Deutschlandfunk. "So werden wir es auf keinen Fall schaffen."
Physikalisch könne man es noch erreichen, "aber dazu müsste man es eben anpacken, wie, wenn man in einer Kriegssituation ist", so Rahmstorf, der auch am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung arbeitet. Es fehle nicht an Lösungen, sondern am Willen. Vielen Politikern sei die Dringlichkeit der Lage noch immer nicht klar, sie informierten sich nicht ausreichend.
Nach Versäumnissen in vorangegangenen Regierungen behandle nun auch Bundeskanzler Olaf Scholz das Thema nicht mit Priorität, kritisierte Rahmstorf.