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Machtwechsel in Syrien Wie die Türkei vom Assad-Sturz profitiert
Über Jahre hat die Türkei ihre Interessen auch im Nachbarland Syrien durchgesetzt - bei den Entwicklungen hat sie eine Schlüsselrolle. Nach dem Sturz des Assad-Regimes überwiegen für Ankara die Vorteile.
Für die Türkei und die türkische Regierung überwiegen die Vorteile des Umbruchs in Syrien im Vergleich zu den Nachteilen. Hier zunächst die wichtigsten Vorteile:
- Erstens kann der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan davon profitieren, dass Geflüchtete aus der Türkei nach Syrien zurückkehren. Seine Popularität dürfte so steigen. Bei fast drei Millionen Geflüchteten in 13 Jahren war deren Akzeptanz in der türkischen Bevölkerung zuletzt nicht mehr so hoch.
- Zweitens kann Erdogan sich als Friedensvermittler positionieren - dank seiner Taktik, verschiedene Kräfte in der Region militärisch zu unterstützen oder zu tolerieren. Er ist ein politisches Schwergewicht in der Gegend. Wer auch immer vermitteln will zwischen den verschiedenen Lagern, kommt an Erdogan nicht vorbei. Das erhöht seinen Einfluss, auch beim NATO-Partner USA. Deren Außenminister Blinken will bald nach Ankara kommen.
- Ein dritter Vorteil ist der Wiederaufbau in Syrien. Das dürfte handfeste Profite bringen, etwa für die türkische Bauwirtschaft oder das herstellende Gewerbe im Land.
- Schließlich wird viertens die Türkei durch die aktuelle Entwicklung interessanter und wichtiger für die EU. Ob sich daraus allerdings weitere Vorteile etwa in Richtung eines möglichen EU-Beitritts ergeben, ist noch offen.
Die Negativ-Liste der Entwicklung in Syrien ist aus Sicht der Türkei dagegen relativ kurz:
- Erstens könnte die Situation der Kurden in Syrien eine Dynamik entfalten, die Ankara nicht komplett kontrollieren kann. Die türkische Regierung hat immer klargemacht, dass die Türkei keine eigenen staatlichen Strukturen der Kurden in Syrien möchte, obwohl es diese faktisch an vielen Stellen schon gibt. Entscheidend dürfte aus Sicht der Türkei der Einfluss terroristischer Gruppen wie der kurdischen PKK oder YPG sein. Doch diese könnten in einem neuen Syrien mit Autonomie-Rechten für einzelne Gruppen auch an Bedeutung verlieren. Dann wäre dieses Risiko beherrschbar. Für die Kurden in der Türkei selbst dürfte sich praktisch nichts ändern durch die neue Lage.
- Zweiter Punkt auf der Negativ-Liste: Der Wegfall Tausender syrischer Arbeitskräfte könnte für türkische Betriebe ein Problem sein. Die Chancen auf Erholung stehen aber gut, auch angesichts möglicher Profite beim Wiederaufbau in Syrien.
- Schließlich birgt drittens das militärische Engagement verschiedener Kräfte neue Risiken. Israelische Truppen etwa rücken auf syrischem Gebiet bereits vor - was der türkische Außenminister scharf kritisiert. Die Türkei kann kein Interesse haben an höheren Verteidigungsausgaben oder neuen Fluchtbewegungen durch weitere Kämpfe.
Unterm Strich geht die Türkei gestärkt aus der neuen Lage hervor. Präsident Erdogan ist auch aus deutscher und europäischer Sicht ein wichtiger Ansprechpartner - berechenbarer und zugänglicher als praktisch alle anderen Beteiligten. Das ist eher beruhigend als alarmierend.