UN-Sicherheitsrat Im Schatten der Veto-Mächte
31 Tage lang wird Deutschland den UN-Sicherheitsrat leiten: Die Agenda reicht von der Corona-Krise bis zur Rüstungskontrolle. Doch was können die Deutschen in einem Monat überhaupt bewirken?
Der Club der Mächtigen debattiert normalerweise im "Norwegischen Saal" am Hufeisentisch vor dem großen Wandgemälde von Per Krohg. "Die Welt, die wir im Vordergrund sehen, bricht zusammen, während die neue Welt, die auf Klarheit und Harmonie beruht, aufgebaut werden kann", beschrieb der Künstler sein Werk.
Trotz des inspirierenden Gemäldes, das wie der Saal ein Geschenk Norwegens an die UN ist, herrschten im Sicherheitsrat in der Vergangenheit häufig Disharmonie, Unsicherheit und Streit. Das wurde gerade in den letzten Wochen sehr deutlich, als Kontroversen zwischen USA und China die Verabschiedung einer Resolution verhinderte, mit der in Zeiten der Corona-Pandemie zu einem globalen Waffenstillstand aufgerufen werden sollte.
"Regeln eklatant missachtet"
"Die Entscheidungen, etwas zu tun oder etwas nicht zu tun, liegt bei den drei Großen, den USA, China und Russland. Und das ist ein Problem, weil diese drei Länder Regeln eklatant missachten und ihre Privilegien schamlos missbrauchen," sagt Franz Baumann, ehemaliger Beigeordneter UN-Generalsekretär sowie Sonderberater für Umweltfragen und Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Die Charta der Vereinten Nationen gebe den Ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats diese Sonderrolle treuhänderisch und nicht, um eigene Interessen zu verfolgen.
Ein Zweiklassen-Club?
Aufgrund der Veto-Privilegien der fünf "Ständigen" kritisieren viele den Sicherheitsrat als Zweiklassen-Club mit nur sehr begrenzter Mitsprache für die gewählten Mitglieder.
Ekkehard Griep, früher in der UN-Abteilung Friedenssicherungseinsätze tätig, sieht dagegen durchaus Einflussmöglichkeiten: "Da es im Sicherheitsrat neun Ja-Stimmen für inhaltliche Entscheidungen braucht, können die zehn gewählten nicht-ständigen Mitglieder, wenn sie sich einig sind, als eine Art 'sechstes Ständiges Mitglied' Beschlüsse blockieren", sagt er.
"Klares Signal an die US-Regierung"
Deutschland hofft auf keine Blockaden während seiner Ratspräsidentschaft, die wegen der aufeinander folgenden Vorsitze von Estland, Frankreich und nun Deutschland als "Europäischer Frühling" bezeichnet wird und ganz im Zeichen des Multilateralismus stehen soll. Das sei ein Kontrapunkt und klares Signal an die US-Regierung und ihre "America First"-Politik“, sagt Angela Kane, ehemalige UN-Abrüstungschefin und Beigeordnete Generalsekretärin bei den Vereinten Nationen.
Die deutsche Agenda ist umfangreich: Ganz oben stehen die Themen Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie Klima und Sicherheit, die Deutschland auf die Tageordnung des Sicherheitsrates setzen kann und wird. Weiterer Schwerpunkt: die globale Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Bei allen Themen soll der Fokus auf Krisenprävention liegen anstatt Krisenreaktion.
"Zu ehrgeizig"
"Der von Deutschland vertretene umfassende Sicherheitsbegriff spiegelt die Realität in vielen Krisen- und Konfliktregionen wider", lobt Ekkehard Griep. Als "zu ehrgeizig" bewertet Richard Gowan, UN-Experte bei der International Crisis Group in New York, die deutsche Agenda. "Es fühlt sich manchmal so an, als wolle Berlin versuchen, alle Probleme der Welt in zwei Jahren zu lösen", sagt er. Die Bundesrepublik ist seit dem 1. Januar 2019 wieder für zwei Jahre Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Dagegen hält Baumann "es für undenkbar, dass etwas Handfestes zu Corona, Abrüstung oder Klima erreicht werden kann, weil keiner der drei Großen geneigt ist, sich von anderen in interne Angelegenheiten hineinreden zu lassen."
Beraten werden die 15 Ratsmitglieder all diese Themen auch im Juli überwiegend per Video-Telefon-Konferenz, so wie seit Ende März, nachdem das Corona-Virus das UNO-Hauptquartier in New York zeitweise lahmgelegt hatte.
Chancen für eine UN-Reform
Die anhaltenden Blockaden der drei großen Vetomächte im obersten UN-Gremium ließen die Kritiker wieder lauter werden, die eine umfassende UN-Reform fordern, gerade auch des Sicherheitsrates. Dieser gewähre den vier Siegermächten des 2. Weltkrieges und China noch immer eine privilegierte Stellung. 75 Jahre nach Gründung der UNO sei der Rest der Welt benachteiligt, darunter zahlreiche große Länder wie Indien, Brasilien und viele afrikanische Staaten.
Zu den seit Jahren breit diskutierten Reformvorschlägen zählt auch eine Erweiterung des Sicherheitsrates auf 20 bis 23 Mitglieder, darunter neue ständige Mitglieder, allerdings ohne Vetorecht. Ebenfalls in der Diskussion: ein "konstruktives Veto". Ein Veto wäre nur noch zulässig, wenn gleichzeitig ein Alternativvorschlag als Lösung vorgelegt würde.
Doch für all diese Reform-Optionen sehen UN-Kenner die Chancen bei "gleich Null". "China, Russland und die USA sind alle grundsätzlich gegen eine ernsthafte Reform des Sicherheitsrates", sagt Gowan übereinstimmend mit Baumann. So eine Situation sei nicht vorstellbar, höchstens nach einer globalen Katastrophe wie einem Atomkrieg.
Wunsch und Wirklichkeit
Damit gibt es auch keine realistischen Erfolgsaussichten für Deutschlands anhaltendes Bemühen um einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Bleiben die Hoffnung und die Weitsicht, die Deutschlands Engagement in den Vereinten Nationen seit vielen Jahren auszeichnen.
Zwei Präsente an die UN verdeutlichen dies besonders gut: Neben einem Originalstück der Berliner Mauer schenkte Deutschland bereits 1978 der UN den Warteraum zum Sicherheitsrat.