US-Wahl 2024

Aktivisten der Gruppe Mi Vecino, die in im US-Bundesstaat Florida für ein liberaleres Abtreibungsrecht kämpfen, zeigen ihre Plakate.

US-Wahl 2024 Der anhaltende Kampf um das Abtreibungsrecht

Stand: 24.10.2024 15:54 Uhr

Parallel zur Präsidentschaftswahl stimmen zehn US-Bundesstaaten auch über das Abtreibungsrecht ab. Vielen Bürgern gehen die Regeln inzwischen viel zu weit. Kann Kamala Harris davon profitieren?

Auf einem Parkplatz vor einem Donut-Laden in Kissimmee haben sich ein knappes Dutzend Männer und Frauen versammelt. Sie applaudieren einander - Selbstmotivation, bevor die Mitarbeiter von Mi Vecino (spanisch für "Mein Nachbar") zur nächsten Runde Haustürwahlkampf in dem Mittelschichtsvorort von Orlando aufbrechen.

Die linksliberale gemeinnützige Organisation will Latinos, die ein Viertel der Bevölkerung von Florida ausmachen, zum Wählen motivieren - und zwar für ein liberaleres Abtreibungsrecht in dem Bundesstaat.

Es ist heiß und schwül an diesem Tag. Sasha Hernandez steht schon kurz nach 9 Uhr morgens der Schweiß auf dem sorgfältig geschminkten Gesicht. "Ich persönlich habe nichts gegen Abtreibung", sagt die dreifache Mutter. "Aber das gibt mir nicht das Recht zu entscheiden, was andere Leute in so einer Situation tun." 

"Es ist Sache der Familien"

Kurz darauf läuft Hernandez in einem gepflegten Viertel mit vielen Palmen auf ein großes Haus mit Doppelgarage zu. Henri Rivera wienert dort gerade seinen schwarzen VW Tiguan.

Hernandez fragt ihn, welches das wichtigste Thema bei dieser Wahl für ihn sei. Abtreibung, sagt der kinderlose Mitvierziger. "Es ist Sache der Familien und nicht der Regierung zu entscheiden, ob sie ein Baby haben wollen oder nicht", sagt Rivera.

Der Autohändler will deshalb für den Volksentscheid stimmen, durch den Abbrüche wieder bis zur 22. Woche beziehungsweise dem Zeitpunkt erlaubt wären, an dem der Fötus außerhalb des Mutterleibes lebensfähig ist.

 

Abtreibungen nur bis zur sechsten Woche

Momentan gilt in Florida ein sogenanntes Herzschlag-Gesetz: Abtreibungen nach der sechsten Woche sind verboten - also bevor viele Frauen überhaupt wissen, dass sie schwanger sind.

Möglich wurde diese Gesetzesverschärfung, weil der Oberste Gerichtshof der USA das landesweite Grundrecht auf Abtreibungen im Juni 2022 gekippt hatte. Seitdem kann jeder Bundesstaat seine eigenen Regeln erlassen. In fast 20 gilt seitdem ein fast komplettes Verbot.

Latinas, aber auch Afro-Amerikanerinnen, sind davon laut Studien besonders betroffen, weil sie weniger Geld verdienen und häufig nicht krankenversichert sind. Die Sechs-Wochen-Frist in Florida mit komplizierten Ausnahme-Regeln bringe Frauen in Lebensgefahr, sagt Mi-Vecino-Mitbegründerin Devon Murphy-Anderson.

Ihre Mitarbeiterinnen wüssten persönlich von mehreren Fällen. Bei einer Frau habe der Fötus keinen Herzschlag mehr gehabt. "Trotzdem habe sie das Kind weiter noch anderthalb Monate austragen müssen, bis es zu einem natürlichen Abgang kam", sagt Murphy-Anderson.

Auch die Abtreibungsgegner werben

Mi Vecino ist nur eine von vielen Organisationen, die in Florida für die Rückkehr zu liberaleren Regeln kämpfen. Aber auch die Abtreibungsgegner gehen auf Stimmenfang.

Lynda Bell, Republikanerin und Vorsitzende von Florida Right to Live sagt in einem Radiointerview, ihre Organisation habe tausende Menschen im ganzen Bundesstaat, die gegen den Volksentscheid kämpfen: "Wenn die Menschen erst die Wahrheit darüber wissen, werden sie dagegen stimmen." 

Die geplante Änderung sei viel zu liberal, weil sie "Abtreibungen nach der Geburt zulässt", behauptet Bell. Im Petitionstext steht davon nichts.

Die momentan geltende Regel lasse genügend Ausnahmen zu, argumentiert Bell weiter. Bei Inzest oder Vergewaltigung etwa sei eine Abtreibung noch bis zur 15. Woche möglich, wenn das Leben der Mutter in Gefahr sei, jederzeit.

Und wenn Ärzte aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung doch lieber nicht eingreifen, um bei einer Problemschwangerschaft das Leben der Frau zu retten? "Dann sollten sie sich schämen", sagt Bell.

Auswirkungen auf die Präsidentschaftswahl?

Umfragen sehen in Florida eine Mehrheit für den Volksentscheid. Und auch Mi-Vecino-Mitbegründerin Murphy-Anderson denkt, dass die Chancen gut stehen, wenn genügend Menschen tatsächlich auch wählen gehen.

Es wäre ein seltener Sieg für die Demokraten in Florida. Die Wahlheimat von Donald Trump ist ansonsten fest in republikanischer Hand: Er bekam hier 2016 und 2020 die Mehrheit der Stimmen.

Aber anders als viele ihrer Parteifreunde glaubt Murphy-Anderson nicht, dass ein Ja zum Volksentscheid in Florida auch ein Ja zu Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris bedeutet.

In einigen Umfragen hatte Harris zwischenzeitlich zwar aufgeholt. Inzwischen hat Trump in Florida aber wieder einen deutlichen Vorsprung vor Harris.

Murphy-Anderson, die bei der Wahl 2020 für die Spendenakquise der Demokraten in Florida zuständig war, gibt ohnehin nicht viel auf Umfragen. Wenn man Erhebungen lese, sagt sie, wonach ein Erfolg der Demokraten in Florida in greifbarer Nähe liege, mache man sich schnell was vor. "Aber wenn man hier mit Leuten spricht, sieht es anders aus."

Ihre Erwartung ist deshalb deutlich skeptischer: "Es wird Jahre dauern, bis dieser Staat bei den Präsidentschaftswahlen wieder demokratisch wählt."

 

In diesen Bundesstaaten wird über das Abtreibungsrecht abgestimmt

Arizona
In Arizona sind Abtreibungen derzeit auf die ersten 15 Schwangerschaftswochen beschränkt. "Vorschlag 139" will diese Frist in dem Swing State bis zur Lebensfähigkeit des Fötus ausdehnen. Die Zustimmung zu dem Änderungsantrag gilt als wahrscheinlich.

Florida
In dem südlichen US-Bundesstaat ist Abtreibung seit Mai nur noch in den ersten sechs Wochen erlaubt. Viele Frauen wissen dann noch gar nicht, dass sie schwanger sind. In einem Referendum wird am 5. November darüber abgestimmt, ob die Frist so bleibt oder ob für Abbrüche bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt sein sollen - das wäre bis etwa der 24. Schwangerschaftswoche. Für eine solche Gesetzesänderung müssten 60 Prozent der Wähler dem Antrag zustimmen.

Colorado
In Colorado gibt es keine Frist für Abtreibungen. Damit ist der Bundesstaat eine große Ausnahme. Eine Bürgerinitiative will dieses Recht von der Verfassung des von den Demokraten regierten Staates schützen lassen.

Maryland
In Maryland können die Wähler entscheiden, ob sie die Verfassung ändern wollen, um darin das Recht auf Abtreibung bis zur Lebensfähigkeit des Fötus zu verankern.

Missouri
Keine Abtreibungen selbst bei Vergewaltigung oder Inzest: Mit dieser Regelung hat Missouri eines der rigidesten Abtreibungsrechte in den USA überhaupt. Ein Referendum strebt an, die Verfassung zu ändern, um Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus zu erlauben.

Montana
Schwangerschaftsabbruch ist in Montana bis zur Lebensfähigkeit des Fötus legal. Nun geht es darum, die liberale Regelung in der Verfassung zu verankern.

Nebraska
In Nebraska ist Abtreibung bis zur zwölften Woche möglich. Die Wähler können nun darüber abstimmen, ob Abtreibung bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt wird oder ob die derzeit geltende Regelung in der Verfassung des Staates verankert wird.

Nevada
Auch im westlichen Bundesstaat Nevada wird darüber abgestimmt, das geltende Recht - legale Abtreibung bis zur Lebensfähigkeit des Fötus - in der Verfassung zu verankern.

New York
In New York sind Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt. Die Wähler werden am 5. November über eine Verfassungsänderung zur Verankerung der Abtreibungsrechte abstimmen.

South Dakota
In South Dakota ist ein Schwangerschaftsabbruch nur erlaubt, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Die Wähler können nun entscheiden, ob wie früher in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft ein Recht auf Abtreibung gelten soll.

Zusammenstellung: AFP, KNA

Julia Kastein, ARD Washington, zzt. Kissimmee, tagesschau, 23.10.2024 10:49 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. Januar 2024 um 17:00 Uhr.