US-Wahl 2024

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US-Wahl 2024 Das Electoral College: Überholt und undemokratisch?

Stand: 06.11.2024 00:48 Uhr

In den USA wird nicht direkt, sondern über die Wahlleute im Electoral College gewählt. Unfair, sagen viele - schließlich zieht dadurch nicht zwangsläufig auch die Person mit den meisten Stimmen ins Weiße Haus ein.

Für Amerikas Electoral College, das Wahlleute-System, hat Shannon Dugan aus einem ländlichen Vorort von Phildalephia nur ein Wort: "Unfair!", sagt die 48-jährige Hausfrau aus West Bradford beim Herbstfest. "So sollte es nicht sein!", und Finanzberater Steven ergänzt: "Sollten zehn Menschen hier auf dem Land mehr zählen als zehn Städter? Zählen meine Sorgen mehr? Ich finde nicht. Wir sollten alle gleich sein. Aber so sind wir es nicht."

Dabei gehören Shannon und Steven quasi zu den Profiteuren des Systems, das vor mittlerweile 237 Jahren in der US-Verfassung verankert wurde. Weil sie in Pennsylvania und damit in einem der sogenannten Swing States, also Wechselwähler-Staaten leben, sind ihre Stimmen entscheidend.

Die Größe des Landes

"Der Prozess heute ist anders, als das, was die Gründerväter sich damals ausgemalt haben", sagt Robert Alexander fast entschuldigend. Der Politologe von der Bowling Green State University in Ohio ist Experte für das Electoral College.

Weil das Land so groß und der Informationsfluss im späten 18. Jahrhundert eher beschränkt war, entschieden sich die Verfassungsväter damals für eine repräsentative Demokratie: Der Präsident sollte nicht direkt, sondern von Wahlleuten in den einzelnen Bundesstaaten gewählt werden.

Jeder Bundesstaat bekam so viele Wahlleute, wie er Abgeordnete im Repräsentantenhaus hat. Plus zwei weitere, unabhängig von Einwohnerzahl oder Größe. Ein Kompromiss, schon damals, erklärt Alexander.

Dadurch wurden Staaten mit weniger Menschen stärker repräsentiert. Und damit wurde die Sache diesen ländlicheren Staaten schmackhafter gemacht. Um sie überhaupt dazu zu bringen, dem Wahlleute-Verfahren zuzustimmen.

Hauchdünne Mehrheiten entscheiden

Die Formel gilt bis heute. Mit dem Effekt, dass ein "Elector", eine Wahlperson im dünnbesiedelten Wyoming heute 150.000 Wähler repräsentiert. In Kalifornien dagegen eine halbe Million. "Das ist einer der Hauptkritikpunkte, bis heute", erklärt Alexander. "Weil es eben bedeutet, dass eine Person nicht eine Stimme hat."

Außerdem gilt in fast allen Bundesstaaten das "Winner takes it all"-Prinzip: Der Kandidat, der die meisten Wählerstimmen erreicht, bekommt alle Wahlleute zugesprochen. Egal wie knapp das Ergebnis ist. So kommt es zur Bedeutung der sogenannten Swing States: Weil hier mal Republikaner, mal Demokraten hauchdünn gewinnen, konzentriert sich der milliardenteure Wahlkampf fast ausschließlich auf diese sieben Staaten.

Die Mehrheit der Amerikaner findet laut Umfragen dieses System überholt und undemokratisch. Trotzdem wird sich wohl wenig ändern, glaubt Politologe Alexander. Für eine Reform des Electoral College müsste die Verfassung mit Zweidrittelmehrheit im Kongress geändert werden. Eine schier unüberwindbare Hürde.

Veränderung kaum in Sicht

Selbst um das "Winner takes it all"-Prinzip abzuschaffen, fehle der politische Wille. Denn wenn Wahlleute-Stimmen proportional oder je nach Mehrheit in einzelnen Wahlbezirken verteilt würden, hätten auf einmal auch Drittparteien eine größere Chance.

Daran aber hätten im existierenden Zwei-Parteien-System weder Demokraten noch Republikaner ein Interesse: "Die beiden Parteien werden sich das angucken und sagen: 'Hm, vielleicht gibt es dadurch nur mehr Kandidaten von anderen Parteien? Schadet uns das vielleicht nur?'", so Alexander. "Und deshalb wird sich wohl eher nichts ändern."

Dabei wurde das Wahlleute-System vor vier Jahren einem Stresstest unterzogen, den Amerikas Demokratie fast nicht überstand: Donald Trump hatte damals Druck auf die Republikaner in den Landesparlamenten von Pennsylvania, Wisconsin und Michigan ausgeübt, einfach ihre eigenen Wahlleute zu benennen. Obwohl in diesen Bundesstaaten Joe Biden die meisten Stimmen bekommen hatte und deshalb den Demokraten dieses Recht zustand.

Und im Kongress versuchten Trumps Gefolgsleute die Zertifizierung von Bidens Wahl zu verhindern. Zwar wurde danach zum ersten Mal seit über 200 Jahren ein Gesetz verschärft, das diesen letzten Teil des Wahlprozederes regelt. Aber Politikwissenschaftler Alexander bleibt skeptisch:

"Ob das genug ist, da kann man nur raten. Ich hätte auch nie erwartet, was am 6. Januar 2021 passiert ist und wie weit damals gegangen wurde", sagt der Politologe. "Ich schließe jetzt nichts mehr aus, wenn es um unsere Präsidentschaftswahlen geht."

Julia Kastein, ARD Washington, tagesschau, 05.11.2024 10:46 Uhr