"Cockpit"-Sprecher im Interview Vom Radar verschwunden?
Noch immer wird über den Verbleib einer malaysischen Passagiermaschine mit 239 Insassen gerätselt. Jörg Handwerg von der Pilotenvereinigung "Cockpit" erklärt, warum Flugzeuge schwer zu orten sind und was es wirklich bedeutet, wenn sie vom Radar verschwinden.
tagesschau.de: Wie wird die Position eines Flugzeugs bestimmt?
Jörg Handwerg: Es gibt zwei Systeme: Erstens werden Flugzeuge über stationäres Radar geortet. Das heißt, ein Signal wird ausgesendet und aus dem Echo kann über Entfernung und Winkel der Antenne die jeweilige Position ermittelt werden. Die Reichweite ist aber begrenzt, sie hängt von der Stärke des Signals und anderen äußeren Umständen ab. Spätestens mit der Erdkrümmung stößt das Radar an seine Grenzen. Bei längeren Flügen etwa über Ozeane verlässt man daher sehr bald den Bereich. Zweitens gibt es bordeigene Systeme, die permanent Standort und Flughöhe an die Flugsicherung übertragen. Das funktioniert aber nur bis zu einem Abstand von etwa 370 Kilometern.
tagesschau.de: Woher weiß die Flugsicherung außerhalb dieser Grenzen, wo sich ein Flieger gerade befindet?
Handwerg: Wir geben in regelmäßigen Abständen an festgelegten Meldepunkten unsere Position durch. Das geschieht über Funk, vielfach manuell, oder, etwa über dem Nordatlantik, mit automatisierter Datenübertragung via Satellit. Hierbei wird auch eine erwartete Zeit für den nächsten Meldepunkt mit übermittelt. Im Nordatlantik liegen die Punkte dichter, im Südatlantik beispielsweise kann es bis zu einer Stunde und 15 Minuten bis zum nächsten Kontakt dauern. Ebenfalls festgelegt ist, an welcher Position wir von der einen an die andere Flugsicherung übergeben werden und zum Beispiel unsere Funkfrequenz wechseln.
tagesschau.de: Woher kennt das Bodenpersonal in der Zeit dazwischen den Standort?
Handwerg: Durch Berechnung und Vorausschau in unseren Positionsmeldungen. Route und Geschwindigkeit sind bekannt, ausgehend vom letzten übertragenen Standort lässt sich so zu jedem Zeitpunkt bestimmen, wo sich das Flugzeug in etwa gerade befindet.
tagesschau.de: Lässt sich ein Flugzeug nicht anders orten?
Handwerg: Natürlich gibt es bei den meisten Flugzeugen GPS an Bord. Auf dem Meer gibt es aber nicht wie auf dem Festland überall Handymasten, Satellitenverbindung oder dergleichen. 100 Kilometer von der Küste entfernt hat auch ein Handy keinen Empfang und kann auch nicht mehr geortet werden.
tagesschau.de: Wieso wird das Flugzeug der malaysischen Airline bei der exakten Positionsbestimmung nicht gefunden?
Handwerg: So genau ist die Position wohl in diesem Fall nicht ermittelbar. Wenn ein Flugzeug in großer Höhe zerbricht, verteilen sich die Trümmer auf großer Fläche. Viele Teile schwimmen nicht und versinken im Meer. In Lockerbie zum Beispiel waren die Teile über rund 200 Quadratkilometer verteilt. Im Meer kommt es aber auch auf Wind und Strömung an.
tagesschau.de: Sollte man ausgehend vom letzten Standort nicht ziemlich genau wissen, wo das passiert sein könnte?
Handwerg: Es gibt Berichte, wonach das Flugzeug kurz vor dem Verschwinden kehrtmachte. Das hätten Radaraufnahmen gezeigt. Wenn das stimmt, sollte eigentlich relativ klar sein, wo es sich befindet. Das passt nicht zusammen. Allerdings ändert sich die Flugrichtung gegebenenfalls, wenn es etwa technische Probleme gibt oder eine Notwasserung eingeleitet wird. Vielleicht steuerte der Pilot auch wegen Problemen einen anderen Flughafen an oder versuchte, in die Nähe des Festlandes zu gelangen.
tagesschau.de: Besteht die Möglichkeit, dass das Flugzeug unbemerkt vom Radar woanders gelandet ist?
Handwerg: Theoretisch ja, aber extrem unwahrscheinlich. Denn würde es sich dem Ufer nähern, würde es wieder in die Radarabdeckung geraten und somit auf den Bildschirmen erscheinen. Außerdem ist es kaum vorstellbar, dass Menschen an Land das Flugzeug nicht bemerken würden.
tagesschau.de: Wenn immer Funkkontakt besteht, wieso gibt es keinen Notruf von dem Flugzeug der malaysischen Airline?
Handwerg: Darüber kann ich nur spekulieren. Manche Situationen sind so dynamisch dass man nicht dazu kommt, aber auch technische Ausfälle können einen Notruf verhindern. Im Notfall gilt die Devise: Erst fliegen, dann funken. Der Notruf ist sekundär.
tagesschau.de: Gibt es Pläne, was zu tun ist, wenn es über dem Meer zu einer Notsituation kommt?
Handwerg: Bei technischen Problemen gibt es meist ein genau vorgegebenes Verfahren, was zu tun ist. Vieles legen die Hersteller der Maschinen fest. Operativ entscheiden natürlich immer die Piloten. Auch bei nichttechnischen Notsituationen gibt es Handlungsempfehlungen, allerdings ist keine Situation wie die andere.
Das Interview führte Michael Stürzenhofecker, tagesschau.de