Nach der Wahl Was auf von der Leyen zukommt
Nach der Freude über die Wahl muss sich von der Leyen an die Bildung einer Kommission machen. Eine knifflige Aufgabe, da sie 27 nationale und unterschiedliche parteipolitische Interessen unter einen Hut bringen muss.
Ursula von der Leyen wird formell erst am 1. November ihr Amt als neue EU-Kommissionspräsidentin aufnehmen. Doch eine Sommerpause wird es für sie nicht geben - sie muss sich in ihr neues Amt einarbeiten und gleich heikle Personalfragen klären.
Von der Leyen muss eine neue Kommission zusammenstellen. Deutschland ist durch sie nunmehr vertreten, und da auch jedem der übrigen 27-Staaten ein EU-Kommissar zusteht, sind entsprechend viele Posten zu vergeben. Jedes Land bestimmt aber selbst, wen es nach Brüssel schickt, von der Leyen hat auf die Auswahl der Personen selbst nur begrenzten Einfluss. Die künftige Präsidentin hat aber deutlich gemacht, dass sie die neue Kommission paritätisch mit Männern und Frauen besetzen will. Falls die Staaten nicht genügend Frauen vorschlagen, will sie auf Änderungen bestehen.
Wer wird was?
Freier agieren kann sie beim Zuschnitt und der Verteilung der Ressorts - was die Sache nicht weniger knifflig macht. Ihre Vorgänger haben immer mal wieder Ressorts zusammengelegt und getrennt, auch um Befindlichkeiten der einzelnen Staaten entgegenzukommen. Bei der nicht geringen Zahl von 27 Kommissaren kam es dabei mitunter zu Trennungen von Geschäftsbereichen, die für Außenstehende nicht immer nachzuvollziehen waren. Gut möglich also, dass von der Leyen den aktuellen Zuschnitt ändert - zum Beispiel, um die Themen Umwelt und Klimaschutz aufzuwerten, die derzeit auf zwei Ressorts verteilt sind.
Von der Leyen hat zugesagt, den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans und die dänische Liberale Margrethe Vestager "als höchstrangige Vize-Präsidenten der Kommission" aufzustellen - eine Referenz an das EU-Parlament und die sozialistische und liberale Fraktion, da Timmermans bei der EU-Wahl als Spitzenkandidat angetreten war und Vestager sich kurz vor der Wahl als solche bezeichnete.
Wie diese Gleichrangigkeit aussehen soll, ist noch unklar, da Timmermans bislang 1. Vizepräsident der Kommission war, es diesen Posten aber nur einmal gibt. Die herausgehobene Position soll aber auch ein Signal an die osteuropäischen Staaten sein, die nach der Wahl eine Nominierung des Niederländers als EU-Kommissionspräsident verhindert hatten. Insbesondere Ungarn und Polen hatten ihm verübelt, dass er als zuständiger Kommissar für die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit Strafverfahren gegen beide Staaten wegen Verstößen gegen EU-Werte betrieben hatte.
Fest nominiert ist auch der Spanier Josep Borrell, der neuer EU-Außenbeauftragter werden soll. Und Italien hat schon seine Ansprüche angemeldet: Vize-Ministerpräsident Luigi Di Maio forderte für sein Land den künftigen EU-Haushalts- oder den Wettbewerbskommissar. Angesichts der hohen Verschuldung des Landes und des erst unlängst abgewendeten Strafverfahrens gegen das Land eine Idee, die im Parlament womöglich nicht auf ungeteilte Zustimmung trifft.
Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger scheidet dagegen aus der Kommission aus - der deutsche Platz ist schließlich durch von der Leyen besetzt. Auch Großbritannien steht übrigens weiter ein Posten zu, solange sie die EU noch nicht verlassen haben. Es liegt aber nahe, dass dies ein Ressort sein wird, das unkompliziert mit einem anderen fusioniert werden kann, sobald der Brexit vollzogen ist.
Und dann sind da noch die Parteien, die auch ihre Ansprüche stellen werden. Die Grünen haben schon klargemacht: Sie wollen vier Kommissare, das entspreche ihrem Gewicht im Parlament.
Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede gestern viele Versprechen gemacht. Die nun einzulösen wird nicht leicht - angesichts eines politisch zersplitterten Europaparlaments. Zudem wird von der Leyen als Deutsche in Brüssel ganz besonders kritisch beäugt werden. Vielen in der EU ist Deutschland schon jetzt zu mächtig. Gut möglich also, dass sich die neue Kommissionspräsidentin bald ganz bewusst und symbolisch anlegt - mit der Regierung in Berlin.
Das Parlament muss zustimmen
Die neue Riege muss sich dann im Oktober dem Parlament stellen, das in Anhörungen die fachliche Eignung prüft. Ende des Monats stimmen die Abgeordneten dann über die neue Kommission als Ganzes ab. Sollten sie die Kommission durchfallen lassen, bleibt die alte Kommission unter Jean-Claude Juncker geschäftsführend im Amt. Dies wäre nicht das erste Mal in der EU-Geschichte: Im Herbst 2004 war das EU-Parlament unzufrieden mit zwei nominierten EU-Kommissaren und verzögerte die Bestätigung. Die scheidende Kommission unter José Mauel Barroso führte die Geschäfte daraufhin noch bis in den November weiter.
Geht dagegen alles glatt, scheidet die bisherige Juncker-Kommission zum 31. Oktober aus dem Amt. Am 1. November könnten von der Leyen und ihre Kommissare die Arbeit offiziell aufnehmen. An Aufgaben wird es nicht mangeln: Zeitgleich will dann Großbritannien - nach jetzigem Plan - die EU verlassen, ob nun mit oder ohne Abkommen. Und dann sind da die anderen europäischen Dauerbrenner: Flüchtlingspolitik, Klimaschutz, Verteidigung des Rechtsstaats und die Haushaltsdisziplin. Spätestens dann kommen auf von der Leyen und die Kommission wieder intensive Wochen zu.