Europawahl 2024
Bilanz Donald Tusk EU-Träumer in der Brexit-Hölle
Seit 2014 ist Donald Tusk EU-Ratspräsident. Der Pole prägte das Amt mit einem neuen Stil, forschen Worten im Brexit-Prozess und seinem Eintreten für europäische Werte.
Donald Tusk - der Mann aus Polen in Europa. In seiner Heimat erlebte er den Beginn der politischen Umbrüche mit. Die ersten Arbeiterproteste in seiner Heimatstadt Danzig gegen die polnische Regierung verfolgte er als 14-Jähriger. Er schloss sich bald darauf Lech Walesa und seiner Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc an. Nach Verhängung des Kriegsrechts und ein paar Tagen im Gefängnis schlug er sich durch als Bauarbeiter und Brotverkäufer.
Tusk weiß, wie es ist, ganz unten zu sein. Etwas davon trägt er nach wie vor in sich - auch als einer von denen, die in der EU ganz oben stehen: Seit fünf Jahren steht er an der Spitze des Europäischen Rates - also jener EU-Institution, die das Forum der noch 28 EU-Mitgliedsstaaten ist.
Seit 2014 stand Donald Tusk (Mitte) als EU-Ratspräsident nicht nur bei den EU-Gipfel in der ersten Reihe. Seine Amtszeit endet im November.
Europäer aus Überzeugung
Er hat eine besondere Art zu formulieren: unumwunden und scheinbar ein bisschen ungelenk, aber seine tiefen Überzeugungen hat er dabei immer auf der Zunge. Tusk ist überzeugt davon, dass Europa zusammengehört von Ost bis West und sich und seine Werte zusammenhalten muss - gerade in diesen Zeiten, in denen die Welt unsortierter, aggressiver, gefährlicher wird.
Das Referendum der Briten und ihre Entscheidung, die EU zu verlassen, trafen Tusk persönlich. Immer wieder hat er das gesagt. Anfangs formulierte er das noch als Wunsch:
Die Europäische Union ist auf Träumen gebaut, die eigentlich unmöglich jemals hätten wahr werden können. Also - wer weiß. Sie mögen sagen: Ich bin ein Träumer, aber ich bin nicht der einzige.
Später formulierte Tusk dann mit einer Mischung aus Verzweiflung und Ärger. Er habe sich gefragt, wie der spezielle Platz in der Hölle für diejenigen aussehen könnte, die den Brexit wollten, ohne auch nur eine Idee davon zu haben, wie sich das sicher erreichen lasse, so Tusk.
Brexit-Äußerungen bleiben in Erinnerung
Vielleicht war es gerade auch dieses Gezerre um den Brexit, das Tusk einer größeren europäischen Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Denn seine Äußerungen dazu brannten sich ein, sie bleiben in Erinnerung. Jetzt, da der Brexit sich immer weiter hinauszögert und die Briten am Ende vielleicht ja sogar doch noch bleiben, könnte der Traum des Donald Tusk am Ende tatsächlich in Erfüllung gehen.
Tusk - hier im GEspräch mit der britischen Premierministerin May - bleibt auch durch seine Brexit-Aussagen in Erinnerung.
Für ihn wäre das so etwas wie ein Triumph. Aber er ist kein Mensch, für den solche Kategorien wichtig wären. Vielmehr sind es die Werte des Humanismus, Demokratie und Freiheit, die den ersten Osteuropäer in einem der höchsten EU-Ämter ausmachen. Auch das ist wohl ein Ergebnis seiner Lebenserfahrungen.
"Europa ist ein Traum und eine Herausforderung"
Als Tusk im Jahr 2014 als EU-Ratspräsident anfing, sagte er der Deutschen Welle:
Für alle Menschen, die wissen, wie kostbar Freiheit, Menschenrechte und Traditionen sind, und für alle Menschen, die etwas bewegen wollen, ist Europa das beste Modell: Europa als Gemeinschaft, als Europäische Union. Aber Europa ist mehr, Europa ist auch ein Traum und eine Herausforderung.
Schon vor seiner Zeit in Brüssel war Tusk so etwas wie ein politisches Schwergewicht. Immerhin regierte er sieben Jahre lang als polnischer Ministerpräsident.
Besonderer Blick auf die Ukraine
Daher kommt auch seine besondere Perspektive mit Blick auf die Ukraine. Mit dem, was dort auf dem Maidan passierte, dem Wunsch der Menschen auf eine Ausrichtung der Politik nach Westen, nach Europa - auf Demokratie und Freiheit -, damit konnte er sich persönlich identifizieren. Das passte zu seinen Erfahrungen, die er als junger Mann in Polen gemacht hatte.
Als EU-Ratspräsident setzte er sich gleich zu Anfang dafür ein, der Ukraine diese Perspektive von Brüssel aus irgendwie zu ermöglichen. Dafür bekam er viel Lob, auch vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama. "Ich hatte außergewöhnlich gute Erfahrungen mit ihm in der Zusammenarbeit - auch schon in der Zeit, als er noch polnischer Regierungschef war", sagte Obama. "Da hat er mich sehr beeindruckt, vor allem mit seiner großen Unterstützung für die transatlantische Allianz."
Donald Tusk wurde 2014 einstimmig zum Nachfolger von EU-Ratspräsident Herman von Rompuy gewählt - bei seiner Wiederwahl 2017 unterstützten ihn 27 der 28 EU-Staaten. Nur die Regierung seines Heimatlandes Polen votierte gegen ihn - ein Novum in der EU-Geschichte.
Rückschläge trotz großen Engagements
Den russischen Einfluss zurückzudrängen, sich von Moskau unabhängig zu machen, den Einfluss des Westens und seine Werte dagegen auch im Osten des europäischen Kontinents voran zu bringen: Genau dafür ist Tusk ein politischer Streiter. Auch wenn am Ende seiner Zeit als europäischer Ratspräsident dabei nicht wirklich ein Erfolg steht. Im Gegenteil: Immer noch gibt es keinen wirklichen Frieden in der Ukraine, trotz der EU-Sanktionen gegen Russland und trotz aller diplomatischer Mühen.
Donald Tusk, dem Geopolitiker, war die transatlantische Freundschaft zwischen Europa und den USA tatsächlich immer wichtig. Insofern ist auch der Einzug seines Namensvetters Trump ins Weiße Haus ein Tiefschlag. Denn mehr als der Vorname verbindet die beiden tatsächlich nicht.
Wertschätzung und Anerkennung
In Brüssel hat man Tusk mit den Jahren schätzen gelernt. Dem, was der grüne Europaparlamentarier und Außenpolitiker Reinhard Bütikofer über ihn sagt, dürften sich viele in der EU anschließen:
Ich schätze an ihm, dass er sich nicht nehmen lässt, seinen eigenen Kopf zu haben. Manchmal hatte ich auch den Eindruck, er übertreibt es mit den schmissigen Statements ein bisschen. Aber dieser eigenständige Kopf ist wertvoll an einer solchen Stelle, weil an den ja so viele widerstreitende Anforderungen herangetragen werden als Präsident des Rates, dass man ohne ein Minimum an Selbstständigkeit völlig aufgeschmissen ist, nur noch hin- und hergezerrt wird.
Dazu trug wohl auch der in jeder Hinsicht unverkrampfte und in vielerlei Hinsicht neue Stil bei, den Tusk nach Brüssel mitbrachte. Bis heute spricht er kein Französisch. Was man inzwischen selbst in Frankreich nicht mehr als Manko betrachtet. Europa verändert sich. Tusk hat daran entscheidenden Anteil. Sein Nachfolger wird große Fußstapfen füllen müssen.