Europawahl 2024
Lobbyisten im EU-Parlament Die heimlichen Souffleure
Ob auf Cocktailpartys, über einem Kaffee oder mit Hochglanzbroschüren: Lobbyisten versuchen auf vielen Wegen, die EU-Parlamentarier zu beeinflussen. "Intransparent" sagen die einen, "praxisnahe Expertise" die anderen.
Es regnet in Strömen, aber Olivier Hoedemann ist zum Treffpunkt vor dem Europaparlament in Brüssel gekommen - wie jede Woche. Für die Aktivistengruppe "Corporate Europe Observatory" veranstaltet der Lobbyexperte bei Wind und Wetter eine Informationstour, klärt Besucher über das Lobbyleben im Europaparlament auf.
"Neulich hat ein belgischen Abgeordneter 230 Änderungsvorschläge im Europaparlament weitergeleitet, die sehr industriefreundlich waren", berichtet Hoedemann. "Als herauskam, dass sie von zwei Lobby-Organisationen stammten, hat er seinen Assistenten gefeuert und alles abgestritten. Ihm ist nichts passiert."
Keine wirksamen Sanktionen
Das sei zwar ein Extremfall, sagt Hoedemann. Ihn stört aber, dass es keine wirksame Sanktionen gegen zu große Einflussnahme im Parlament gibt. Deshalb nutzten einige Lobbybüros zweifelhafte Techniken, um Einfluss auf Abgeordnete zu bekommen. So gebe es beispielsweise Organisationen, die gemeinnützig scheinen, aber von Lobbyisten gegründet wurden, erklärt Hoedemann.
Er führt uns zu einem Baum: ein Geschenk von Lobbyisten an das Europaparlament. Der Lobbybaum, wie Hoedemann ihn nennt, ist für ihn ein Symbol. Er zeigt, wie direkt Lobbyisten hier auf die Parlamentarier zugehen: persönliche Einladungen zum Essen, Cocktailpartys oder ein Schwätzchen beim Kaffee im Parlament - alles Routine, sagt Hoedemann.
"Handlungsempfehlungen" in Hochglanz
Einer, der keinen Hehl daraus macht, ist Wolfgang Dittmann, Cheflobbyist des Brüsseler Büros des Bundesverband der Deutschen Industrie. Ich treffe Dittmann 300 Meter vom Parlament entfernt in seinem Büro.
"Klar gibt es hier Zusammenkünfte", sagt Dittmann. "Sie können hier jeden Abend woanders hingehen. In der Regel sind das Treffen, bei denen einzelne Themen erörtert werden, die auch einen sehr aktuellen Inhalt haben."
Inhalte, die die Lobbyisten den Abgeordneten näher bringen wollen - auf unterschiedlichen Wegen. Wir schauen eine Hochglanz-Broschüre an, die der Verband für die Europawahl ausgearbeitet hat: Handlungsempfehlungen für das Parlament nach der Wahl auf 19 Seiten. Darunter: die Förderung des Freihandelsabkommens mit den USA und niedrige Strompreise für energieintensive Branchen.
Intensiver Kontakt zu Spitzenkandidaten
"Das ist alles, was in diesem Jahr noch stattfindet im Rahmen der Wahl zum Europaparlament", erläutert Dittmann. "Wobei die spannende Phase dann nach der Wahl ist. Da ist es interessant, wer dann nachrückt. Mit den Spitzenkandidaten haben wir sicherlich auch vorher schon regen Austausch geführt."
Denn wer den Sieger bei der Parlamentswahl berät, hat auch den Draht zum angehenden EU-Kommissionspräsidenten. Hier werden Gesetzesvorschläge gemacht und an das Parlament weitergeleitet.
Das Brüsseler Zentrum der Macht hat viel Anziehungskraft, Grenzen werden da schnell übertreten: "Oft werden Erwartungen in Zahlen gegossen, die kaum belegbar sind. Das halte ich für extrem bedenklich", sagt Dittmann.
Freiwilliges Lobby-Register
Er hat sich im freiwilligen Transparenzregister des Europaparlaments eintragen lassen - mit Zweck der Organisation und Eigenaufwendungen für sein Büro. Dafür bekommt er einen unbeschränkten Zugangspass fürs Parlament.
Die meisten Lobbyisten sind nicht im Transparenzregister des EU-Parlaments registriert.
Aktivist Olivier Hoedemann reicht das nicht. Von rund 20.000 Brüsseler Lobbyisten sind hier nur 4200 registriert, sagt er und beendet die Tour mit dem Aufruf, eine Eintragepflicht für jeden Lobbyisten einzuführen. Solange will er weiter herkommen, zum Lobbybaum, und EU-Bürger über die Einflussnahme im Parlament informieren.