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Europawahl 2024

Maximilian Krah
Europawahl

Spitzenkandidat der AfD Wohin mit dem Listenersten?

Stand: 03.06.2024 06:14 Uhr

Spionageaffären, Korruptionsvorwürfe, ein Auftrittsverbot durch die eigene Partei und der Ausschluss der AfD aus der rechtesten aller EU-Fraktionen: Der Wahlkampf von AfD-Spitzenkandidat Krah endete, bevor er wirklich losging.

Zuletzt galt er als der unsichtbare Spitzenkandidat. Von seinem Posten im AfD-Bundesvorstand ließ Maximilian Krah sich entbinden, seine Partei erteilte ihm einen Auftrittsverbot im EU-Wahlkampf und die Rechtsaußen-Fraktion im Europaparlament, Identität und Demokratie (ID), verstieß mit ihm gleich alle neun AfD-Parlamentarier.

Auslöser waren verharmlosende Aussagen Krahs zur SS in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung La Republicca, die unter anderem in Frankreich für Empörung sorgten. Dort jährt sich am 10. Juni eines der schlimmsten Massaker der SS zum 80. Mal - das Land gedenkt der Opfer am Tag nach der Europawahl.

Dass wegen seiner Aussagen insbesondere die rechtsextreme französische Partei Rassemblement National um Marine Le Pen auf den Ausschluss der AfD drängen würde, hatte er wohl nicht bedacht - obwohl Krah das europäische Parkett seit 2019 kennt.

Von der Jungen Union zum CDU-Aussteiger

Die Politik beschäftigt ihn nicht erst, seit er in der AfD aktiv ist - aber anfangs war die Richtung eine andere. Der 47-Jährige wuchs mit zwei Geschwistern in Dresden auf, seine Mutter war Sonderschulpädagogin, sein Vater wurde im nach 1990 neu gegründeten Bundesland Sachsen Referent im Innenministerium.

Mit 14 trat Krah in die Junge Union ein, später in die CDU. Er studierte Jura und promovierte in Dresden, war studentischer Mitarbeiter der CDU-Bundestagsabgeordneten Christa Reichard. Im CDU-Kreisverband Dresden war er jahrelang aktiv, unter anderem als Pressesprecher, bevor er die CDU im September 2016 verließ.

Angela Merkels Kurs in der Migrationspolitik habe ihn dazu gebracht, sich dann der AfD anzuschließen, erklärt der jovial und selbstbewusst auftretende Rechtsanwalt. Dort brachte er es schnell zum Vizechef des sächsischen Landesverbandes. Seit 2019 ist der Vater von acht Kindern im Europaparlament, unter anderem als Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel.

Zu rechts für die Rechtsextremen

In der ID-Fraktion sorgte er nicht erst jetzt für Zerwürfnisse. So geriet er mit Le Pen in Streit, weil er ihren ebenfalls rechtsextremen Konkurrenten Eric Zemmour und dessen Partei unterstützt hatte.

Schon dieser Zwist sowie andere Uneinigkeiten brachten Krah einen zeitweiligen Ausschluss aus der ID-Fraktion ein, in der die Franzosen und die italienische Partei Lega den Ton angeben und in der auch die österreichische FPÖ vertreten ist.

Aber auch inhaltlich gab es Verstimmungen bei den Rechten. Insbesondere, nachdem in Deutschland unter anderem AfD-Politiker unter dem Schlagwort "Remigration" Massenausweisungen von Menschen mit Migrationsgeschichte diskutierten. Auf der Suche nach Wählern aus dem Mitterechtsspektrum bezeichnete Le Pen dies als Politik, "die wir auf keinen Fall in dieser Form unterstützen". 

Wahlkampf von Affären überschattet

Aber da war Krah schon längst beim Europaparteitag seiner Partei zum Spitzenkandidaten gewählt worden. Spätestens seit April ist sein Wahlkampf von Spionage- und Korruptionsaffären überschattet: Ein langjähriger Assistent Krahs im Europaparlament wurde wegen Spionageverdachts für China verhaftet. 

Gegen Krah und den Zweitplatzierten der AfD-Wahlliste, Petr Bystron, wurden zudem Vorwürfe laut, Geld von pro-russischen Quellen bezogen zu haben. Die vermeintlichen Zahlungen sollen im Zusammenhang mit der Internetplattform "Voice of Europe" stehen. Diese wurde von der EU inzwischen auf eine Sanktionsliste gesetzt, weil sie darauf abziele, Einfluss auf das Parlament auszuüben.

Krah sagte, er habe dem Portal zwar Interviews gegeben, aber kein Geld erhalten. Ermittlungen wegen möglicher Schmiergeldzahlungen im Zusammenhang mit "Voice of Europe" hält Krah für politisch motivierte Einmischung "der Geheimdienst-Community" aufgrund der russlandfreundlichen Ukraine-Politik der AfD. Russland sehe er nicht als potentielle Gefahr für die EU oder die NATO.

Krahs Beziehungen nach Russland brachten ihm auch die erhöhte Aufmerksamkeit des FBI ein. Unter anderem befragten ihn die US-Bundespolizisten bei einem USA-Besuch zu seinen Kontakten und größeren Mengen Bargelds, die er bei sich führte.

Zwei Arten von Spitzenkandidaten

Der Begriff "Spitzenkandidat" kann verwirrend sein, denn er bedeutet im Kontext der Europawahlen zweierlei: 
Einerseits steht er für die Listenersten der deutschen Parteien, die bei der Europawahl antreten. Entsprechend dieser Listen werden die Spitzenkandidaten bei ausreichender Stimmzahl als erste für ihre Partei ins EU-Parlament gewählt.
Andererseits steht der mittlerweile europaweit verwendete Begriff für jene Person, die von den europäischen Parteizusammenschlüssen im Europaparlament als Kandidat oder Kandidatin für den Chefposten der "EU-Regierung", den Präsidentenposten der Kommission, nominiert wurde.
Manche Europapolitikerinnen sind beides: Spitzenkandidatin ihrer deutschen Partei und für die Kommissionspräsidentschaft.

Gezwungen, Krah als Spitzenkandidaten zu behalten

Eigentlich wünschte sich der AfD-Kandidat den Zusammenschluss der beiden Rechtsaußenparteien im Europaparlament, der ID und der EKR. Doch der Traum Krahs von einem Platz in einer vereinten europäischen Rechten scheint nach dem Ausschluss der AfD aus der ID in noch weitere Ferne gerückt zu sein.

Krah will die EU umbauen und das Europaparlament langfristig abschaffen. Er wirbt für die "Vision eines Bundes der europäischen Nationalstaaten". Über die Inhalte seiner Europapolitik kann er jedoch wegen des Auftrittsverbots nun nicht mehr öffentlich sprechen.

Die AfD ist trotzdem gezwungen, ihn als ihren Spitzenkandidaten zu behalten, denn eine Änderung der Wahlliste ist schon seit Ende März nur unter Voraussetzungen möglich, die nicht gegeben sind.

Dass Krah wieder ins Europaparlament gewählt wird, ist so gut wie klar: Die AfD liegt in jüngsten Umfragen bei 14 Prozent der Stimmen. Und das Mandat kann ihm in diesem Fall niemand nehmen, auch die AfD nicht. Was seine Partei nach der Wahl aber mit ihm machen wird - das ist unklar.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 01. Juni 2024 um 14:25 Uhr.