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Europawahl 2024

Eine Ampel leuchtet vor dem Reichstagsgebäude in allen drei Phasen.
Europawahl

Reaktionen der Bundespolitik "Am Ende der vier Jahre wird abgerechnet"

Stand: 10.06.2024 20:14 Uhr

Nach dem Wahldebakel wollen die Koalitionspartner weitermachen wie bisher geplant; Neuwahlen werde es nicht geben. Die Opposition spricht von einer Abwahl der Ampel, Scholz sei ein König ohne Land.

Bei der Europawahl wurden die deutschen Regierungsparteien abgestraft und die AfD gestärkt - nun haben die Bundesparteien in Berlin über Konsequenzen beraten. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert machte die Politik in der Ampelregierung mitverantwortlich für das schlechte Abschneiden seiner Partei. Die SPD habe zwar mit Frieden und Gerechtigkeit die richtigen Themen besetzt, sagt er nach der SPD-Präsidiumssitzung.

"Aber der SPD ist es nicht glaubwürdig genug gelungen, uns mit diesen Punkten zu verbinden." Man dürfe nicht beiseite wischen, dass dies auch an Auftreten und Wahrnehmung der Ampelkoalition liege, so Kühnert.

In der SPD hatten zuvor nach der Wahlschlappe Unmutsäußerungen vor allem von Politikern des linken Parteiflügels zugenommen. Der SPD-Europapolitiker Axel Schäfer forderte die Parteispitze auf, sich in der Frage eines Aussetzens der Schuldenbremse gegen die FDP durchzusetzen und dabei notfalls auch ein Ende der Ampelkoalition in Kauf zu nehmen.

Scholz: Nicht zur Tagesordnung übergehen

Bundeskanzler Olaf Scholz selbst forderte die Koalitionspartner auf, für mehr Zustimmung für die eigene Politik zu sorgen. "Keiner ist gut beraten, der jetzt einfach zur Tagesordnung übergehen will", sagte er. Es müsse der Maßstab der Arbeit sein, dass die Zustimmung bis zur Bundestagswahl wieder steige. "Das Wahlergebnis war für alle drei Regierungsparteien schlecht", betonte der SPD-Politiker.

Sorgen machen müsse man sich über die Stimmen für rechtspopulistische Parteien in Deutschland und anderen Ländern. Es gebe aber eine klare Mehrheit in Europa für Parteien, die sich klassisch für Demokratie und Rechtsstaat einsetzten. Auf eine Unterstützung für eine weitere Amtszeit von Ursula von der Leyen (CDU) als EU-Kommissionspräsidentin legte sich Scholz öffentlich noch nicht fest.

FDP sieht sich gestärkt

FDP-Chef Christian Lindner hingegen sieht in der Europawahl eine Stärkung seiner Partei. Das Ergebnis für die FDP sei "ein Signal der Stabilisierung, das wir auch politisch nutzen wollen", sagte Lindner. Er verwies darauf, dass die Liberalen im Vergleich zur Europawahl 2019 insgesamt hinzugewonnen hätten.

Grüne: Auftrag, Vertrauen zurückzugewinnen

Grünen-Co-Parteichef Omid Nouripour sieht im schlechten Europawahl-Ergebnis für die Ampel einen Auftrag an die Bundesregierung, Vertrauen zurückzugewinnen. Alle Koalitionspartner müssten sich darauf besinnen, "dass wir das Land vor Parteifarben stellen". Das gelte gerade mit Blick auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen über den Etatentwurf für 2025. Es mache keinen Sinn, "den Streit weiter öffentlich auszutragen", so Nouripour.

Opposition sieht Ampel abgestraft

CDU-Chef Friedrich Merz sieht nach dem Sieg der Union bei der Europawahl Rückenwind für die Auseinandersetzung mit der Ampel in Berlin. Das Ergebnis sei für die Parteien der Bundesregierung ein "komplettes Desaster", sagte Merz.

Zugleich sei es für die CDU ein Ansporn weiterzuarbeiten. Merz wies besonders auf die anstehenden Landtagswahlkämpfe in Ostdeutschland hin. Dass die AfD bei der Europawahl im Osten stärkste Kraft geworden sei, sei eine große Herausforderung für alle Parteien. Die CDU nehme dies als Auftrag, sich besonders um Themen zu kümmern, welche die Menschen beschäftigten. 

"Olaf Scholz ist ein König ohne Land"

Für die die CSU war die Europawahl war nach den Worten von Parteichef Markus Söder eine "Abwahl der Ampel". Er sprach von einem "klaren Misstrauensvotum" gegen den Kanzler. "Olaf Scholz ist ein König ohne Land", sagt er nach einer CSU-Vorstandssitzung. Scholz verfüge über keine Legitimation und kein Vertrauen in der Bevölkerung mehr. Daher seien Neuwahlen unumgänglich."

AfD fordert Neuwahl

Auch AfD-Chefin Alice Weidel forderte eine vorgezogene Bundestagswahl. Scholz solle dem Beispiel von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron folgen und den Weg für Neuwahlen freimachen, sagte sie. Die Ampel-Regierung mache Politik gegen die eigene Bevölkerung. "Die Menschen haben es satt", sagte sie. Die AfD habe bei der Wahl einen "Riesen-Erfolg eingefahren".

Co-Parteichef Tino Chrupalla betonte vor allem den Erfolg der AfD bei jungen Wählern. Die rebellische Jugend setze auf Protest und lasse sich nicht vorschreiben, was sie zu wählen habe, sagte er.

Absage an Neuwahl-Forderung

Regierungssprecher Steffen Hebestreit wies die Neuwahl-Forderung klar zurück: Die Ampelkoalition habe nicht "eine Sekunde" daran gedacht, trotz des schwachen Abschneidens aller drei Partner bei der Europawahl.

Das Wahlergebnis sei für SPD, Grüne und FDP sei "nicht ersprießlich" ausgefallen. Die Bewertung im Detail müssten aber die einzelnen Parteien abgeben. Die Legislaturperiode sei jedenfalls auf vier Jahre angelegt "und am Ende der vier Jahre wird abgerechnet", so Hebestreit.

Wagenknecht: "Wunderbarer Start"

Zum Ergebnis des BSW, das aus dem Stand den 6,2 Prozent eingefahren hatte, sagte Parteichefin Sahra Wagenknecht: "Das ist mehr, als ich erwartet hatte." Es sei richtig gewesen, die neue Partei zu gründen und ein "wunderbarer Start". Das Potenzial sowohl in Ost und West sei noch groß. Der Fokus liege jetzt auf den Landtagswahlen im Osten und den weiteren Aufbau der Partei, die bisher rund 600 Mitglieder hat.

Wagenknecht gab sich auch mit Blick auf die nächste Bundestagswahl im Herbst 2025 zuversichtlich. "Wir werden im nächsten Bundestag mit Fraktionsstärke vertreten sein", sagte sie. Dies ist man in der Regel, wenn man die Fünf-Prozent-Hürde überspringt.

Linke will sich neu aufstellen

Die Führung der Linkspartei kündigte nach dem Debakel für ihre Partei einen Neuanfang an, der mittelfristig auch personelle Konsequenzen nicht ausschließt. Das Wahlergebnis habe gezeigt, dass es der Linken "im Moment an einem klaren Markenkern" fehle, sagte Parteichef Martin Schirdewan. Dies müsse die Partei nun angehen.

Schirdewan sprach dabei von einem "Neubegründungsprozess der Linken". Entscheidungen zu programmatischen und womöglich auch zu personellen Fragen sollten mit Blick auf den Parteitag im Oktober fallen.

"Nationale Wirtschaftswende" gefordert

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sprach von einem europäischen Politikwechsel, der "auch endlich durch eine nationale Wirtschaftswende begleitet werden" müsse. Die Erwartungen an das "Aktivierungspaket" der Ampel-Regierung seien in der Wirtschaft hoch und sollten nicht "zum wiederholten Male enttäuscht werden".

Auch der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) kritisierte, in den vergangenen Jahren hätten auf EU-Ebene "Bürokratie und Regelungswut, moralische Überheblichkeit und politische Erziehung die Oberhand gewonnen". Heute werde Europa von anderen Wirtschaftsräumen abgehängt - "und das selbstverschuldet", kritisierte BGA-Präsident Dirk Jandura. Der Wählerauftrag nun laute: "Schluss mit der ewigen Regulierung, ja zu mehr Freiheit und Wettbewerb."

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mahnte, Europas industrielle Wettbewerbsfähigkeit müsse in der kommenden Legislaturperiode "Top-Priorität sein". Das neue EU-Parlament müsse "Ökologie und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen besser ausbalancieren", verlangte Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Wichtige wirtschaftspolitische Themen müssten eine viel größere Rolle spielen: die Vollendung des europäischen Binnenmarktes, der Abschluss von Freihandelsabkommen und der Bürokratieabbau.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 10. Juni 2024 um 10:05 Uhr.