Illustration des Onlinenetzwerks X, ehemals Twitter
Kontext

Desinformation Russische Doppelgängerkampagne läuft weiter

Stand: 03.09.2024 14:00 Uhr

Eine in mehreren europäischen Ländern durchgeführte Analyse zeigt, dass von Russland gesteuerte Accounts auf X weiterhin aktiv sind. Vor allem Deutschland und Frankreich stehen im Fokus der Desinformation.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Die Finanzierung des Zelensky-Regimes lässt den Deutschen immer weniger Geld zum Ausgeben", "Täglich müssen wir sparen, während unser Geld zur Unterstützung von Korruption in der Ukraine verwendet wird", "Noch einmal zahlen wir Deutschen für die Ukraine. Wo bleibt unser Geld für uns?"

Bei diesen Zitaten handelt es sich sehr wahrscheinlich nicht um die Aussagen besorgter deutscher Bürger, sondern um von Russland gesteuerte Accounts auf der Plattform X. Insgesamt 1.366 Postings haben Desinformations-Forschende aus mehreren Ländern unter Koordination des CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) und der Alliance4Europe im Monat Juni ausgemacht, die nach bekanntem Muster russischer Desinformationsnetzwerke verbreitet wurden. Am häufigsten wurden die Posts dabei auf Deutsch und Französisch verfasst.

"In vielen dieser Postings wird die Ukraine und die Hilfe westlicher Länder diskreditiert, oft gemischt mit Kritik an der jeweiligen Regierung des Landes, in dessen Sprache der Post formuliert wurde", sagt Lea Frühwirth, Senior Researcher Desinformation beim CeMAS. Ziel sei es, die Unterstützung für die Ukraine infrage zu stellen und die Bevölkerungen zu spalten.

Teil der "Doppelgänger"-Kampagne

Vom 4. bis zum 28. Juni wurden der Untersuchung zufolge allein 495 deutschsprachige Posts auf X verbreitet, die dem Erscheinungsbild russischer Desinformationskanäle entsprechen. Die Forschenden konnten die Inhalte aufgrund des prägnanten Musters der Postings und Accounts aufdecken, das bereits zuvor in Zusammenhang mit der sogenannten Doppelgänger-Kampagne gebracht worden war. Unter anderem Correctiv und auch das Auswärtige Amt hatten dazu Berichte veröffentlicht.

Bei der Doppelgänger-Kampagne führen Postings in den sozialen Netzwerken typischerweise auf gefälschte Nachrichtenseiten etablierter Medien wie dem Spiegel oder der Süddeutschen Zeitung. Die Inhalte dort weisen klare prorussische Tendenzen auf, vor allem mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Die Kampagne läuft bereits seit mehreren Jahren. Innerhalb eines Monats hatte das Auswärtige Amt Anfang des Jahres mehr als 50.000 gefälschte Nutzerkonten auf X ausgemacht, die insgesamt mehr als eine Million deutschsprachige Tweets absetzten.

"Die aufgedeckten Accounts und deren Postings hatten alle einige Gemeinsamkeiten", sagt Frühwirth. Zum Beispiel wurden die Posts auffällig oft geteilt, aber nur sehr selten gelikt - eine paradoxe Kombination. Sie enthalten meist ein Bild und einen Link. Die Accounts haben wenige Follower und sind teilweise erst vor kurzem erstellt worden.

Kritik an der Ampelregierung

Während zumindest ein vermehrtes Aufkommen solcher Postings im Juni zeitlich mit dem Ukraine-Friedensgipfel in der Schweiz korreliert, gehen sie inhaltlich jedoch nur wenig auf im Juni aktuelle Ereignisse wie die Europawahl oder die Fußball-Europameisterschaft ein. "Es wirkt für mich so, als wäre diese Operation nicht unbedingt auf Spontanität ausgelegt", so Frühwirth. Die Kampagnen seien eher auf langfristige Themen ausgelegt.

"Bei den deutschsprachigen Inhalten geht es überwiegend um Kritik an der Ampelregierung, oft im Zusammenhang mit einer Diffamierung der Ukraine oder der Hilfen für die Ukraine", sagt Frühwirth. So würden wirtschaftliche Untergangsszenarien für Deutschland damit begründet, dass die Ampelregierung das Geld lieber für die Ukraine ausgebe. In mehreren Postings werden der Untersuchung zufolge hingegen die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht explizit unterstützt.

In den französischsprachigen Postings zeigt sich laut der Untersuchung ein ähnliches Bild. Hier werde vor allem die französische Regierung und Präsident Emmanuel Macron ins Visier genommen, ebenfalls gepaart mit Kritik an der Ukraine und der Unterstützung für das Land. Gelobt wird hingegen in mehreren Posts die rechtsnationale Partei Rassemblement National.

Erfolg lässt sich schwer abschätzen

Wie erfolgreich Russland mit solchen Kampagnen ist, lässt sich nur schwer beurteilen, sagt Frühwirth. Denn ein Mensch stehe unter vielen verschiedenen Einflüssen, die das Meinungsbild prägten. "Daher ist es schwierig zu messen, wie viel ein einzelner Faktor zu einer bestimmten Haltung beiträgt." Das zu schätzen, wäre nicht seriös.

Stattdessen könne nur über das Risiko gesprochen werden, das von solchen langfristig angelegten Kampagnen ausgehe. Allein die 495 deutschsprachigen Postings kommen insgesamt auf mehr als eine Million Views. "Heißt das jetzt, dass bei der nächsten Wahl alle, die das gesehen haben, ihre Wahlentscheidung ändern? Wahrscheinlich nicht." So funktioniere Entscheidungsbeeinflussung oder Haltungsbeeinflussung bei Menschen nicht, sagt Frühwirth. Dennoch bestehe die Möglichkeit, dass solche Kampagnen zumindest bei einigen Menschen die Meinungsbildung beeinflussten.

Kritik an Plattform X

Ein großer Kritikpunkt der Forschenden ist, dass X zu wenig gegen die russische Desinformation unternehme. "Wir haben X den Datensatz eigentlich auf dem Silbertablett serviert und es ist genau nichts passiert", kritisiert Frühwirth. Von 623 Nutzerkonten, die die Forschenden der Plattform X gemeldet hatten, ist auch Wochen später nur einer gesperrt worden.

Hinzu komme, dass die Muster der Doppelgängerkampagne bereits länger bekannt seien und es daher nicht schwer für die Kurzmitteilungsplattform wäre, dagegen vorzugehen, so Frühwirth.