Ein Putin-Wandgemälde auf einem Wohngebäude Moskau.
Kontext

Trotz EU-Sanktionen Wie finanzieren sich Putin-Propagandisten?

Stand: 02.02.2023 09:28 Uhr

Alina Lipp verbreitet russische Propaganda über ihre Kanäle. Durch die EU-Sanktionen wird Putin-Anhängerinnen wie ihr die Finanzierung jedoch erschwert. Fragwürdige Modelle ermöglichen es aber, diese zu umgehen.

Von Carla Reveland und Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Meine Bankkonten in Deutschland wurden gesperrt, die Beträge darauf wurden eingezogen und das Konto aufgelöst. Zahlungen an meine russische Bankverbindung wird durch EU Sanktionen denen die Banken folgen verhindert", schreibt die Deutschrussin Alina Lipp in ihrem Telegram-Kanal "Neues aus Russland", einem der reichweitenstärksten Kanäle russischer Propaganda in Deutschland.

Mehr als 180.000 Abonnenten hat Lipp mittlerweile, seit Beginn der russischen Invasion vor knapp einem Jahr ist ihre Anhängerschaft rasant gestiegen. In ihrem Kanal verbreitet sie durchgängig russische Narrative, so spricht sie beispielsweise stets von einer "militärischen Spezialoperation" statt von einem Krieg - ebenso wie vom angeblichen "Genozid" an der russischen Bevölkerung in der Ostukraine.

Spendenmöglichkeiten über Telegram

Um trotz gesperrter Konten weiter an Geld zu kommen, hat Lipp einen Spendenlink auf ihrer Website und einen Bot des Messengerdiensts Telegram einrichten lassen. Dieser ist wie ein eigener Kanal bei Telegram und Nutzer können dort Spenden per Klick versenden. Abgewickelt wird das Ganze im Falle von Lipps Spendenbot von dem Zahlungsdienstleister Smart Glocal, der seinen Sitz in Hongkong hat. Von dort aus wird das Geld "zweimal im Monat" auf ihr russisches Konto weitergeleitet, wie auf ihrer Webseite und auch im Kanal des Spendenbots zu lesen ist.

Auf Anfrage des ARD-faktenfinders teilt Lipp mit, sie wisse nichts von einem speziellen Zahlungsdienstleister und nutze "den von Telegram in Russland angebotenen Service". In Russland sei dieser Service sehr bekannt und beliebt.

Dabei verstößt Lipp mit ihren Inhalten vermutlich gegen die Nutzungsbedingungen von Smart Glocal. Auf dessen Internetseite heißt es unter anderem, dass der Inhalt des Spendenbot-Nutzers in seinem Kanal keine politische Propaganda enthalten dürfe.

Smart Glocal teilt schriftlich mit, dass Lipp und ihr Kanal "Neues aus Russland" "noch nie" bei dem Zahlungsdienstleister registriert waren. Weiter heißt es, dass der Kanal "niemals" registriert werden könnte, da er gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen würde. Der Spendenbot von Lipp sei unter "einer anderen Person" registriert. "Daher wird dies als Versuch interpretiert, unsere Identifizierungs- und Moderationsmechanismen zu umgehen, was einen Verstoß gegen unsere Nutzungsbedingungen darstellt", schreibt Smart Glocal. Der Link zu dem Spendenbot sei daher blockiert worden.

Telegram verweist auf zuständige Behörden

Nach Ansicht von Josef Holnburger, Geschäftsführer des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) habe Telegram seine Bemühungen intensiviert, Zahlungsabwicklungen über den Messenger-Dienst direkt anzubieten: "Ich habe keine Maßnahmen gesehen, um das einzudämmen und deswegen können Akteure und Akteurinnen wie Alina Lipp die eigentlich geltenden EU-Sanktionen ganz einfach umgehen." Die Entwicklung Telegrams deute sogar eher daraufhin, dass Angebote ausgeweitet werden, die helfen, Sanktionen umgehen zu können. Unter anderem auch über Crypto Wallets und deren Einbindung über Bitcoin oder der von Telegram entwickelten Kryptowährung Toncoin.

Telegram selbst verweist darauf, dass die Spendenbots von Drittunternehmen verwaltet werden. Diese würden "unabhängig voneinander ihre eigenen Richtlinien erstellen", Telegram habe "wenig Einblick" in diese. "Wenn eine zuständige Behörde eine Entscheidung über den Bot getroffen hat, können wir entsprechend handeln", so das Unternehmen.

Technische Unterstützung eines Österreichers

Nachrichten sowie eigene Aussagen legen nahe, dass die Firmen Fancy Nerds und VPN Tester Lipp die neuen Spendenmöglichkeiten eingerichtet haben. So bezeichnet sie VPN Tester in einem Telegram-Beitrag als ihr "Webteam" und immer wieder tauchen die Firmennamen eher zufällig in Bezug auf Spendenmöglichkeiten auf. Beide Firmen sind nach ARD-faktenfinder-Recherchen offenbar auf Martin Held zurückzuführen, einem in Russland lebenden Österreicher. Held betreibt darüber hinaus den Telegram-Kanal "Stimme aus Russland", in dem auch er russische Propaganda in deutscher Sprache verbreitet.

In einem Video stellt er sich als Unternehmer dar, der mit Idealismus gegen Zensur kämpfe. Er bestätigt unter anderem, Lipp technisch zu unterstützen, um Sperren umgehen zu können, doch sei diese nicht seine einzige Kundin dieser Art. "Ich helfe den Bloggern dahingehend, dass sie technisch in der Lage sind, ihre Kanäle zur Verfügung zu stellen und vielleicht auch Möglichkeiten haben, um Sperren, die vielleicht ja passieren könnten, auch umgehen zu können oder außer Kraft zu setzen."

Fragwürdige Firmengeflechte

Auf die Frage, wie Held von Russland aus Geschäfte in der EU machen könne, sagt er in selbigem Video: "Wir haben Tochterfirmen in Westeuropa, und darüber können wir natürlich auch Kunden servicieren und können auch Angebote machen und können auch verrechnen." Seine Firmengeflechte bleiben intransparent.

Fancy Nerds ist laut Impressum in Wien ansässig, VPN Tester in Krasnodar, Russland. Das Impressum von Fancy Nerds ist derzeit nicht abrufbar, auch verschwanden Mitarbeiterfotos von der Seite, von dem mindestens eines aus einer Stockfotodatenbank stammt. Für beide Unternehmen sind zum Teil dieselben Mitarbeiter abgebildet.

Das Impressum der VPN Tester Webseite weist mittlerweile Alexandra Stepanenko als Redaktionsleitung aus, in der englischen Variante steht dort weiterhin Martin Held. Auch sonst beinhaltet dasselbe Impressum in unterschiedlichen Sprachen unterschiedliche Informationen. Herausgeber im Deutschen ist eine Firma namens OOO GEROY, im Englischen Fancy Nerds. Doch findet sich auch im englischen Impressum der Hinweis, dass die Seite nicht von Fancy Nerds betrieben werde, sondern von OOO GEROY.

Auch diese Firma hat ihren Sitz in Krosnodar und ist laut Recherchen von t-online ebenfalls mit Held in Verbindung zu bringen. OOO GEROY steckt demnach hinter einem Projekt, das ausdrücklich Menschen in der EU den Zugang zu gesperrten russischen Kanälen ermöglichen soll. Und tatsächlich ermöglicht VPN Tester in einem Kanal auf Telegram den in Europa eigentlich gesperrten Livestream des staatlichen russischen Senders RT in deutscher Sprache zu schauen.

"Wir machen gerne Angaben über uns und unsere Tätigkeit. Wir haben nichts zu verstecken", steht auf der Website von VPN Tester, die Anfrage des ARD-faktenfinders blieb jedoch unbeantwortet. Lipp teilte mit, dass sie "wenig" von dem Projekt VPN Tester wisse und keine Beziehungen zu Fancy Nerds habe: "Meine Servicepartner, welche mir technisch helfen, sind offizielle russische Unternehmen, welche auch nur innerhalb Russlands tätig sind. Und auch meine Ansprechpartner sind in Russland."

Höhe der Spendeneinkünfte unklar

Wie viel Geld Lipp tatsächlich mit Spenden ihrer Abonnenten verdient, ist unklar. Da Lipp den Link über ihren Kanal "Neues aus Russland" öffentlich teilt, wendet sie sich mit ihren Unterstützungsaufrufen potenziell jedoch an alle ihre Follower. "Und wenn nur ein kleiner Teil davon monatlich Geld überweist, dann kann man sich davon auf jeden Fall finanzieren. Also die theoretische Kapazität, die ist zumindest da. Ob es auch praktisch so ist, das wissen wir nicht", sagt Holnburger. Diese Finanzierungsmöglichkeit sei auf jeden Fall ein wichtiger Punkt für Lipp. Nicht nur monetär, sondern auch für sie zu wissen, dass Menschen für ihre Tätigkeiten bereit seien, Geld zu überweisen.

Lipp gibt auf ihrer Website und ihrem Telegram-Kanal noch weitere Möglichkeiten an, sie zu unterstützen. So verweist sie auf ihre Krypto Wallets und gibt Affiliate-Links zu Büchern von Thomas Röper an. Röper betreibt einen Blog, Telegram- und YouTube-Kanal, in dem er russische Propaganda verbreitet und häufig mit Alina Lipp kooperiert.

Darüber hinaus ist Lipp regelmäßig zu Gast im russischen Staatsfernsehen, wo sie unter anderem verzerrte Sichtweisen auf Deutschland wiedergibt, sagt Julia Smirnova, Senior Researcherin des Institute for Strategic Dialogue Germany (ISD): "Sie erzählt viel über die angebliche Zensur, die im Westen herrschen würde. Und über die angeblichen Probleme mit der Energiekrise und über Proteste gegen die Sanktionen gegen Russland."

Ob und wie viel Geld es für solche Auftritte gibt, ist unklar. "Wir wissen zum Beispiel, dass sie zu diesen regelmäßigen Aufnahmen im Fernsehen zumindest nach eigener Auskunft die Unterkünfte und die Flüge gestellt bekommt", sagt Holnburger. "Das ist allerdings nichts Ungewöhnliches."

Auch der prorussische und AfD-nahe Verein Vadar unterstützt Lipp nach eigenen Angaben: So stellte der Verein unter anderem einen Anwalt für sie bereit, die Kosten dafür wurden übernommen. Auch die Stiftung "Foundation To Battle Injustice" des Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin hat Lipp bereits öffentlich Unterstützung zugesagt, sagt Smirnova. Die Stiftung kündigte an, sich im Fall des Ermittlungsverfahrens gegen Lipp an die Staatsanwaltschaft in Deutschland wenden zu wollen und stellte den Fall als Angriff auf die Meinungsfreiheit dar.

Lipp teilte mit, dass sie keine Entlohnung für ihre Auftritte in russischen Medien erhalte. Auch von der Stiftung "Foundation To Battle Injustice" erhalte sie keinerlei Unterstützung. Die anwaltliche Hilfe des Vereins Vadar bestätigte sie, allerdings würde dies "auch jedem anderen Geschädigten zu Teil werden".

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

Wegen ihrer Inhalte ist Lipp bereits in den Fokus der deutschen Behörden geraten - denn die gebürtige Hamburgerin lebt zwar eigenen Angaben zufolge mittlerweile in Russland und im ukrainischen Donezk, ist aber offenbar auch noch in Deutschland gemeldet. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg hatte im Mai Ermittlungen gegen sie wegen der "Belohnung und Billigung von Straftaten" im Zusammenhang des russischen Angriffskriegs in der Ukraine aufgenommen.

Laut der Staatsanwaltschaft sind ihre Äußerungen unter anderem dazu geeignet, "das psychische Klima auch innerhalb der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschlands aufzuhetzen, aufgrund zumindest verzerrender, teils auch wahrheitswidriger Darstellungen einen Dissens innerhalb der Gesellschaft herbeizuführen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufzulösen".

Die Staatsanwaltschaft ließ 1608 Euro von Lipps Konto beschlagnahmen, da sie zuvor versucht habe, Geld von ihrem deutschen Konto auf ein russisches Bankkonto zu überweisen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft handelt es sich bei den 1608 Euro um den Betrag, den sie in den ersten Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs an Spenden erhalten habe.

Die Staatsanwaltschaft Göttingen, die den Fall in der Zwischenzeit übernahm, teilt auf Anfrage des ARD-faktenfinders mit, dass die Ermittlungen gegen Lipp vorläufig eingestellt worden sind, "da sich die Beschuldigte derzeit nicht in Deutschland aufhält".

Sperrung der Bankkonten

Nicht nur die deutsche Justiz, auch die Sanktionen der Europäischen Union machen Lipp zu schaffen. Eigenen Angaben zufolge wurde ihr deutsches Konto aufgelöst, auch PayPal habe ihr Konto gesperrt. Außerdem wurde der Weg, Spenden über das Konto ihres Vater zu erhalten, unterbunden. Zahlungen an ihr russisches Konto von einem EU-Land aus würden verhindert werden.

Durch die Sanktionen der EU sind einige russische Banken vom SWIFT-System ausgeschlossen worden, sodass Auslandsüberweisungen für diese Banken nicht ohne Weiteres möglich sind. Hinzu kommt, dass einige deutsche Banken auch weitere russische Banken von sich aus ausgeschlossen haben.