CSU-Chef Söder im Gespräch mit Matthias Deiß, stellvertretender Leiter des ARD-Hauptstadtstudios.
faktenfinder

CSU-Vorsitzender Das ARD-Sommerinterview mit Söder im Faktencheck

Stand: 25.08.2024 19:53 Uhr

Das Thema Migration war eines der dominierenden Themen des ARD-Sommerinterviews mit CSU-Chef Söder. Einige seiner Aussagen zu Abschiebungen und ausländischen Bürgergeldempfängern waren zumindest irreführend.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Im ARD-Sommerinterview mit dem CSU-Parteivorsitzenden Markus Söder ging es auch vor dem Hintergrund der Messerattacke in Solingen um das Thema Migration. Da es während der Aufzeichnung eines solchen Gesprächs nicht immer möglich ist, falsche oder irreführende Behauptungen sofort zu korrigieren, werden einige Aussagen Söders hier noch einmal im Nachgang genauer beleuchtet.

Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan

Mit Blick auf den syrischen Tatverdächtigen, der die Tat von Solingen begangen haben soll und inzwischen von der Polizei festgenommen wurde, forderte Söder mehr Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan. Dazu sagte er, dass es ein neues Urteil aus Nordrhein-Westfalen gebe, dass nach Syrien abgeschoben werden könne. Allerdings ist das aus Sicht von Experten zumindest umstritten.

Das Urteil, auf das sich Söder in dem ARD-Sommerinterview vermutlich bezieht, stammt vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) in Münster Mitte Juli. Dort heißt es: "Für Zivilpersonen besteht in Syrien keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Bürgerkrieg) mehr."

Geklagt hatte ein Syrer aus dem Nordosten Syriens, der in Österreich bereits zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, weil er sich an der Einschleusung von Menschen aus der Türkei nach Europa beteiligt hatte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte es daher abgelehnt, ihm den Flüchtlingsschutz oder den subsidiären Schutz zu gewähren.

Weiter viele Hürden für Abschiebungen

Das bedeute jedoch nicht, dass Straftäter aus Syrien nun grundsätzlich abgeschoben werden dürften, heißt es im "Verfassungsblog". Denn der Kläger hatte laut der Urteilsbegründung lediglich versucht, einen höheren Schutzstatus, den subsidiären Schutz, zu erhalten. Das wurde vom Gericht abgelehnt. Ein Abschiebeverbot gemäß Paragraph 60 des Aufenthaltsgesetzes hatte das BAMF ihm jedoch bereits zugesprochen. "Der Kläger ist schutzberechtigt; seine Abschiebung würde gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen", schreiben die Autoren im "Verfassungsblog".

Nach Angaben des BAMF erhält ein Großteil der syrischen Geflüchteten entweder den Flüchtlingsstatus oder den subsidiären Schutz, die höher als das Abschiebeverbot nach Paragraph 60 einzuschätzen sind. Ob das Urteil des OVG NRW daran etwas ändern wird, ist zumindest fraglich. Denn nach Angaben des Mediendienstes Integration wird der Bürgerkrieg dabei ohnehin nur noch in den seltensten Fällen als Begründung herangezogen und vielmehr die Gefahr der Folter oder unmenschlicher Behandlung.

Im Gegensatz zum OVG NRW kamen nach Angaben des "Verfassungsblogs" zudem mehrere Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer zu einer anderen Einschätzung mit Blick auf die Sicherheitslage in Syrien. Die Experten gehen daher davon aus, dass sich das BAMF bei der Bewertung einer gefahrlosen Rückkehr nach Syrien eher nicht dem OVG NRW anpassen wird.

Unabhängig von der Frage nach dem Schutzstatus hat Deutschland Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan aus verschiedenen Gründen bereits seit längerer Zeit gestoppt. Jedoch hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich dafür ausgesprochen, dass Schwerstkriminelle und Gefährder auch in unsichere Länder abgeschoben werden sollen. Wie genau, ist jedoch unklar. Zudem bedürfen Abschiebungen ohnehin einer Einzelfallprüfung des BAMF sowie einer gerichtlichen Überprüfung. Somit muss ohnehin jeder Fall unabhängig voneinander betrachtet werden.

Bürgergeld nicht überwiegend für Ausländer

Mit Blick auf das Bürgergeld sagte Söder, dass es "in erster Linie oder überwiegend für viele Menschen da ist, die eben nicht aus Deutschland sind". Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit gab es im April diesen Jahres insgesamt 5.550.063 Bürgergeldempfänger. Knapp 2,9 Millionen davon waren demnach Deutsche, etwa 2,66 Millionen Ausländer. Demnach sind 52 Prozent der Bürgergeldempfänger Deutsche. Dass das Bürgergeld in erster Linie oder überwiegend für Ausländer da ist, stimmt damit nicht.

In Deutschland leben nach Angaben des Statistischen Bundesamts knapp 14 Millionen Ausländer, das entspricht einem Bevölkerungsanteil von etwa 15 Prozent. In Relation gesehen ist der Anteil der ausländischen Bürgergeldempfänger somit jedoch hoch.

Allerdings muss dabei auch berücksichtigt werden, dass von den 2,66 Millionen Bürgergeldempfängern etwa 720.000 Menschen aus der Ukraine stammen, wovon die große Mehrheit nach Beginn des russischen Angriffskrieges 2022 nach Deutschland geflüchtet ist: Zum Jahresende 2021 erhielten in Deutschland nur knapp 41.000 Ukrainer Sozialleistungen. Dadurch ist der Anteil der ausländischen Sozialleistungsempfänger seit 2022 noch einmal gestiegen.

Die grundsätzliche Entscheidung, Ukrainern und Ukrainerinnen in Deutschland das Bürgergeld zu zahlen, anstatt den geringeren Betrag nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, war politisch gewollt. Rechtlich zwingend ist es nicht.

Bewertung des Wahlrechtsurteils Ansichtssache

Mit Blick auf die Wahlrechtsreform wiederholte Söder, dass die Grünen als Teil der Ampelkoalition vom Verfassungsgericht eine "ziemlich deutliche Klatsche" bekommen habe. Diese Bewertung ist jedoch zumindest Ansichtssache. Denn nach Angaben des Bundesverfassungsgericht ist die Reform des Bundeswahlgesetzes überwiegend verfassungsgemäß - nur die Fünf-Prozent-Hürde ohne Grundmandatsklausel ist demnach derzeit verfassungswidrig, daher gilt die Grundmandatsregel zunächst fort.

Der Punkt mit der Grundmandatsklausel war nach eigenen Angaben das Kernanliegen der CSU, auch weil sie ähnlich wie die Linkspartei in der Vergangenheit davon profitierte. Die Grundmandatsregel besagt, dass Parteien mit weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen trotzdem mit allen Abgeordneten in den Bundestag einziehen, sofern sie drei Direktmandate erzielt haben. Da die CSU nur in Bayern antritt, war für sie dieser Punkt wichtig. Bei der vergangenen Wahl hatte die CSU die Fünf-Prozent-Hürde nur knapp überschritten.

Dennoch ist mit Blick auf die ganze Wahlrechtsreform die Bezeichnung einer ziemlich deutlichen Klatsche zumindest fraglich, da andere Aspekte wie die Begrenzung des Bundestages auf 630 Abgeordnete und der Wegfall der sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandate vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der "Bericht aus Berlin" am 25. August 2024 um 18:00 Uhr.